Selbstmotivation Wie man Tatendrang trainiert

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Geld alleine spornt nicht an Quelle: dpa

Diese Regel gilt auch heute noch. Die Managementberatung Kienbaum befragte vor einem Jahr 189 Konzerne und mittelständische Unternehmen, worauf sie bei High Potentials am meisten achten. Das Ergebnis war deutlich. Für 85 Prozent ist hoher Wille ein Muss – noch vor Lernbereitschaft, der Fähigkeit zur Selbstkritik oder Belastbarkeit. Bis vor wenigen Jahren wussten Psychologen nur, wie sich Leidenschaft und Leistungsbereitschaft – die sogenannte intrinsische Motivation – zerstören lässt. Besonders kontraproduktiv: finanzielle Anreize. 1999 wertete der US-Psychologe Edward Deci von der Universität von Rochester 128 Studien aus, die sich mit den Folgen von Belohnungen beschäftigten. Sein Fazit: „Materielle Belohnungen zerstören intrinsische Motivation.“

Mehr Geld spornt nicht an – dahinter steckt folgendes Prinzip: Wenn wir etwas gerne tun, etwa, weil wir es genießen oder daraus lernen, sind wir von alleine motiviert. Kommt die Belohnung ins Spiel, fokussieren wir uns unmittelbar auf sie – und gehen der Tätigkeit nicht mehr aus purem Vergnügen, sondern reinem Profitstreben nach. Vereinfacht gesagt: Wir verlieren die Lust. Inzwischen haben Forscher jedoch herausgefunden: Volition ist keine gottgegebene Eigenschaft, die der eine hat und der andere nicht. Vielmehr funktioniert Willenskraft ähnlich wie ein Muskel. Regelmäßiges Training kann sie stärken – und Rasten führt zum Rosten.

Diese Erkenntnis geht vor allem zurück auf Untersuchungen von Roy Baumeister. Der Psychologieprofessor der Florida-State-Universität gilt als Entdecker der sogenannten „Ego-Depletion“-Theorie. Vereinfacht gesagt: Je mehr Willenskraft wir aufwenden, desto mehr Energie verbrauchen wir, bis der Tank irgendwann leer ist. Buchstäblich.

Häufiges Ablenken vermeiden

In einer Studie im Jahr 2008 ließ Baumeister seine Probanden Aufgaben lösen, die ihre Selbstbeherrschung auf die Probe stellten. Sie mussten beispielsweise einen Film ansehen, der sie entweder zum Lachen oder zum Weinen animierte – allerdings trug Baumeister ihnen auf, keine Regung zu zeigen. Die Kontrollgruppe durfte ihren Gefühlen hingegen freien Lauf lassen. Im Anschluss nahm er Blutproben der Teilnehmer und maß den Zuckergehalt. Und siehe da: Wer im Versuch keine Gefühlsregung zeigen durfte, hatte einen weitaus niedrigeren Blutzuckerspiegel, also hohen Energieverbrauch. Bei der Kontrollgruppe waren die Werte hingegen gleich geblieben. In einem anschließenden Experiment testete Baumeister die Selbstkontrolle aller Teilnehmer – am schlechtesten schnitten diesmal diejenigen ab, die bereits im ersten Versuch ihre Gefühle kontrollieren mussten.

Claudius Nassabi kann das bestätigen. Er ist Marketingchef von Human, einem Wiesbadener Hersteller von Laborgeräten mit deutschlandweit 200 Mitarbeitern. Im Job fiel Nassabi auf, dass er sich häufig ablenken ließ und die unwichtige Spreu bisweilen nicht vom wichtigen Weizen trennte. Ein Coaching bestätigte ihm die Schwäche. Diese Selbsterkenntnis war der erste Weg zur Besserung. Wenn er jetzt im Job emotional belastende Situationen erlebt, versucht er, sich zu beruhigen und trotzdem konzentriert zu bleiben. Inzwischen gelingt es ihm viel besser, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten und sachlich zu bleiben. Und er konzentriert sich auf wesentliche Dinge, ohne sich dabei ablenken zu lassen. Mit erfreulichen Folgen: „Ich vergeude weniger Arbeits- und Lebenszeit“, sagt Nassabi.

Das Verblüffende ist: Eigentlich könnten wir im Berufsalltag auch ohne Willenskraft auskommen. Zumindest theoretisch. Dann nämlich, wenn uns eine Aufgabe so viel Freude bereitet, dass wir sie ohne Überwindung bewältigen. Im Extremfall führen solche Situationen zum sogenannten Flow-Erlebnis, bei dem die Personen völlig in einer Tätigkeit versinken. Bloß: Dieses Vergnügen haben nur wenige Arbeitnehmer. Eher dominieren Frust und Unlust. Berufspendler klagen etwa über hohe Benzinpreise, die Angestellten im Großraumbüro über zu laute Kollegen, Führungskräfte über planlose Geschäfts-führungen. Das Geld wird weniger, die Angst um den Job steigt, der Druck am Arbeitsplatz ebenfalls. Und genau deshalb müssen wir auf Volition zurückgreifen, um unsere Aufgaben zu erledigen und Ziele zu erreichen. Die sei „die zweitbeste Lösung“, sagt der Motivationspsychologe Hugo Kehr, Professor an der TU München.

Experimente haben auch gezeigt, wie sich Willenskraft steigern lässt. Demnach haben vor allem Träume und Visionen einen großen Einfluss auf sie. „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommele nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen“, schrieb einst der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry, „sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Was sich nach esoterischem Gesäusel anhört, funktioniert in der Realität durchaus. Schon bei Schülern.

Mesmin Destina und Daphna Oyserman von der Universität von Michigan befragten in einer aktuellen Studie 266 Fünft- bis Achtklässler, wo sie sich in zehn Jahren sehen und welchen Traumberuf sie hatten. Zwar erwarteten nur 46 Prozent aller Befragten, später einen Beruf auszuüben, für den eine gute Ausbildung wichtig ist – aber genau diese Gruppe investierte am meisten Zeit in ihre Hausaufgaben. Mehr noch: Sie hatte auch die besten Noten. In einem zweiten Test teilten die Wissenschaftlerinnen 295 Schüler in zwei Gruppen. Die eine bekam einen Vortrag über den Zusammenhang von fleißigem Lernen und erfolgreichen Berufen. Die andere erfuhr etwas über die hohen Einkommen von Sportlern, Musikern und Schauspielern. Nach den unterschiedlichen Referaten bekamen beide Gruppen die Möglichkeit, Pluspunkte für das laufende Schuljahr zu sammeln, wenn sie eine freiwillige Extra-Hausaufgabe übernahmen. Das Resultat überraschte selbst die erfahrenen Forscher: Von der ersten Gruppe entschieden sich achtmal mehr Schüler für die Zusatzarbeit. Die Kraft der Visionen eben.

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