
WirtschaftsWoche: Herr Sattelberger, als Personalvorstand der Deutschen Telekom haben Sie sich noch mit den Gewerkschaften gefetzt – jetzt zählen Sie zu den Organisatoren eines Symposiums mit dem blumigen Titel „Das demokratische Unternehmen“. Welche Sau treiben Sie denn da durchs Dorf?
Sattelberger: Da geht’s weder um blumige Ideen noch einen künstlichen Beraterhype. Sondern um den Wunsch von Mitarbeitern, an der Strategieentwicklung ihres Unternehmens teilzuhaben. Als souveräner Unternehmensbürger über die eigene Arbeitsorganisation zu entscheiden. Mitzureden in der Frage, wer mich führt. Am materiellen Ergebnis beteiligt zu werden – nicht nur über jährliche Ergebnisbeteiligung, sondern durch Beteiligung am Produktivkapital. Also Betroffene zu Beteiligten zu machen statt zu Opfern von Entscheidern.
Klingt eher nach romantischen Kampfparolen aus den Siebzigerjahren als nach ökonomischer Realität des Jahres 2015. Haben wir heute nicht wichtigere Herausforderungen zu bewältigen, etwa die Digitalisierung, die demografische Entwicklung oder den Fachkräftemangel?
Entkleidet man den Begriff seiner gesellschaftlich-politischen Dimension, erkennt man doch sehr schnell, dass die Frage nach einem demokratischen Unternehmen unmittelbar mit den von Ihnen genannten Herausforderungen zusammenhängen.
Was Mitarbeiter an Arbeitgeber bindet
Umfrage unter 665 Entscheidern in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Quelle: Hys HR-Report 2014/15
70% der Befragten halten interessante Aufgaben für ein geeignetes Mittel, um Mitarbeiter an den Arbeitgeber zu binden. Umgesetzt haben dies bereits 60%.
63% der Befragten sehen eine marktgerechte Entlohnung als besonders geeignet an, um Mitarbeiter an den Arbeitgeber zu binden. Dies umgesetzt haben 55%.
Um Mitarbeiter an den Arbeitgeber zu binden, halten 67% der Befragten Maßnahmen zur Work-Life-Balance für besonders geeignet. Als bereits umgesetzt betrachten dies 46%.
Personalentwicklung ist für 63% ein geeignetes Mittel zur Bindung von Mitarbeitern an den Arbeitgeber. 45% haben dies bereits umgesetzt.
95% der Entscheider halten eine wertschätzende Unternehmenskultur und ein gutes Betriebsklima für besonders geeignet um Mitarbeiter an den Arbeitgeber zu binden. 53% geben an dies schon umgesetzt zu haben.
Warum?
Weil die Notwendigkeit einer Demokratisierung von Unternehmen von drei Trends getrieben wird: erstens von neuen digitalen Technologien, die Souveränität und Freiheitsraum des Einzelnen erhöhen – also wann ich wo, wie und mit wem arbeite.
Das Mantra der Generation Y...
Ich bin nun wirklich kein Apologet der Generation Y. Aber gute Köpfe lassen sich nun mal nicht gängeln. Und die Macht der Talente – dem zweiten Treiber der Unternehmensdemokratisierung – wächst unaufhaltsam. Wir leiden seit Jahren unter dem Weggang unserer Talente. Und zwar nicht, weil sie in Deutschland zu wenig Geld verdienen. Sondern weil sie über die miesen Arbeitskulturen klagen.
Neue Managementmethoden mit flachen Hierarchien
Motivierender als klassische Seminare sind Veranstaltungen, die flache Hierarchien, Selbstorganisation und Ideenaustausch fördern.
Zu Beginn befragen sich jeweils zwei Teilnehmer gegenseitig zu einem Thema und veröffentlichen die Erkenntnisse auf einer Pinnwand. Anschließend bilden die Teilnehmer einen großen Kreis mit Pinnwänden, auf denen jeder Teilnehmer ein Thema vorschlagen kann. Dann verteilen sich die Anwesenden gemäß ihren Interessen. So entstehen Arbeitsgruppen, die anschließend die Themen vertiefen. Es gilt das „Gesetz der zwei Füße“: Wer sich langweilt, der schließt sich einer anderen Diskussion an. Am Ende stellen die Gruppen ihre Ergebnisse vor, die Zuhörer geben Feedback. Das Ziel: Aus der Diskussion soll ein konkretes Projekt entstehen.
Bei diesem Format werden nur Ort und Teilnehmer vorgegeben – Themen und Referenten ergeben sich spontan aus dem Teilnehmerkreis. Wer mag, kann einen Beitrag vorbereiten, andere referieren frei über ihr Fachgebiet, wobei sie aber nur eine Einführung geben und die anschließende Diskussion strukturieren. Da sich die vor Ort entstehende Agenda konsequent an den Interessen der Teilnehmer orientiert, wird keine Zeit verschwendet und nicht am Thema vorbei diskutiert. Es entsteht ein kritischer Dialog auf Augenhöhe, ohne starre Hierarchien.
In diesem Format, dessen Name sich vom gleichnamigen US-Paketdienst ableitet, beschäftigen sich Fachleute aus verschiedenen Bereichen einen Tag lang mit einem Thema, das außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs liegt. Die Idee: mit frischer Perspektive unbelastet von Fachexpertise über Problemstellungen nachdenken. Die Ergebnisse müssen am Ende des Tages präsentiert werden, so entstehen schnell neue Konzepte bis hin zu Prototypen.
Und drittens?
