Für Frau Ulrike Bowi sollte dieser vermeintliche Vorteil nicht ausschlaggebend für einen Auslandsaufenthalt in der Grundschule sein. „Die grundsätzliche Frage, die sich mir hier stellt: Ist es sinnvoll und überhaupt notwendig, ein Kind im Grundschulalter für einen halbjährigen Auslandsaufenthalt in die Welt zu schicken?“ Aus Karriereaspekten reiche es vollkommen aus, wenn die Möglichkeiten wahrgenommen werden, die auf der weiterführenden Schule, nach dem Abschluss oder im Studium angeboten werden. Für die Förderung der Selbständigkeit müsse es nicht sofort ein Auslandsaufenthalt mit acht oder neun sein. „Die Kinder sind noch sehr jung und fangen gerade an, sich von den Eltern zu lösen“, erklärt Bowi. Sie mögen von außen gesehen zwar selbständig handeln, aber emotional sehe es oft ganz anders aus. Es genüge vollkommen, wenn ein Kind mal auf Klassenfahrt geht, bei Freunden übernachtet oder für eine Woche in eine Ferienfreizeit fährt. „Aber ich würde ein halbes Jahr in einer fremden Familie im Ausland durchaus kritisch bewerten“, so ihr Fazit.
„Natürlich haben sich viele gewundert, warum so jung schon ins Ausland?“, meint Rantje Meierkord. Lorns Mutter habe aber den Eindruck gehabt, für ihren Sohn sei es weniger schwierig gewesen als für sie selbst. Sie gehe davon aus, dass sich Kinder schon nach kurzer Zeit integrieren, an die neue Umgebung hervorragend anpassen und sich an ihren Mitschülern orientieren, während die Eltern zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung bleiben und sich fragen, ob es dem Kind gut geht. „Ich habe festgestellt, dass Lorn inzwischen noch selbständiger geworden ist und Dinge ganz alleine regelt“, so Meierkord.
Dass Lorn nach seinem Frankreich-Aufenthalt anfangs überhaupt kein Deutsch mehr konnte, bereitet ihm keine Sorgen. Ganz im Gegenteil. „Weil ich Probleme mit der deutschen Rechtschreibung habe, bekomme ich manchmal extra Übungsaufgaben“, erklärt er. Nur für seinen besten Freund Tim sei es manchmal etwas schade, wie Lorn mit gesenkter Stimme anmerkt. Zwar mache er alles mit ihm zusammen, nur im Sprachunterricht gingen die beiden Jungs verschiedene Wege. „Weil ich ja schon Französisch spreche, kann ich jetzt mit Spanisch anfangen“, meint der Neunjährige, aus dem die Stimme eines Erwachsenen spricht. „Ich möchte alle Sprachen lernen, die an meiner Schule angeboten werden.“
Dafür wieder eine längere Zeit ins Ausland gehen, das möchte er derzeit lieber nicht. „Ich würde kein halbes Jahr mehr weg sein wollen" kommt wie aus der Pistole geschossen. Lieber ein bisschen kürzer. Vielleicht drei Monate. Der Grund sei Momo. Das wilde Pony habe sonst niemanden, das ihn reite. Und überhaupt: „In Deutschland kann ich viel bessere Sachen machen als in Frankreich“, argumentiert Lorn. Und außerdem genieße er das Gefühl, seine Familie um sich zu haben. Das sei auch der Grund gewesen, warum der Junge nach Ablauf seiner sechs Monate nicht noch eine Woche Urlaub mit der Gastfamilie dranhängen wollte. Er habe sich vielmehr aufs Surfen und Segeln mit seiner eigenen Familie gefreut. Von Niedersachsen sei das Meer ja nicht weit. In Frankreich seien nichts als Berge und Wiesen gewesen. Nur ein einziges Haus, in dem der Austauschschüler mit seiner Gastfamilie wohnte. „Die Umgebung war sehr schön, oft war mir aber langweilig“, urteilt Lorn. „In den Sommerferien muss ich aber wieder hin, weil man dann die Sprache nicht so schnell vergisst“, und wirkt etwas nachdenklich und macht sich bereits Gedanken, wer sich in der Zeit um sein Lieblingspony kümmert.