In Deutschland ist Mitbestimmung doch längst Realität...
Was nicht verhindert hat, dass Menschen zunehmend keinen Sinn mehr in ihrer Arbeit finden. Das müssen wir ändern. Wir können große Herausforderungen ja nicht bewältigen mit Menschen, die ihr berufliches Maximalziel in einer Work-Life-Balance aus möglichst wenig Arbeit und möglichst viel Freizeit sehen.
Was spricht gegen Menschen, die lieber Zeit mit Familie und Freunden verbringen, statt als Workaholic im Burn-out zu enden?
Nichts. Aber die Suche nach dem Heil im Privatleben folgt einer falschen Motivation. Es ist nicht die Entscheidung für mehr Privatleben. Sondern eine Entscheidung gegen die vorherrschende Art, zu arbeiten. Ein Kompensat für das Verschwinden des Sinns ihrer Arbeit und damit Ausdruck tiefster Frustration über fehlende Entfaltungsmöglichkeiten im Unternehmen.
Was gute Führung ausmacht
Laut einer Umfrage der "Initiative Neue Qualität der Arbeit" unter 400 Führungskräften sind Flexibilität und Diversität sind weitgehend akzeptierte Erfolgsfaktoren. Das Arbeiten in beweglichen Führungsstrukturen, mit individueller Zeiteinteilung und in wechselnden Teamkonstellationen ist aus Sicht der meisten Führungskräfte bereits auf einem guten Weg. Die Idee der Förderung von Unterschiedlichkeit ist demnach in den Unternehmen angekommen und wird umgesetzt. Die Beiträge zur Führungskultur gerade aus weiblichen Erfahrungswelten werden äußerst positiv bewertet.
Prozesskompetenz ist für alle das aktuell wichtigste Entwicklungsziel. 100 Prozent der interviewten Führungskräfte halten die Fähigkeit zur professionellen Gestaltung ergebnisoffener Prozesse für eine Schlüsselkompetenz. Angesichts instabiler Marktdynamik, abnehmender Vorhersagbarkeit und überraschender Hypes erscheint ein schrittweises Vortasten Erfolg versprechender als die Ausrichtung des Handelns an Planungen, deren Verfallsdatum ungewiss ist.
Selbst organisierende Netzwerke sind das favorisierte Zukunftsmodell. Die meisten Führungskräfte sind sich sicher, dass die Organisation in Netzwerkstrukturen am besten geeignet ist, um die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt zu bewältigen. Mit der kollektiven Intelligenz selbst organisierender Netzwerke verbinden diese Führungskräfte die Hoffnung auf mehr kreative Impulse, höhere Innovationskraft, Beschleunigung der Prozesse und Verringerung von Komplexität.
Hierarchisch steuerndem Management wird mehrheitlich eine Absage erteilt. Die meisten Führungskräfte stimmen darin überein, dass Steuerung und Regelung angesichts der Komplexität und Dynamik der zukünftigen Arbeitswelt nicht mehr angemessen sind. Zunehmende Volatilität und abnehmende Planbarkeit verringern die Tauglichkeit ergebnissichernder Managementwerkzeuge wie Zielemanagement und Controlling. Überwiegend wird die klassische Linienhierarchie klar abgelehnt und geradezu zum Gegenentwurf von „guter Führung“ stilisiert.
Kooperationsfähigkeit hat Vorrang vor alleiniger Renditefixierung. Über die Hälfte der interviewten Führungskräfte geht davon aus, dass traditionelle Wettbewerbsstrategien die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben und das Prinzip Kooperation weiter an Bedeutung gewinnt. Nur noch 29,25 Prozent der Führungskräfte präferieren ein effizienzorientiertes und auf die Maximierung von Profiten ausgerichtetes Management als ihr persönliches Idealmodell von Führung.
Persönliches Coaching ist ein unverzichtbares Werkzeug für Führung. Mit dem Übergang zur Netzwerkorganisation schwindet der selbstverständliche Schonraum hierarchischer Strukturen. Die Durchsetzung eigener Vorstellungen über Anweisung werde immer schwieriger oder sei gar nicht mehr möglich. Mächtig ist nur, was auf Resonanz trifft. Einfühlungsvermögen und Einsichtsfähigkeit werden dadurch immer wichtiger. Alle Akteure, ob nun Führungskraft oder geführte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bräuchten im Unternehmen mehr Reflexion und intensive Entwicklungsbegleitung.
Motivation wird an Selbstbestimmung und Wertschätzung gekoppelt. Die Führungskräfte gehen davon aus, dass die motivierende Wirkung von Gehalt und anderen materiellen Anreizen tendenziell abnimmt. Persönliches Engagement wird mehr mit Wertschätzung, Entscheidungsfreiräumen und Eigenverantwortung assoziiert. Autonomie werde wichtiger als Statussymbole und der wahrgenommene Sinnzusammenhang einer Tätigkeit bestimme den Grad der Einsatzbereitschaft.
