Der Begriff der Schwarmintelligenz stammt aus dem Umfeld des Internets. Dort ist es unter weltweiter Vernetzung von untereinander unbekannten Personen zu erstaunlichen Problemlösungen gekommen. Im Internet trafen sich Menschen und arbeiteten an Erfindungen, schufen gemeinsam Open-Source-Software oder stürzten Diktatoren. Viele Pioniere schwärmen von kollektiver Intelligenz, wie man die Schwarmintelligenz auch nennt. Diese Intelligenz kann natürlich über das Medium des Internets viel einfacher aktiviert werden. In der Wikipedia heißt es dazu: „Das Internet vereinfacht wie nie zuvor, dezentrales Wissen der Menschen zu koordinieren und deren kollektive Intelligenz auszunutzen.“ Aus den Einzelintelligenzen erwächst, so kann man erwarten, die „Weisheit der Masse“.
An diesen Ideen ist aber ein großer Haken! Wenn ich ein Problem mit Schwarmintelligenz lösen möchte, suche ich mir in Foren des Internets Leute zusammen, die begeistert zur Lösung meines Problems beitragen wollen. Ein wechselnder (!) Schwarm von Enthusiasten geht zur Sache. Dabei entsteht aber niemals die Weisheit einer großen Masse, sondern die Weisheit dieses einen speziellen Teams, das sich genau für diesen einen bestimmten Zweck zusammengefunden hat. Niemand hat hier Nebeninteressen – es geht ausschließlich darum, gemeinsam das Problem zu knacken. Und wenn das Problem gelöst ist – das ist ein wichtiger Punkt –, gehen alle wieder ihre Wege. Neues Problem – neuer Schwarm. Dann hat jeweils dieser Schwarm oder dieses spezielle Team Schwarmintelligenz. Solch ein Ad-hoc-Team kann gemeinsam aufbrechen, etwas genial Einfaches zu kreieren. Das kann gelingen, weil in einem solchen Team alle Mitglieder diesen Sinn für das Ganze, Klare und Vollendete mitbringen, weil sie alle den gleichen Traum träumen.
Keine Spur von Schwarmintelligenz
Im realen Leben aber funktioniert das nicht. Denn in der Unternehmenswirklichkeit treffen nicht für jedes spezielle Problem die jeweils besten Experten in immer neuen Teams zusammen, sondern wir haben sehr gemischte Abteilungsmeetings mit immer denselben Zusammensetzungen und eher Kreisklasse- als Weltklasseexperten. Im Internet schwärmen vielleicht die intelligenten Weltmeister, aber auf dem Flur stoppeln wir uns wieder einmal eine nicht ganz ausgereifte Lösung zusammen.
Ich will sagen: Im wirklichen Leben löst man die verschiedensten Probleme in immer gleicher Umgebung, in Unternehmen, in der Familie, in der Partei oder in Abteilungsmeetings. Neues Problem – alte Abteilung. Da erlebt man nicht so oft die Weisheit der Masse, wenn überhaupt je! Gemeinschaften und Teams sehen sich unter vielen verschiedenen Interessenlagen gelähmt und änderungsunwillig. Meetings oder Streitigkeiten, die um die immer gleichen Streitpunkte kreisen, lassen uns verzweifeln. Keine Spur von Schwarmintelligenz – hier herrscht die Schwarmdummheit.
Ich habe die Mehrzahl von Meetings wie gestohlene Lebenszeit empfunden. Denn im Meeting treffen sich eben nicht nur Leute, die voller Freude ein Problem lösen wollen und sich extra deshalb zusammengefunden haben. Nein, es kommen fast niemals Sieben Samurai zusammen. Nein, es treffen sich immer dieselben Streithähne, die ein (meist durch eigene Schuld) entstandenes Problem lösen müssen – und dafür sind sie nicht Experten, sonst wäre das Problem nicht da.
Der Text ist ein Auszug aus Gunter Duecks neuem Buch „Schwarmdumm“ (Campus)