Mode "Der Anzug steht für Macht und Privileg"

Die Zeichen der Mode lesen: Das hat sich die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken zur Aufgabe gemacht. Sie sagt: Frauen sollten aufhören, sich als Männer zu verkleiden und Männer sollten mehr Feminität wagen.

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Barbara Vinken ist Literaturwissenschaftlerin und seit 2004 Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Quelle: PR

Ein Blick in die Führungsetagen zeigt es: Frauen im Rock oder in Hosen, Männer fast immer im Anzug. Mit viel Mut hat das nichts zu tun, viel mehr mit einem Einheitslook - fast schon Gleichgültigkeit gegenüber der Mode, gegenüber sich selbst. Dabei täte es allen gut, ab und zu mal ein bisschen aus der Reihe zu tanzen. Warum die meisten das trotzdem nicht tun, erklärt Barbara Vinken im Interview.

Sie ist Professorin für Allgemeine  Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und unterrichtete zuletzt in New York, Paris und Chicago. Ihr Buch "Angezogen" war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Sie ist eine der bekanntesten Modetheoretikerinnen Deutschlands - und forscht seit Jahren in diesem Bereich.

WirtschaftsWoche Coach: Frau Vinken, ist Mode modern? 

Barbara Vinken: Die Moderne hat von Nietzsche bis Beauvoir und Bourdieu eine Modedämmerung heraufbeschwören und auf das Ende des Modischen gehofft. 

Nach welchen Kriterien verändert sich die Mode?

Modewechsel ist nicht willkürlich, sondern hat System. Heutzutage ist Mode grundsätzlich Cross Dressing: Frauenmode übernimmt Männerkleider, weiße-schwarze Stile, Bürger ziehen sich wie Arbeiter an. 

So kleiden Sie sich richtig

Wie beurteilen Sie aktuelle Mode in Deutschland nach Geschlechtern?

Den Männern mangelt es hin und wieder am Mut zur Feminität.

Und was fehlt den Frauen? 

Souveräne Weiblichkeit. Das sieht viel besser aus als sich als Mann zu verkleiden. 

So wie bei Angela Merkel? Ihr Kleidungsstil zeigt Macht, aber kaum Weiblichkeit.

Wir haben Schwierigkeiten, Macht und Weiblichkeit zusammenzudenken. Das ist schade und wird sich hoffentlich mit Angela Merkel ändern. Aber diesen Spielraum muss die Frau sich Schritt für Schritt erkämpfen.

Kleider machen Leute
Michelle Obama Quelle: AP
Justin Trudeau Quelle: REUTERS
Marissa Mayer Quelle: AP
Angela MerkelNote: 2 Der Dreiknopfblazer, meist von der Designerin Anna von Griesheim, ist Programm. Außer dem maßgeschneiderten Blazer verzichtet unsere Bundeskanzlerin auf sichtbaren Luxus und trägt unauffällige Handtaschen meist vom französischen Label Longchamp. Auch die Farbwahl trifft die Bundeskanzlerin mit Bedacht. Mit ihrem roten Blazer sticht sie heraus und steht für Energie. Rote Blazer sind auch in Situationen, wie bei Vorstellungsgesprächen, empfehlenswert. Der von ihr gern gewählte grüne Blazer hingegen strahlt Ruhe und Kompetenz aus. Ihr Look symbolisiert etwas sehr bodenständiges. Sie hat sich mit ihrem immer wiederkehrenden Outfit den nötigen Rahmen geschaffen, jederzeit als Stimme der Sicherheit auftreten zu können. Ein bisschen mehr Leichtigkeit würde ihr aber sicher auch bei der Auswahl des Outfits gut tun. Quelle: dpa
Bill Gates Quelle: REUTERS
Delia Fischer Quelle: Screenshot
Oliver Samwer Quelle: REUTERS

Was signalisieren hingegen Männer, die den Anzug als Allheilmittel auswählen?

Sie wollen nicht aus der Reihe tanzen und verkörpern im Anzug, den politischen Körper - die "corporate identity".

Denn wofür steht der Anzug?

Das man Wichtigeres zu tun hat, als an die Kleider, die man trägt, auch nur einen Gedanken zu verschwinden.

Darauf sollten Sie beim Anzug achten

Wie ist dennoch der Siegeszug formloser Streetwear in den Büros zu erklären?

Der Anzug hat sich zum Kleid von Macht und Privileg entwickelt. Er kann damit den modischen Sprechakt der Moderne, dass man auf die Kleider keinen Gedanken verschwendet, nicht mehr an den Mann bringen. Die Streetwear artikuliert diesen Sprechakt der Gleichgültigkeit jetzt überzeugender.

Für Sie ist diese „Nicht-Mode aggressive Gleichgültigkeit“ – warum?

Weil sie das Miteinander, den öffentlichen Raum, das für den anderen da sein aufkündigt. Sie verweigert es, sich um anderen in ein Verhältnis zu setzen. Sie verwandelt die Leute in eine Einheit, die sich gegenseitig Luft sind.

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