Gesellschaftliche Themen rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit. In der intuitiven Schwerpunktsetzung der Führungskräfte nimmt die Stakeholder-Perspektive des Ausgleichs der Ansprüche und Interessen von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einen wachsenden Raum ein. Über 15 Prozent aller frei genannten Beschreibungen im Führungskontext beschäftigen sich mit Fragen der gesellschaftlichen Solidarität und der sozialen Verantwortung von Unternehmen.
Das Arbeitsleben ist eben kein Ponyhof – und bisher sind die Unternehmen doch mit dem Leistungsgedanken ganz gut gefahren...
Was tradierte Geschäfte und Branchen angeht: ja. Was grundlegende Innovationen angeht: nein. Unsere Wirtschaft ist immer noch geprägt von Branchen wie Maschinen- und Anlagenbau, Automobilproduktion und Spezialchemie. In der Informations- wie in der Biotechnologie sind uns die USA schier uneinholbar enteilt. Unsere Innovationen sind getrieben von Effizienz und Rationalisierung des Bestehenden, unser Verständnis von Führungsarbeit vom Heldenmythos unserer Vergangenheit. Wir müssen unsere Innovationsfähigkeit also dringend stimulieren. Und das funktioniert nur mit einer neuen, demokratisierten Arbeitskultur.
Zur Person
Sattelberger, 65, zählt zu den renommiertesten Personalexperten Deutschlands. Der Betriebswirt startete 1975 als Personaler bei Daimler-Benz, wechselte 1994 zur Lufthansa, wurde 1999 Vorstand des Passagiergeschäfts. 2003 ging er als Personalvorstand zu Conti, von 2007 bis 2012 in gleicher Funktion zur Deutschen Telekom, wo er mit Einführung der Frauenquote für Aufsehen sorgte. Über die Initiative Neue Qualität der Arbeit und als Vorsitzender der HR Alliance kämpft er für bessere Personalarbeit.
Jetzt malen Sie mal den Teufel nicht an die Wand – in Sachen Industrie 4.0 zum Beispiel sind deutsche Unternehmen doch ganz vorn dabei...
Nach aktuellen Untersuchungen haben zwei Drittel des Mittelstands noch nie etwas davon gehört. Und seien wir doch mal ehrlich: Industrie 4.0 ist heute noch nicht mehr als eine kastrierte, für deutsche Produktionsverhältnisse passend gemachte Form der Digitalisierung. Für Innovationen durch Geschäftssysteme aus digitalen Räumen wie iPod, Spotify, dem Fahrdienst Uber oder der Übernachtungsplattform Airbnb besitzen wir in Deutschland nicht einmal die Kompetenz. Zudem laufen wir Gefahr, darüber Arbeitswelten zu schaffen, die nur von Ingenieuren und Informatikern geplant sind. Wenn wir also die Entstehung eines hochgradigen digitalen Taylorismus verhindern wollen...
...also die detaillierte Vorgabe der Arbeitsmethode, die exakte Festlegung von Ort und Zeit der Arbeitsleistung, extrem kleinteilige Arbeitsaufgaben, eine Einbahnstraßen-Kommunikation und Vorgaben, deren Zusammenhang mit dem Unternehmensziel für den Mitarbeiter nicht zu erkennen sind...
...müssen wir jetzt nicht nur die Technologie-, sondern auch unsere Arbeitswelt an die neue Zeit anpassen und neben einer technologischen auch eine soziale Digitalkompetenz entwickeln.
Wie soll die aussehen?
Wir müssen Antworten finden auf Fragen, die sich im Umgang mit den neuen Freiheitsgraden stellen: dass Menschen an der Basis souveräne Produktionsentscheidungen treffen. Dass Teams selbst bestimmen, wen sie rekrutieren und wen sie als Führungskräfte akzeptieren. Dass Menschen ihre in der digitalen Arbeit neu gewonnene Zeit- und Orts-Souveränität souverän nutzen. Dass sich Projektleiter die Akzeptanz ihres Teams täglich erarbeiten müssen, weil sie sonst abgewählt werden.
Warum sollten sich Unternehmen freiwillig darauf einlassen?
Unterschätzen Sie nicht, wie sehr insbesondere jüngere Mittelständler gerade mit unterschiedlichen Formen von Unternehmensdemokratie experimentieren: Egal, ob der Schweizer Softwareanbieter Umantis seine Führungskräfte wählen lässt oder Mitarbeiter beim Berliner Spieleentwickler Wooga Entscheidungen bei der Produktentwicklung treffen. Hier geht es nicht nur um Talent-, sondern um Systemwettbewerb.