Schüleraustausch in der Grundschule Mit acht Jahren zum Auslandsjahr

Fremdsprachenkenntnisse sind unerlässlich geworden. Mit 16 nach Amerika, work&travel nach dem Abitur oder ein Erasmus-Semester während des Studiums. Doch es geht noch früher: Lorn Meierkord war bereits mit acht Jahren für ein halbes Jahr in Frankreich. Ob sich dieser Aufenthalt für seine spätere Karriere lohnen wird?

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Die meistgesprochenen Sprachen der Welt
Auf einem Lebkuchenherz steht "Ich liebe Deutsch" Quelle: dpa
Bangladeshi girls perform a dance to welcome the Bengali New Year 1419 at Dhanmondi in Dhaka, Bangladesh Quelle: dpa
The Millennium BCP flag and the Portugal's flag are seen at the bank headquarters in Lisbon Quelle: REUTERS
Von der Moskwa aus haben Besucher einen guten Blick auf den Kreml in Moskau. Quelle: dpa-tmn
An Arab man reads an Arabic newspaper featuring front page pictures and the story of Ariel Sharon's victory against Ehud Barak Quelle: AP
The logo of a Le Slip Francais men Quelle: dpa
Poland's Prime Minister Donald Tusk (R) and his Spanish counterpart Mariano Rajoy Quelle: REUTERS

Es war vor zwei Jahren, als Lorn am Silvester-Abend einen großen Wunsch äußerte: „Bitte, bitte“, sagte er zu seiner Mutter. „Ich wünsche mir so sehr eine Familie in Frankreich“. Damals war Lorn sieben Jahre alt und hatte schon Großes vor - nicht nur in seiner Phantasie,  er machte wirklich ernst. Ein Jahr später wurde sein Traum zur Realität: der Verein "Allef" hatte eine Familie für ihn gefunden. Nach den Weihnachtsferien ging er nicht mehr zurück in die 4. Klasse seiner Grundschule. Stattdessen trat Lorn am 2. Januar 2013 seine Reise nach Frankreich an. Dort wartete schon sein neuer Bruder Elian auf ihn, mit dem er sich für die nächsten sechs Monate ein Zimmer teilen sollte. Fortan würde er in eine kleine französische Dorfgrundschule gehen. Seine neue Heimat: Le Besset in der Region Rhône-Alpes, idyllisch in den Bergen gelegen.

Lorn Meierkord, 9 Jahre, auf seinem Lieblingsbaum in Frankreich. Quelle: Privat

Was diese lange Zeit fern von seiner Familie bedeuten würde, darüber hatte sich Lorn in der Theorie Gedanken gemacht. Mutig, in einem Land abgesetzt zu werden, dessen Sprache und Kultur völlig fremd ist. Sich am Anfang mit Händen und Füßen zu verständigen, um gehört zu werden. Für die nächsten Monate einer neuen Familie anzugehören, wo andere Regeln gelten als zu Hause. Mit einem großen Fragezeichen auf der Stirn in der Schule zu sitzen. Erst mal keine Freunde zu haben, um Witze auszutauschen. Mitschüler, die sich über den Neuen mit dem Kauderwelsch wundern. Dies alles mit dem Ziel, nach sechs Monaten eine Fremdsprache akzentfrei zu beherrschen und nach der gesetzten Zeit die daheim Gebliebenen zu verwundern – mit der großen Leistung eines Achtjährigen, es geschafft zu haben.

Es gibt nicht viele Kinder in Lorns Alter, die sich einen halbjährigen Auslandsaustausch so früh zutrauen: „Im Schnitt sind es pro Jahr 24 Kinder aus Deutschland und Frankreich, für die wir einen Austausch organisieren“, erzählt Annette Handke-Vesely, die sich ehrenamtlich für den Verein „Allef“ engagiert. Die Zahl sei recht konstant, obwohl es wesentlich mehr sein könnten. Meistens sei das Interesse groß, ende aber mit dem Zeitpunkt, wenn für die Eltern bewusst wird, wie viel Arbeit mit dem Austausch verbunden sei. Außerdem müsse sich Jeder im Klaren darüber sein, dass das französische Austauschkind auch nach Deutschland komme. Insgesamt verbringen die beiden also ein ganzes Jahr miteinander. Wichtig bei der Vermittlung sei vor allem, dass die Eltern alle Bedingungen erfüllen, die „Allef“ an die Gastfamilien stellt. Beispielsweise werde darauf geschaut, dass beide Familien ähnliche Umstände aufweisen: Wenn eine Familie groß sei, sollte das Kind auch viele Gastgeschwister haben. Wenn die Familie in Deutschland auf dem Land lebt, dann sollte das französische Pendant nicht unbedingt in einer Stadtwohnung wohnen. „Doch nicht immer findet sich eine passende Familie für jedes Kind“, fügt sie hinzu. Mit Hilfe eines mehrseitigen Fragebogens solle herausgefunden werden, mit welcher Intention sich Eltern für einen Auslands-Austausch für ihr Kind bemühen. „Das Kind muss wollen“, so Handke-Vesely. Das sei das wichtigste.