Der Wunsch nach Teilhabe. Wo man hinschaut, bröckeln tradierte Wissensstrukturen, weil sich Menschen vernetzen. Selbstbewusste Patienten konfrontieren Halbgötter in Weiß mit medizinischem Wissen, das sie über Netz-Gemeinschaften gesammelt haben. Konsumenten setzen Unternehmen mit eigenen Produktideen unter Druck, aufgeklärte Bürger lassen sich von den Energiemonopolisten nicht mehr bevormunden, sondern forcieren dezentrale Versorgungsmodelle. Selbst Vorlesungen von Harvard-Professoren sind keine elitären Präsenzveranstaltungen mehr, sondern können inzwischen von Menschen jeden Alters auch in Somalia zeit- und ortsunabhängig genutzt werden. Kurz: Die Grenzen verflüssigen sich, die Zeit des Herrschaftswissens geht vorbei, Partizipation ist die neue Wertschöpfung. So wie im Privaten wollen Menschen auch in ihrem Unternehmen zu zentralen Themen eine Stimme besitzen.
Was Manager tun können, um Begeisterung zu entfachen
Viele Unternehmen lassen sich bei der Personalauswahl noch zu häufig allein von der Fachexpertise, dem Leistungswillen und der Eloquenz der Kandidaten leiten. Wenn jemand mit Leidenschaft seinem Beruf nachgeht oder gar ein besonders kreativer Querdenker ist, wird ihm das eher negativ ausgelegt. Mehr Mut zu weniger Uniformität und Stromlinienförmigkeit kann sich vor allem in Forschung und Entwicklung, in Marketing und Vertrieb bezahlt machen. Das Management gerade deutscher Unternehmen ist jedoch häufig zu eindimensional auf Effizienz getrimmt. Beim Optimieren von Prozessen ist das goldrichtig, bei kreativen Prozessen nur bedingt“, warnt Jens-Uwe Meyer, Autor des Buches „Das Edison-Prinzip“.
Wer Mitarbeiter für die Sache begeistern und damit ihre Motivation erhöhen möchte, muss auch ein guter Kommunikator sein, mit guten Argumenten, aber auch der nötigen Empathie für die menschlichen Belange. Gut kommunizieren zu können, ist auch in der notwendigen Darstellung nach außen enorm wichtig. Dies erst zu lernen, wenn man bereits auf der Zielgeraden für eine Top Position ist, ist eindeutig zu spät. Übrigens gehört dazu auch ein verhandlungssicheres Englisch.
Wer Ideenfindung zur Chefsache erklärt, zeigt seinen Mitarbeitern vielleicht, wer in der Hierarchie ganz oben steht. Er läuft aber auch Gefahr, wichtige Details oder Erkenntnisse zu übersehen und damit Fehlentscheidungen zu treffen. Weil Technologiesprünge, Veränderungen von Geschäftsmodellen und Kundenbedürfnisse sich immer schneller drehen, kann ein einzelner – egal wie gut er ist - niemals alle für Geschäftsentscheidungen relevanten Informationen überblicken. Wer hingegen in den offenen Ideenaustausch mit seinen Mitarbeitern investiert, braucht zwar mehr Zeit, erntet dafür aber am Ende auch die kreativeren Ideen und durchdachteren Konzepte. Gleichzeitig schafft die direkte Einbindung eine höhere Identifikation mit dem Ergebnis, das Mitarbeiter dann viel motivierter umsetzen, denn es ist ja auch ihr Konzept.
Am kreativsten sind Mitarbeiter in Teams mit flachen Hierarchien. Um die Expertise aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen, Fachgebieten und Ländern an einen Tisch zu bringen, hat z.B. der Essener Konzern Evonik sogenannte Forscher-WGs eingerichtet, in denen Experten aus verschiedenen Unternehmensbereichen und Ländern über drei Jahre lang gemeinsam Innovationen ausbrüten. Der IT-Dienstleister IBM veranstaltet sogenannte „Innovation Jams“, bei denen sich über Hunderttausend IBM-Mitarbeiter, deren Familien, Wissenschaftler und Kunden aus der ganzen Welt drei Tage lang via Computerbildschirm über neue Ideen, Innovationen und die Lösung kniffliger Probleme austauschen.
Führungskräfte umgeben sich häufig am liebsten mit Personen, die ähnliche Stärken aufweisen wie sie selbst. Wer gerne kommuniziert, arbeitet gerne mit kommunikativen Menschen. Wer detailverliebt ist, schätzt Mitarbeiter mit ähnlichen Präferenzen. Wer seine Stärken und Schwächen kennt und sich vornimmt, das volle Potenzial seines Teams zu heben, kann sich als Führungskraft darauf konzentrieren, die verschiedenen Talente so einzusetzen, dass sie sich ergänzen – zum Erfolg aller. Teams sind dann besonders stark, wenn jeder eine eigene Rolle seinen Fähigkeiten entsprechend übernehmen kann. Der Job des Teamleiters ist es, jedem die passende Rolle zuzuteilen.
Woran machen Sie das fest?
Umfassende internationale Studien zeigen deutlich, dass der Partizipationsgrad deutscher Wissens- wie Produktionsarbeiter deutlich niedriger ist als der ihrer Kollegen in anderen Ländern. Aber der Druck steigt.
Zum Beispiel wo?
In jüngster Zeit etwa beim Softwarekonzern SAP: Die Entwickler dort haben sich nicht einfach von oben ein neues Logo aufdrücken lassen – das Konfliktpotenzial hat der Vorstandsvorsitzende offenbar unterschätzt und musste zurückstecken. Das zeigt, dass Mitarbeiter heute nicht mehr akzeptieren, dass Demokratie vor dem Werkstor endet.