Reputationsforscher Eisenegger im Interview "Die Sozialreputation ist ein Minenfeld"

Der Schweizer Reputationsforscher Mark Eisenegger über die Gefahren und Chancen von Prominenz und dem eigenen Ruf.

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Reputationsforscher Mark Eisenegger

WirtschaftsWoche: Herr Eisenegger, wozu ist Reputation überhaupt gut?

Eisenegger: Der Ruf spielt im alltäglichen Leben eine absolut bestimmende Rolle. Das lässt sich schon an einfachen Beispielen belegen. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf der Suche nach einem gediegenen Restaurant, um ihre Angebetete zu beeindrucken. Wenn Sie sich nicht auf Erfahrungen stützen können, müssen Sie sich zwangsläufig auf die Empfehlung Dritter verlassen. Solche Empfehlungen sind nichts anderes als Reputationsurteile, von denen wir uns leiten lassen – auch weil sie Zeit sparen.

Egal, ob Sie sich für einen Anwalt entscheiden, für eine Bank, die Schule Ihrer Kinder oder  welchem Politiker Sie Ihre Stimme geben, immer spielen Reputationsurteile dabei eine zentrale, wenn nicht die ausschlaggebende Rolle. Reputation legitimiert darüber hinaus aber auch Macht und Statuspositionen: Tagtäglich werden wir Zeuge davon, dass Politiker oder Manager ihren Hut nehmen müssen, weil ihr Ruf ramponiert ist. Und weil die Medien mittlerweile sehr erfolgreich darin sind, die Reputation von Akteuren mit einem hohen Status kritisch zu hinterfragen, bestimmen sie immer mehr mit, welche Top-Manager bleiben und welche gehen. Macht, die sich nicht mit Mitteln der Gewalt und Repression absichern lässt, muss also zunehmend durch eine adäquate Reputation verdient werden.

Damit vollbringt Reputation gleichzeitig ein soziales Wunder: Sie rechtfertigt gesellschaftliche Ungleichheit. Dass die einen viel und die anderen wenig Macht und Einfluss besitzen, wird gesellschaftlich so lange akzeptiert, wie die Bessergestellten über eine intakte Reputation verfügen. Damit hält Reputationsstreben zugleich unsere Gesellschaft zusammen. Denn nur derjenige kann sie erwerben, der die gesellschaftlich gesetzten Ziele und Werte erfüllt.

Das erklärt, warum für Mächtige ein guter Ruf entscheidend ist. Aber hat er dieselbe Bedeutung auch für Otto Normal?

Reputation ist die wichtigste Voraussetzung für Statuszuwachs. Deshalb streben auch so viele Menschen nach Bildungszertifikaten, wie renommierten Schul- oder Hochschulabschlüssen.  Diese Zertifikate sind nichts anderes als Reputationsproben, die sich gegen Karrierechancen eintauschen lassen. Reputation ist in der modernen Gesellschaft also unverzichtbare Voraussetzung für beruflichen und gesellschaftlichen Erfolg. Allerdings hat deren Verletzlichkeit massiv zugenommen: Allein durch das Internet werden viele Lebensläufe und Leistungsbiografien transparenter. Internetportale und Blogs, die etwa Hochschulprofessoren durch Studierende oder öffentliche Personen bewerten, sind nur ein Beispiel dafür. Damit wird das Spitzenpersonal aber zugleich einem gesellschaftlichen Dauertest ausgesetzt, den nur wenige dauerhaft bestehen können.

Was prägt den Ruf entscheidend?

Reputation setzt sich aus drei Komponenten zusammen. Erstens muss derjenige entsprechende Kompetenz und damit verbundene Erfolge unter Beweis stellen. Diese so genannte funktionale Reputation misst sich in der Wirtschaft beispielsweise daran, wie profitabel das Unternehmen, eine Abteilung oder der Einzelne wirtschaftet. Zweitens muss sich der Reputationsträger in der sozialen Welt bewähren. Entscheidend ist also, ob er gesellschaftliche Normen und Werte einhält. Das ist die sogenannte soziale Reputation. Drittens braucht jeder Akteur aber auch eine sogenannte expressive Reputation. Entscheidend ist hierbei die Frage, wie einzigartig jemand ist und welche emotionale Attraktivität und Faszinationskraft von ihm ausgeht. Unsere Studien zeigen, dass zwar alle drei Reputationsdimensionen essenziell sind, die dritte jedoch den größten Wert besitzt. Nur damit gelingt, relevante Zielgruppen zu mobilisieren oder langfristig an sich zu binden.

Wie lässt sich dann ein guter Ruf aufbauen?

Kurz gesagt, indem Sie funktionale und soziale Erwartungen erfüllen, ohne dabei der eigenen Identität untreu zu werden – und dies relativ besser als die direkten Konkurrenten.

Und die lange Version?

Die Sozialreputation ist ein Minenfeld. In der Mediengesellschaft ist sie der größte Risikofaktor. Denn moralisches Fehlverhalten anzuprangern erzeugt mehr Aufmerksamkeit und Schlagzeilen als sozialverantwortliches Handeln zu würdigen. Deshalb sollten sich vor allem Unternehmen auf ihre funktionale Wirtschaftsreputation konzentrieren und im Bereich der Sozialreputation die gesellschaftlichen Standards einhalten – jedoch ohne dieses soziale Engagement zu sehr an die große Glocke zu hängen. Glaubwürdiges soziales Engagement baut auf die Tat, nicht auf das Wort. Firmen, die sich in ihrer Außenkommunikation allzu moralisch geben, schüren Misstrauen und animieren die Medien, kleinste Vergehen sofort zu skandalisieren. Aber auch zu starke Personalisierung schadet: Je stärker die Reputation des Unternehmens am Unternehmer oder CEO festgemacht wird, desto verletzlicher ist sie. Die Verantwortung für ein Fehlverhalten einem abstrakten Gebilde zuzuweisen, ist schwer. Eine bekannte Person lässt sich dagegen wunderbar plakativ an den Pranger stellen. Zudem beeinträchtigt eine zu starke Personalisierung die Motivation der Mitarbeiter: Wird das Unternehmen zentral über die Führungsspitze wahrgenommen, muss es die Reputation mit jedem Führungswechsel neu aufbauen. Das ist teuer. Viele Unternehmen haben das in der Vergangenheit klar unterschätzt: Sie haben eher eine Art Starkult betrieben und damit einen langfristigen Reputationsaufbau behindert.

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