Kind durch die Erwartung der Eltern geprägt

Das können die deutschen Grundschüler
Mit ihren Zeugnissen in den Händen jubeln Schüler der 4. Klasse in der Antonius-Grundschule im niederrheinischen Neukirchen-Vluyn Quelle: dpa/dpaweb
Ein Schüler einer Grundschule in Heiligenhaus nahe Düsseldorf schreibt einige Zeilen aus einem Buch ab Quelle: dpa/dpaweb
Im Deutschunterricht einer dritten Klasse an der Erich-Kästner-Grundschule in Frankfurt (Oder) blättert die neunjährige Janina in einem Buch Quelle: dpa
Eine Schuelerin der Sankt Paulus Grundschule in Berlin Moabit steht bei einem Schreibtest am Donnerstag, 12. August 2004, an der Tafel. Quelle: AP
 Lehrerin Petra Baumann steht (Bild vom 16.10.2003) vor der dritten Klasse der Leverkusener Remigiusschule und bringt den Kindern spielerisch die englische Sprache bei. Quelle: dpa/dpaweb
Schüler der St. Suitbertus Montessori Grundschule in Heiligenhaus nahe Düsseldorf nehmen am Englisch-Unterricht teil Quelle: dpa/dpaweb
Eine Schülerin der St. Suitbertus Montessori Grundschule in Heiligenhaus nahe Düsseldorf meldet sich Quelle: dpa

Rückblickend, fünf Monate nach Ablauf seines halben Jahres in Frankreich, fallen Lorn wieder ganz viele Gründe ein, warum er von einem Auslandsaustausch so begeistert war: „Ich wollte unbedingt nach Frankreich, um Kinder retten zu können.“ Solche, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen und nicht wissen, was sie machen sollen. Lorn möchte, dass andere Kinder auf der Welt normal leben können. „Ich bin diesem Wunsch auch schon etwas näher gekommen, weil ich ja jetzt Französisch kann“, meint er. Beispielsweise habe er schon mit einem Mann aus Frankreich gesprochen, bei dem das Haus durch einen Blitzschlag in Brand geriet. Sein Deutsch sei noch nicht so gut gewesen, deshalb habe Lorn übersetzt. Und jetzt sei ja auch noch sein französischer Gastbruder Elian bei ihm zu Hause, für den er manchmal in der Schule vermitteln müsse. Seit August lebt Elian aus Le Besset nun schon bei den Meierkords und verbrachte auch Weihnachten mit seiner Gastfamilie. "Sein Deutsch ist nach vier Monaten in Deutschland noch immer nicht so gut wie damals mein Französisch", merkt Lorn stolz an. Er wisse auch warum: „Elian schreibt immer Tagebuch auf Französisch.“ Das sei zwar erlaubt, aber dadurch lerne man die Fremdsprache nicht so intensiv. "Man müsse sich voll und ganz darauf konzentrieren."

Frau Dr. Ulrike Bowi, Leitende Psychologin für die Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des LVR-Klinikums Düsseldorf, merkt dazu an, dass dieser vermeintliche Wunsch des Kindes sehr stark durch die Erwartung seitens der Eltern widergespiegelt wird. „Ein Kind versucht sich anzupassen, den äußeren Ansprüchen zu genügen“, sagt Bowi. Wenn sie merken, dass die Eltern einen solchen Auslandsaufenthalt in der Grundschule sehr stark befürworten, dann stimme ein Kind auch leichter zu. „Kinder denken in der Regel: Was meine Eltern vorschlagen, das ist grundsätzlich gut.“ Acht- bis Zehnjährige gingen normalerweise noch nicht in den Widerstand mit ihren Eltern, wie das im pubertären Kontext oft der Fall sei. „Wenn in der Vergangenheit ältere Geschwister ins Ausland gegangen sind, sieht es ein Kind als Selbstverständlichkeit an und möchte auch gehen“, so Bowi. Was ein halbes Jahr bedeutet, können sie zeitlich noch gar nicht richtig überblicken.

