
Herr Kusenberg, warum beschäftigten sich derzeit so viele Theaterstücke mit der Wirtschaft?
Kusenberg: Sogar Pfarrer oder Pförtner sprechen heute ja von „Zielgruppe“ oder „Investition“. Die Finanzkrise hat noch einmal deutlicher gemacht, wie weltumspannend das Thema ist – und dem kann sich auch das Schauspiel nicht entziehen. Die meisten haben an ihrer eigenen Geldbörse gespürt: Wirtschaftliche Vorgänge können unser Leben von heute auf morgen ändern. Beim Bilanzfälschungsskandal von Enron ist im Kern dasselbe abgelaufen, was zehn Jahre später global passiert ist.
Liefern Unternehmen denn gute Geschichten?
Die Geschichte von Enron als solche liest sich langweilig. Der amerikanische Journalist Kurt Eichenwald hat den Fall akribisch recherchiert und auf 800 Seiten dokumentiert: Meeting um Meeting, dazu jede Menge Powerpoint-Präsentationen. Am Ende ist der Konzern pleite, und es gibt eine Handvoll Millionäre.
Klingt nicht besonders spannend…
…das Interessante sind die Leidenschaften der Menschen, die dahinter stecken. Das Theaterstück versucht, sie mit Mitteln des Schauspiels sichtbar zu machen.
Leidenschaften? War es nicht eher die Gier des Managements?
Jeder Taschendieb will mehr haben als vorher. Die Gier ist nur ein untergeordneter Aspekt. Die Enron-Manager glaubten, sie erfinden eine neue Ökonomie – oder mehr noch: eine neue Welt. Sie sprachen von „kreativer Buchführung“ und entwickelten hochkomplizierte Finanzmodelle, um die Firma immer reicher und glamouröser zu machen. Bis zum Zusammenbruch, weil alles auf Sand gebaut war. Sich als Speerspitze der Weltwirtschaft zu fühlen, viel smarter als alle anderen – diese Hybris hat eine andere Dimension als Gier.
Solche Allmachtsphantasien erinnern an klassische Königsdramen.
Ja, die Top-Manager sind die Könige von heute. Darin besteht ein Gutteil der Faszination für die Zuschauer. Es geht immer noch um dieselben Themen: Aufstieg, Intrigen, Entmachtung.
Je tiefer der Absturz, desto größer die Genugtuung für das Publikum?
Natürlich hat das immer etwas Populistisches: Jemand, der Jahre lang vom Alltag entrückt war, unerreichbar an der Spitze, wird plötzlich heruntergezogen. Aber die Reaktion geht über Schadenfreude hinaus. Wenn der Enron-Finanzchef Jeffrey Skilling zu 28 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt wird, gibt das dem Publikum das gute Gefühl, dass ein gewisser ethischer Kanon noch funktioniert. Im Theater wie in der Realität.
Was kann der Fall Enron Entscheidungsträger lehren?
So ein kriminelles System entsteht nur, wenn die falschen Dinge mit Anreizen versehen werden. Geht es ausschließlich um den Gewinn, darf man sich nicht wundern, wenn alle Kräfte darauf gebündelt werden. Manager müssen auch andere Ziele setzen, zum Beispiel Nachhaltigkeit.
Muss ein Top-Manager nicht immer auch ein bisschen größenwahnsinnig sein?
Sicher, mit der Maxime, irgendwie weiter zu machen, bekommt keiner einen Spitzenposten. Und gäbe es diese Leute ohne Visionen nicht, säßen wir noch auf Bäumen. Aber wem eine Idee jedes Opfer wert ist, ist immer auf dem Weg ins Verderben. Das gilt für die Politik oder Religion genauso wie für den schrankenlosen Finanzmarktkapitalismus.