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Wulff-Affäre Politiker und Manager in der Wertefalle

Die Durchmoralisierung unseres Verhaltens fördert die Scheinheiligen und verprellt die wirklich fähigen Leute. Aber nur freie Menschen können wirkliche Vorbilder sein. Ein Gastkommentar.

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ZDF-Journalistin Bettina Schausten Quelle: dpa

Als Fernsehjournalistin Bettina Schausten Bundespräsident Christian Wulff vor Millionen TV-Zuschauern den Vorschlag machte, für jede Übernachtung bei Freunden künftig 150 Euro zu zahlen, konnte sich der geneigte Zuhörer nur wundern. Legte die öffentlich-rechtliche Journalistin mit ihrer Forderung doch einen Maßstab an, dem kein Mensch genügen kann.

Schaustens offenkundig absurder Einwurf aber ist nur die Spitze des Eisbergs: Wir tendieren zu einer Durchmoralisierung unseres Privatlebens, ja unserer Gesellschaft. Wenn jede Aufmerksamkeit unter Freunden aber unter den Generalverdacht der Korruption gerät, ist gefährlich. Und zwar ganz grundsätzlich.

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Zwang zur Scheinheiligkeit

Einlösen können solche Ansprüche allenfalls Blender. Denn wer für ein Wertesystem plädiert, nach dem niemand leben kann, zwingt zur Scheinheiligkeit. Und stellt die Weichen für die Beförderung nicht der fähigsten Leute, sondern der besten Täuscher und Selbstdarsteller.

Natürlich ist klar: Wer an der Spitze steht, hat Vorbildfunktion – sei er Politiker, angestellter Manager oder selbstständiger Unternehmer. Als erfolgreiche, gestaltungsmächtige Menschen können sie vorleben, was es heißt, selbstbestimmt und zielstrebig zu leben, ohne dabei an Menschlichkeit einzubüßen. Die amerikanische Unternehmensberatung Hay Group sieht sogar ein neues Führungsideal am Horizont aufsteigen: den post-heroischen Manager, der in einer völlig unberechenbaren Geschäftswelt neue Wege finden muss, um Loyalität zu schaffen. In der Hay-Studie „Leadership 2030“ heißt es, dass „für immer mehr Menschen ... die Vereinbarkeit von privaten Werten und Zielen mit den Unternehmensanforderungen entscheidend sei, persönliche Loyalität wird wichtiger werden als die zu einem Unternehmen“.

Nur Mindeststandards

Menschen möchten sich mit ihren Vorbildern identifizieren können. Sicher muss man dann von solchen Vorbildern moralische Mindeststandards verlangen. Aber: eben nur Mindeststandards. Die Überhöhung eines Vorbilds zu gottgleichem Status ist kontraproduktiv. Wer diese Überhöhung annimmt, belügt sich und die Öffentlichkeit, unweigerlich. Solche Möchtegern-Vorbilder machen es langfristig gesehen unmöglich, dass sich Menschen mit ihm auf gesunde Art und Weise identifizieren können. 

In die Wertefalle zu tappen, dieses Risiko ist auch für Führungskräfte gestiegen. Seitdem die Unternehmen Compliance-Richtlinien zur tadellosen Unternehmensführung aufgestellt haben, sind alltägliche Aufmerksamkeiten wie die Einladung zum Geschäftsessen oder das Weihnachtsgeschenk, tabu. Diese Political Correctness spiegelt angeblich die gängige öffentliche Meinung wider.

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