Kaum in Frankreich angekommen, zählte Lorn schon die Monate bis zu seinem Geburtstag im Juni. Mit großer Freude erklärt er heute, warum es so super war, dass er in Frankreich seinen neunten Geburtstag feierte. Nicht nur, weil seine Gastfamilie dort alle Geschenke im Haus versteckte, die er suchen durfte. „Nein, das tollste war“ und dabei überschlägt sich seine Stimme fast, „dass ich nach meinem Geburtstag genau wusste, dass es nur noch vier Wochen dauern würde, bis ich nach Hause durfte“. Und außerdem wusste er, dass es drei seiner Geschwister ja auch geschafft haben: mit acht Jahren für ein halbes Jahr im Ausland. „Bei uns in der Familie ist das eben so“, sagt er und tut die Sache so ab, als wenn es das normalste auf der Welt sei, dass sich ein Viertklässler alleine ins Ausland wagt. „Meine zwei jüngeren Geschwister werden bestimmt auch ins Ausland gehen“, ist sich Lorn sicher. Zwar habe er am Anfang schon oft Heimweh gehabt, aber nach dem ersten Monat sei es nicht mehr so schlimm gewesen. Er habe sich irgendwann an Frankreich und das neue Umfeld gewöhnt. „Geweint habe ich schon“, gibt Lorn zu. Aber es gab ja noch den „Ratgeber gegen Heimweh“, das einzige deutsche Buch, das von Allef aus erlaubt war. Und wenn der nicht weiterhalf, habe Lorn sogar manchmal daran gedacht, den frankierten Brief für Notfälle abzuschicken, der jedem Kind von Allef aus mitgegeben wird. „Ich wusste nur nicht, wo ein Briefkasten war und fragen konnte ich auch noch nicht, weil ich die Vokabel nicht wusste“, erinnert sich Lorn.

Die Sprache so schnell wie möglich lernen

Die Länder mit den glücklichsten Schülern
Blick auf die isländische Hauptstadt Reykjavik Quelle: dpa
KasachstanDas zentralasiatische Steppenland steht nicht gerade für ein leistungsfähiges Schulsystem. Bei der Lesekompetenz schneiden die 15-jährigen Kasachen miserabel schlecht ab, untertroffen nur von Katar und Peru.  Doch sie sind umso glücklicher in ihren Schulen. Quelle: REUTERS
Eine Schülerin tanzt auf einer Parade am Independence Day in San Jose Quelle: REUTERS
Eine Frau schwenkt die Nationalflagge Mexikos Quelle: dapd
Schüler in Malaysia Quelle: dpa
Schüler in Kolumbien Quelle: dpa
Schüler in Thailand Quelle: dpa

Nach Aussage der Diplom-Psychologin könne es für ein junges Kind schwierig werden, wenn es sich für einen längeren Zeitraum räumlich von den Eltern entfernt. „Vor allem, wenn der Kontakt nicht mehr so intensiv gepflegt wird.“ Kinder im Grundschulalter bräuchten eigentlich noch den Schutz und die Geborgenheit der Familie. Auch wenn sie mit acht Jahren bereits anfangen, autonom und unabhängig sein zu wollen, sei eine Rückversicherung wichtig. „Sobald es für Kinder also schwierig wird, holen sie sich unter normalen Umständen die Unterstützung bei den Eltern“, erklärt die Psychologin. Das Gefühl, immer eine verlässliche Bindungsperson im Hintergrund zu haben, erleichtere den Loslösungsprozess und sei eine ganz elementare Erfahrung, um das unabhängig werden zu lernen.

Die wöchentlichen Telefonate waren für Lorn die einzigen Anknüpfungspunkte nach Hause. Rantje Meierkord, Lorns Mutter, erinnert sich noch daran, wie schwer diese Telefonate für die ganze Familie waren. „Lorn konnte nach einer gewissen Zeit gar kein Deutsch mehr“, erinnert sie sich. Daher habe sie sich immer mit ihm auf Französisch unterhalten. „Aber auch diese Unterhaltung fiel manchmal sehr wortkarg aus“, meint Meierkord. „Ich konnte aber trotzdem an der Stimme erkennen, dass es Lorn gut ging.“ Heimweh sei ihrer Meinung nach nur in den ersten Tagen ein Thema gewesen.

