




WirtschaftsWoche: Nicht nur in Deutschland wird derzeit viel über Stress, Burnout und die Verdichtung der Arbeit geforscht und diskutiert. Sie dagegen berichten in Ihrem Buch “Empty Labour” von Angestellten, die sich am Arbeitsplatz mit privaten Dingen beschäftigen. Wie passt das zusammen?

Paulsen: Generell erleben wir durchaus eine Verdichtung der Arbeit. Angestellte sollen immer mehr in immer kürzerer Zeit erreichen. Aber es betrifft nicht alle. Lohnarbeit ist eben eine ungleiche Einrichtung. Ungleich, was die Bezahlung angeht. Ungleich, was die Sicherheit des Arbeitsplatzes angeht. Und auch sehr ungleich, was den Stress angeht. Oft haben gerade die am schlechtesten Bezahlten mehr und mehr zu tun, ohne auch nur fünf Minuten Pause machen zu können. Andere können ziemlich müßig sein bei der Arbeit.
Also ist Nichtarbeit ein Phänomen der hochbezahlten Angestellten?
Es gibt noch nicht genug Einzelstudien, um das wirklich beantworten zu können. Was aus meiner Sicht jedoch klar ist: Ich habe Angestellte interviewt, die etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Privatangelegenheiten verbrachten. Natürlich sind das Extremfälle, die man nicht generalisieren kann. Aber die meisten von ihnen waren Büroangestellte mit Hochschulabschlüssen und einem gewissen Grad von Autonomie bei der Arbeit. Die meisten gehörten zu ziemlich privilegierten Gruppen der Arbeitswelt.
Ein Arbeiter an einer Maschine hat keine Chance, sich zu drücken?
Nein, weil seine Arbeitsprozesse standardisiert sind. Und vor allem sehr stark überwacht. Um nicht zu arbeiten, braucht man Autonomie. Und vor allem braucht man einen Wissensvorteil. Man muss Expertise glaubhaft machen können.
Demnach wären Anstrengung und Leistung keine Voraussetzungen für den persönlichen Erfolg in einer Organisation?
So weitgehend kann man das nicht unbedingt behaupten. Klar ist: Wir arbeiten alle für Prüfungssysteme. Es kommt darauf an, wie die unsere Arbeit messen und bewerten. Diesen Verfahren zu entsprechen, ist entscheidender, als objektiv etwas zu leisten. Doch normalerweise gibt es immerhin einen Zusammenhang zwischen diesen Bewertungen und der tatsächlichen Leistung.

Könnte für viele Drückeberger die Simulation nicht mindestens genauso stressend sein wie richtige Arbeit?
Solche Fälle gibt es. Dieses Phänomen bezeichnet der Begriff „Bore-out“. Ein Zustand der völligen Apathie und Langeweile. Am Anfang eines Jobs kann es nett sein zu merken, dass du nicht viel zu tun brauchst. Doch allmählich, wenn du keine kreative Beschäftigung während der leeren Arbeitsstunden hast, fängt dich die Langeweile ein. Und dann kann es schwierig werden, neue Aufgaben zu verlangen.
Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis meines Buches: Wenn du zugibst, dass du wenig zu tun hast, gibst du auch zu, wie wenig du bisher getan hast. Deswegen wird es schwieriger, aus diesem Zustand herauszukommen, je länger er andauert. Da kommt dann die Scham mit ins Spiel. Und die Angst, dass dein Job auf eine Teilzeitstelle eingeschmolzen wird. Diese Angst ist begründet: Ich habe einen Bankangestellten interviewt, der für ein Projekt zuständig war, für das er nur 15 Minuten am Tag effektiv arbeiten musste. Das fand er bald gar nicht mehr lustig. Also informierte er ganz offen seinen Chef. Für diese Offenheit wurde er belohnt, indem seine Stelle halbiert wurde. Am Arbeitsplatz sind wir Teil einer Machtbeziehung. Wenn wir offen kommunizieren, können wir unseren Job verlieren.