Sie denken eben wie im Job: Gibt es ein Problem, kaufe ich eine Lösung.
Wilhelmi: The Quick-Fix. Das ist sehr stark gerade unter Männern verankert. Die schnelle Pille, die schnelle Spritze.
Funktioniert das jemals?
Poletto: Nein.
Wilhelmi: Doch, für den, der die Spritze gibt.
Poletto: Das ist auch nicht einfach. Wenn Sie jemanden aus einem Wahnsinnsalltag ziehen und den dann hier hinsetzen: Was soll der machen? Der nimmt sich dann einen Trainer und läuft um den See, macht nur Sport. Ich muss ehrlich zugeben: Ich bin auch so. Ich muss mich selber manchmal zwingen, nichts zu tun. Einfach mal auf dem Sofa liegen, vielleicht was lesen, wozu ich im Alltag gar nicht mehr komme.
Wilhelmi: Manche bringen sich Arbeit mit.
Sagen Sie dann etwas dagegen?
Wilhelmi: Siegfried Unseld hat hier ein ganzes Buch geschrieben. Das hat man immer gehört, wie die Schreibmaschine klackerte. Den halben Tag wollte er eben arbeiten.
Wie schwer ist es, überhaupt aus der eigenen Routine zu kommen?
Wilhelmi: Ich faste jedes Jahr schon seit über 30 Jahren regelmäßig. Aber das heißt ja nicht, dass ich in der Zwischenzeit ein vorbildliches Leben führe. Wenn Sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben wollen – versuchen Sie das mal, ohne fast jeden Tag irgendwo essen zu gehen, Alkohol zu trinken. Gerade vor Weihnachten.
Poletto: Der Horror.
Wilhelmi: Das Leben ist dann ein einziges Essen. Und wenn Sie eine bestimmte Position in der Wirtschaft oder in der Politik erreicht haben, wie viele Menschen, die anschließend bei uns Unterstützung suchen, dann werden Sie eben oft zum Essen eingeladen oder müssen andere einladen. Es gibt eben gesellschaftliche Situationen, in denen man sich dann auch schlecht zurückhalten kann. Natürlich raten wir unseren Gästen, eben am nächsten Tag einen Fastentag einzulegen. Aber auch das ist ja oft schwer durchzuhalten, wenn man mittendrin ist.
Poletto: Ich glaube, das ist typabhängig. Es gibt ja wirklich sehr konsequente Menschen, die sich von jetzt auf gleich komplett umstellen. Ich gehöre eher zu den schwächeren Menschen, denen das schwerfällt. Gerade jetzt, wenn man im Alltag morgens im Dunkeln zur Arbeit fährt und abends im Dunkeln wieder nach Haus kommt und dann auf seine App schaut und sieht: Du bist heute nur 1000 Schritte gegangen, dann raffen Sie sich nicht noch auf, jetzt besonders vorbildlich zu sein, sondern denken eher: Jetzt gönn ich mir etwas.
Gestehen Sie selbst sich Schwäche ein?
Poletto: Ich esse wahnsinnig gerne. Und auch, wenn ich weiß, dass es nicht gut ist, abends nach dem Service mit meinen Köchen noch ein Stück Käse zu essen und ein Glas Wein zu trinken, mache ich das. Und natürlich bleibt es nicht bei einem Glas Wein. Und wissen Sie was? Es geht mir danach nicht schlechter. Einfach mal zu sagen, ich ignoriere, dass heute Abend ein Kräutertee vernünftiger wäre, das macht doch unser Leben aus.
Wilhelmi: Käse, Brot und Rotwein sind wunderbar, aber ziemlich tödlich.
Und wenn ein Gast eine Ausnahme möchte?
Wilhelmi: Das gibt es bei uns gar nicht. Kein Alkohol, kein tierisches Eiweiß. Wir bieten dann eben andere Genüsse: ein Mozart-Konzert, eine Wanderung mit interessanten Menschen, hier in der wunderbaren Bodenseelandschaft. Das kann einen guten Wein ersetzen.
Frau Poletto, können Sie das nachvollziehen?
Poletto: Es gibt ja schon diese Phasen, in denen man seinen Körper im Alltag gar nicht mehr wahrnimmt. Man hält es dann für normal, etwa nach jedem Essen Sodbrennen zu haben. Wenn man dann mal innehält, merkt man plötzlich: Man ignoriert die Signale des Körpers. Ich bin auch so ein Typ. Ich weiß, was gut ist ... aber hält man sich immer daran?
Hilft es da, einfach das Essen zu ändern?
Wilhelmi: Immerhin werden durch Fasten die Zeiger erst mal auf null gesetzt. Und die Menschen haben hier Bewusstseinsschübe, lernen Dinge, die sie sonst nicht mehr entwickeln. Und das kann man sehr gut in den Alltag hinüberretten. Deswegen gibt es in den Religionen ja auch die Zeit der Askese, um einfach zu neuen Ideen zu kommen. Viele unserer Gäste sagen, sie haben die besten Ideen hier. Ein bekannter Künstler hat es uns mal so gesagt: Fasten ist für mich – von der Erschöpfung zur Schöpfung.