
WirtschaftsWoche: Herr Kruse, wer bei Twitter oder Facebook reinschaut, erfährt in erster Linie, dass Userin Susi gerade einen Café trinkt oder Peter gerade seinen Zug verpasst hat. Warum sollen sich Unternehmen mit diesen Belanglosigkeiten beschäftigen?
Kruse: Wer Kaffeetrinkern und Zugfahrern Aufmerksamkeit schenken möchte, dem kann man nur sagen: Überleg Dir gut, wie viel Zeit Du dafür verschwendest. Aber Twitter auf Trivialitäten zu reduzieren, wäre falsch. Im politischen und wirtschaftlichen Kontext werden andere Informationen ausgetauscht. Und oft sind diese Querverweise keineswegs irrelevant. Man bekommt ein Gefühl für resonanzfähige Themen.
Also müssen Unternehmen auf diesen Plattformen heute zwingend präsent sein?
Nicht unbedingt. Ich glaube aber, dass eine möglichst hohe Zahl derer, die in einem Unternehmen arbeiten, dort unterwegs sein sollten. Das ist ein kleiner, aber gravierender Unterschied. Es geht nicht nur um Selbstdarstellung, etwa als potenzieller Arbeitgeber oder Markenhersteller. Das ist nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Nähe der Menschen und Unternehmenskulturen zu diesen sich bildenden Systemen. Es ist für die Unternehmen extrem wichtig, dass sich die Mitarbeiter in den neuen Kommunikationswelten zurechtfinden.
Warum?
Weil dort andere Regeln, andere Geschwindigkeiten, andere Mechanismen gelten. Sich im Netz angemessen bewegen zu können, ist wirtschaftlich und gesellschaftlich gesehen wohl zunehmend unverzichtbar. Die Umwälzungen beginnen doch gerade erst.
Viele Unternehmen arbeiten schon an einer Web-2.0-Strategie. Worauf sollten sie achten?
Vor allem darauf, keine falschen Erwartungen auf zu bauen. Die Idee, andere über diese sozialen Netze strategisch beeinflussen zu können, halte ich für sehr problematisch. Eine Web-2.0-Strategie ist ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich.
Warum?
Eine Strategie impliziert ein Ist, ein Soll und die Kenntnis der Mittel, das Ist in das Soll zu überführen. Das unterstellt Steuerbarkeit. Soziale Netzwerke aber verweigern sich dem klassisch strategischen Denken. Die innere Architektur der Netzwerke ist auf Selbstorganisation und die Aushebelung hierarchischer Kontrollfunktionen ausgelegt.
Woran liegt das?
Das hat drei Gründe: Erstens die Höhe der Vernetzungsdichte, zweitens die explodierende Zahl spontan aktiver Knoten im Netz...
Und drittens?
Das System verfügt, zum Beispiel über die Re-Tweet-Funktion von Twitter, über nicht-lineare Rückkopplungsmechanismen. Für diese Art von Systemeigenschaften sind Denkmodelle, die nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip funktionieren, weitgehend ungeeignet.