
Herr Sattelberger, jeder zweite MBA-Absolvent des aktuellen Harvard-Jahrgangs hat per Eid gelobt, seiner Arbeit „in ethischer Weise nachzugehen“. Gute Idee?
Ich halte den Eid für einen Gimmick...
...allerdings einen, auf den deutsche Business Schools künftig setzen. Ebenso wie auf neue Lehrstühle für Corporate Social Responsibility und Ethikkurse.
Weder ein Eid noch an das Curriculum angedockte Ethikkurse ändern die Realität. Es sind bloße Marketing-Gags, die schon 2002 nach dem Platzen der Dotcom-Blase und der Enron-Pleite medial vermarktet wurden. Was hat es gebracht? Nichts. Wir sind mit gleicher Ideologie auf die nächste Krise zugesteuert.
Wie sehr hat die MBA-Ausbildung dazu beigetragen?
Wir haben es hier mit dreifachem Versagen zu tun: dem Versagen der Märkte, dem der Institutionen und dem der individuellen Moral. Da aber Märkte und Institutionen durch Menschenhand entstehen, muss man hart sagen: Fehlgeleitete Ausbildung ist ein ganz wichtiger geistiger Katalysator der Finanzkrise. Es gibt übrigens Studien, die belegen, dass MBA-Studenten mehr betrügen als andere.
Glauben Sie diesen Studien?
Zumindest machen sie nachdenklich. Schon der indische Management-Lehrer Sumantra Ghoshal, Professor an der London Business School, hat gesagt, dass die Theorien, die heute an Business Schools gelehrt werden, der Amoral der jungen Manager-Generation Vorschub leisten. Diese Hypothese halte ich für legitim.
Warum?
Praktisches Handeln hat geistigen Nährboden. Die ökonomische Theorie, die an den Business Schools gelehrt wird, orientiert sich fast ausschließlich an den Interessen der Shareholder und lässt die gesellschaftliche Rolle von Unternehmen und Managern außen vor. Dieses Denken wurde Millionen MBA-Absolventen weltweit eingetrichtert und so zu einem substanziellen Vehikel der Krise. Die Führung von Unternehmen wird nicht als kollektiver Meinungsbildungsprozess und konsensorientiertes Entwickeln verstanden, sondern als Exekution à la John Wayne. Und es werden die falschen Antworten gegeben, weil schon die falschen Fragen gestellt werden.
Worauf führen Sie das zurück?
Im neoklassischen Paradigma werden bestimmte Themen gar nicht mehr infrage gestellt: etwa, dass der Markt transparent sei. Dass er sich austariere. Dass er berechenbar und mathematisch abbildbar sei. Wer sich gegen diese scheinbar ehernen Gesetze stellt, wird als Esoteriker abgetan. Selbst die Fallstudien chinesischer Business Schools, die vor zehn Jahren noch eine Konsenskultur einforderten, sind inzwischen voll auf das angelsächsische Modell homogenisiert worden. Die deutschen Schulen machen da leider wenig Ausnahmen.
Ist der MBA am Ende?
Der Niedergang heutiger Prägung ist eingeläutet. Aber das lässt auch hoffen.
Das müssen Sie erklären.
Paul Krugman hat es auf den Punkt gebracht: Paradigmenwechsel gibt es nur, wenn vorher eine Beerdigung stattgefunden hat. An dem Punkt sind wir angekommen: Es wird höchste Zeit, über die fundamentale Reform der Management-Ausbildung nachzudenken.
Wie könnte die aussehen?
So wie Universitäten haben auch Management-Schulen einen ganzheitlichen Bildungsauftrag. Wir brauchen mehr intellektuellen Tiefgang, um die Welt des Managements zu erfassen. Um Probleme in Unternehmen nachhaltig zu lösen, ist nicht nur Ökonomie wichtig, sondern auch Geschichte, Soziologie, Psychologie, Philosophie. Und die Reflexion der eigenen Person.
Was wollen Sie? Einen Schmalspur-Ökonomen mit einem Doktor in Philosophie oder Abschluss an einer Kunstakademie?
Die Auseinandersetzung mit mehreren Perspektiven. Wenn ich mich mit ökonomischen Konzepten beschäftige, gehört dazu auch eine Debatte über die ökonomische Theorie des Islam. Ich muss verstehen, dass Unternehmen nicht nur betriebswirtschaftliche, sondern soziale Organismen sind. Die Zahlen kommen am Schluss, sind das Ergebnis sozialen Handelns oder psychologischer Wirkung. Ich muss wissen, dass ich als Manager Teil dieses Organismus bin.