Dass Lorn und sein Gastbruder Elian manchmal Streit hatten, darüber sprach der Junge nicht mit seiner Mutter. „Vielmehr sollen die Eltern sich auf positive Fragen konzentrieren“, so Annette Handke-Vesely vom Verein Allef. Ansonsten wird bei den Telefonaten, die bewusst auf 20 Minuten beschränkt werden, viel zu schnell Heimweh geschürt. So oder so sei der Auslandsaustausch sehr strukturiert, damit die Kinder die Sprache so schnell wie möglich lernen und so wenig wie möglich von Einflüssen aus der Heimat abgelenkt werden. Bücher oder Filme auf Deutsch seien deswegen auch verboten.  Auch Fotos von der Familie sollen nicht unbedingt mitgenommen werden. „Wir wollen damit vorbeugen, dass die Kinder sich in der neuen Familie nicht richtig integrieren“ , so Handke-Vesely.

Lorn hat sich an die Gewohnheiten seiner neuen Familie auf Zeit angepasst, so gut es ging. Obwohl es in Frankreich viel strenger zugegangen sei. Keine Süßigkeiten, immer nur Wasser anstatt Saft. „Morgens habe ich mich manchmal sehr alleine gefühlt, weil noch niemand wach war“, sagt er. „Bei mir zu Hause ist bereits um 6 Uhr sehr viel Trubel und ich habe immer jemanden zum Spielen“, erzählt der Junge.  Abgesehen davon, dass Lorn seine „Hasen, Hund, Katzen, Geschwister und Eltern“ sehr vermisst habe, ging es ihm nach einem Monat in Frankreich eigentlich „ganz gut“, und er konnte sich auch schon langsam auf Französisch unterhalten. Lorn erinnert sich, wie er mit seinen französischen Freunden Buden im Wald baute. „Am besten war aber der Baum im Garten, auf den ich immer kletterte, wenn ich meine Ruhe haben wollte oder keine Lust auf Computer-Spielen mit der Gastfamilie hatte“, schwärmt der Blondschopf, der etwas an Astrid Lindgrens Romanfigur Michel aus Lönneberga erinnert.  Das bisschen Heimweh habe sich für Lorn, der nun in die fünfte Klasse einer Gesamtschule geht, also gelohnt. Bei dem Satz „Durch mein halbes Jahr in Frankreich habe ich nun einen Vorteil gegenüber meinen Mitschülern“,  scheint verwunderlich, dass hier gerade ein Neunjähriger spricht.

Warum schon so jung ins Ausland?

In diesen Ländern gibt es die besten Mathematik-Schüler
Norwegen liegt mit 489 Punkten im Bereich Mathematik auf dem 30. Platz und damit knapp vor ... Quelle: dpa
... dem Großherzogtum Luxemburg mit 490 Punkten. Land liegt damit unter dem OECD-Durchschnitt, allerdings verbesserten sich die Luxemburger Schüler auch im Vergleich zu 2009. Eine Besonderheit gibt es allerdings: Die 15- bis 16-jährigen Schüler schneiden um 25 Prozent besser ab als ihre Mitschülerinnen - das sind die größten geschlechterspezifischen Unterschiede der OECD. Quelle: dpa
Lettland reiht sich mit 491 Punkten auf Platz 28 an. In dem baltischen Staat hat allerdings im Vergleich zum vergangenen Testzeitraum die Chancengleichheit abgenommen. Quelle: dpa
Mit Island und seinen 493 Punkten reiht sich der zweite nordische Staat unter die Top30. Das Land gehört allerdings zu den Verlierern im Test und verliert im Vergleich zu 2009 14 Punkte. Quelle: dapd
Genau im Durchschnitt der untersuchten Länder liegt mit 494 Punkten das Vereinigte Königreich Großbritannien. Quelle: REUTERS
Frankreich reicht sich mit 495 Punkten auf Platz 25 ein. Allerdings ist auffällig, dass die Franzosen im Bereich Chancengleichheit und Leistungsunterschiede besonders schlecht dastehen. Quelle: dpa
Die Tschechische Republik hat mit 499 Punkten einen leichten Abwärtstrend im Fach Mathematik zu verzeichnen, besonders schlecht werden die Leistungsunterschiede beurteilt. Quelle: dpa

