Studie zu Kriminalität Armut macht keine Kriminellen

Armut macht keine Kriminellen, Kriminelle sind nur häufiger arm: Zu dieser Erkenntnis kommen schwedische Forscher in einer neuen Studie.

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Kinder, die in Armut hinein geboren werden, neigen eher zu Kriminalität. Der Grund dafür ist aber nicht die Armut selbst. Denn auch Kinder aus Familien, die sozial aufgestiegen sind, begehen eher Straftaten. Quelle: dpa

Demnach begehen Kinder aus armen Familien eher Gewalttaten und nehmen häufiger Drogen. Das gilt auch für Familien, die ursprünglich arm waren, über die Jahre aber aufgestiegen sind. Da die Kinder schon in relativen Wohlstand geboren wurden, gehen die Forscher davon aus, dass Armut nicht die Wurzel der Kriminalität sein kann.

Für ihre Studie untersuchten die Autoren Daten von über einer halben Million Schweden, die zwischen 1989 und 1993 geboren wurden. Dabei berücksichtigten sie Eigenschaften wie den Bildungsstand, das jährliche Familieneinkommen und Verurteilungen sowie Daten über die Geschwister in der Untersuchung. Die Wissenschaftler erfassten außerdem, ob Jugendliche ab ihrem 15. Geburtstag zu einer Haftstrafe verurteilt wurden.

Wie die Armut in Deutschland aussieht
Der Graben zwischen Arm und Reich ist tiefer geworden. Auf die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte entfielen 53 Prozent (Stand: 2008, neuere Zahlen liegen nicht vor) des gesamten Nettovermögens. 1998 lag die Quote bei 45 Prozent. Die untere Hälfte der Haushalte besaß zuletzt lediglich gut ein Prozent des Nettovermögens. 2003 waren es drei Prozent. Von 2007 bis 2012 hat sich das Gesamtvermögen der Haushalte trotz der Finanzkrise um weitere 1,4 Billionen Euro erhöht. Quelle: dapd
Fast jeder vierte Beschäftigte arbeitet in Deutschland für einen Niedriglohn von weniger als 9,54 Euro pro Stunde. Ihr Anteil an allen Beschäftigten war im Jahr 2010 mit 24,1 Prozent so groß wie in kaum einem anderen Staat der Europäischen Union (EU). Selbst in Zypern oder Bulgarien gibt es weniger Niedriglöhner. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Unter den 7,1 Millionen Beziehern von Niedriglöhnen hierzulande sind Geringqualifierte fast die Ausnahme: Mehr als 80 Prozent der Geringverdiener in Deutschland hätten eine abgeschlossene Berufsausbildung. Besonders hoch sei der Anteil der Niedriglöhner bei Frauen und Teilzeitbeschäftigten. Quelle: dpa
Der Staat ist ärmer geworden. Sein Nettovermögen schrumpfte zwischen Anfang 1992 und Anfang 2012 um über 800 Milliarden Euro, während es sich bei den privaten Haushalten um gut fünf Billionen Euro mehr als verdoppelte. Zu dieser Entwicklung trug die Privatisierungspolitik aller Regierungen in diesem Zeitraum bei. Die Erlöse aus dem Verkauf öffentlichen Tafelsilbers versickerten in den Haushalten. Quelle: dapd
Die „Armutsgefährdungsschwelle“ liegt nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes bei 952 Euro im Monat. Je nach Datengrundlage gilt dies für 14 bis 16 Prozent der Bevölkerung. Hauptgrund für Armut ist Arbeitslosigkeit. Auch für Alleinerziehende ist das Risiko hoch. Quelle: dpa
Der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor stieg und lag zuletzt zwischen 21 und 24 Prozent. Im Jahr 2010 waren 7,9 Millionen Arbeitnehmer betroffen. Die Niedriglohngrenze liegt bei 9,15 Euro pro Stunde. Quelle: dpa
Nur 2,6 Prozent der über 65-Jährigen sind derzeit auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Quelle: dpa
Die Arbeitslosigkeit sank im Berichtszeitraum auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen reduzierte sich zwischen 2007 und 2012 von 1,73 Millionen auf 1,03 Millionen oder um mehr als 40 Prozent. In der EU weist Deutschland aktuell die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit aus - begünstigt von der Hartz-IV-Gesetzgebung: Seit 2005 müssen Langzeitarbeitslose auch schlecht bezahlte Jobs annehmen. Die Ausweitung von Niedriglohnsektor und atypischer Beschäftigung (Zeitarbeit, Teilzeitarbeit, Minijobs) ging laut Bericht nicht zulasten von Normalarbeitsverhältnissen. Quelle: dapd

Der Zusammenhang zwischen Armut und Kriminalität ist für die Studienautoren klar: Kinder aus Familien, die sich im unteren Fünftel der schwedischen Einkommensspanne bewegen, wurden sieben Mal so oft für Gewalt- und Drogendelikte verurteilt wie Kinder aus dem oberen Fünftel. Anders sieht die Erkenntnis für die Kausalität aus. Denn Kinder aus Familien, die sich aus der Armut heraus gekämpften und unter besseren Verhältnissen geboren wurden, sind fast genau so häufig kriminell geworden wie ihre älteren Geschwister.

Da die Armut selbst nicht Grund für die Kriminalität sein kann, nehmen die Forscher an, dass die Neigung zu Verbrechen an der Familienkultur liegt. Diese kann trotz besserer finanzieller Verhältnisse bestehen bleiben und die Kinder negativ beeinflussen – etwa weil der große, Drogen dealende Bruder als Vorbild dient. Ein anderer möglicher Grund: Es ist eine Frage der Gene. Menschen in unteren Einkommensschichten können beispielsweise eine veranlagte, niedrigere Selbstbeherrschung aufweisen. Diese verhindert einerseits, dass sie sparen und den Ehrgeiz mitbringen, Karriere zu machen. Andererseits führt sie dazu, dass sie eher zuschlagen und sich Drogen hingeben.

Beide Alternativen kommen zum gleichen Schluss: Ein gesellschaftlicher Aufstieg verändert Menschen nicht.

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