Für Frau Ulrike Bowi sollte dieser vermeintliche Vorteil nicht ausschlaggebend für einen Auslandsaufenthalt in der Grundschule sein. „Die grundsätzliche Frage, die sich mir hier stellt: Ist es sinnvoll und überhaupt notwendig, ein Kind im Grundschulalter für einen halbjährigen Auslandsaufenthalt in die Welt zu schicken?“ Aus Karriereaspekten reiche es vollkommen aus, wenn die Möglichkeiten wahrgenommen werden, die auf der weiterführenden Schule, nach dem Abschluss oder im Studium angeboten werden. Für die Förderung der Selbständigkeit müsse es nicht sofort ein Auslandsaufenthalt mit acht oder neun sein. „Die Kinder sind noch sehr jung und fangen gerade an, sich von den Eltern zu lösen“, erklärt Bowi. Sie mögen von außen gesehen zwar selbständig handeln, aber emotional sehe es oft ganz anders aus. Es genüge vollkommen, wenn ein Kind mal auf Klassenfahrt geht, bei Freunden übernachtet oder für eine Woche in eine Ferienfreizeit fährt. „Aber ich würde ein halbes Jahr in einer fremden Familie im Ausland durchaus kritisch bewerten“, so ihr Fazit.

„Natürlich haben sich viele gewundert, warum so jung schon ins Ausland?“, meint Rantje Meierkord. Lorns Mutter habe aber den Eindruck gehabt, für ihren Sohn sei es weniger schwierig gewesen als für sie selbst. Sie gehe davon aus, dass sich Kinder schon nach kurzer Zeit integrieren, an die neue Umgebung hervorragend anpassen und sich an ihren Mitschülern orientieren, während die Eltern zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung bleiben und sich fragen, ob es dem Kind gut geht. „Ich habe festgestellt, dass Lorn inzwischen noch selbständiger geworden ist und Dinge ganz alleine regelt“, so Meierkord.

Dass Lorn nach seinem Frankreich-Aufenthalt anfangs überhaupt kein Deutsch mehr konnte, bereitet ihm keine Sorgen. Ganz im Gegenteil. „Weil ich Probleme mit der deutschen Rechtschreibung habe, bekomme ich manchmal extra Übungsaufgaben“, erklärt er. Nur für seinen besten Freund Tim sei es manchmal etwas schade, wie Lorn mit gesenkter Stimme anmerkt. Zwar mache er alles mit ihm zusammen, nur im Sprachunterricht gingen die beiden Jungs verschiedene Wege. „Weil ich ja schon Französisch spreche, kann ich jetzt mit Spanisch anfangen“, meint der Neunjährige, aus dem die Stimme eines Erwachsenen spricht. „Ich möchte alle Sprachen lernen, die an meiner Schule angeboten werden.“

Dafür wieder eine längere Zeit ins Ausland gehen, das möchte er derzeit lieber nicht. „Ich würde kein halbes Jahr mehr weg sein wollen" kommt wie aus der Pistole geschossen. Lieber ein bisschen kürzer. Vielleicht drei Monate. Der Grund sei Momo. Das wilde Pony habe sonst niemanden, das ihn reite. Und überhaupt: „In Deutschland kann ich viel bessere Sachen machen als in Frankreich“, argumentiert Lorn. Und außerdem genieße er das Gefühl, seine Familie um sich zu haben. Das sei auch der Grund gewesen, warum der Junge nach Ablauf seiner sechs Monate nicht noch eine Woche Urlaub mit der Gastfamilie dranhängen wollte. Er habe sich vielmehr aufs Surfen und Segeln mit seiner eigenen Familie gefreut. Von Niedersachsen sei das Meer ja nicht weit. In Frankreich seien nichts als Berge und Wiesen gewesen. Nur ein einziges Haus, in dem der Austauschschüler mit seiner Gastfamilie wohnte. „Die Umgebung war sehr schön, oft war mir aber langweilig“, urteilt Lorn. „In den Sommerferien muss ich aber wieder hin, weil man dann die Sprache nicht so schnell vergisst“, und wirkt etwas nachdenklich und macht sich bereits Gedanken, wer sich in der Zeit um sein Lieblingspony kümmert.

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