Alltagsforschung

Stress als Statussymbol

Warum prahlen alle ständig, wie viel sie zu tun haben? Eine Studie resümiert: Geschäftigkeit gilt als Auszeichnung.

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Was hinter den bekanntesten Stress-Mythen steckt
Mythos 1: Stress macht schlank „Wenn ich stress habe, vergesse ich manchmal sogar zu essen“, sagen manche Menschen gerne. Grundsätzlich hat Stress aber einen gegenteiligen Effekt: Das Hormon Kortisol verändert den Stoffwechsel und führt zur vermehrten Fetteinlagerung, vor allem im Bauch- und Taillenbereich - und dort schadet es der Gesundheit besonders. Wer unter hoher Belastung leidet, ernährt sich außerdem häufig unausgewogen – Gestresste greifen vermehrt zu kohlenhydrat- und fettreichen Speisen. Da man auf der Arbeit wenig Zeit hat, vertilgt man sie schnell zwischendurch - oder isst am Abend die doppelte Portion. Quelle: dpa
Mythos 2: Stress ist immer schädlichGenauso falsch ist es, Stress zu verteufeln. Denn er ist eine natürliche Reaktion, die Menschen hellwach und reaktionsschnell macht. Der Körper ist auf Angriff gepolt. Damit bewältigen wir schwierige Situationen besser und fühlen uns zunächst leistungsfähiger. Positiver Stress, den man auch Eustress nennt, tut gut. Der Grund: Es kommt zur Ausschüttung bestimmter Hormone wie zum Beispiel Dopamin, Serotonin oder Endorphin. Diese biochemische Mixtur kann dafür sorgen, dass wir Stress als neutral oder angenehm empfinden. Das gilt jedoch nur für bestimmte Situationen. Chronischer Stress ("Distress ") wirkt sich hingegen schädlich auf die Gesundheit aus. Denn dann zirkulieren die Stresshormone im Körper und werden nicht abgebaut. Quelle: Fotolia
Mythos 3: Gegen Stress hilft nur Entspannung Die Arbeit stresst, Zuhause geht auch alles drunter und drüber – da hilft nur noch, sich ganz bewusst zu entspannen. Falsch! Denn wer viel Stress hat, steht unter Strom und kann nicht auf Knopfdruck entspannen. Der Grund: Das Hormon Kortisol macht gleichzeitig zappelig macht, steigert Aggression und Unruhe. Die lässt sich nicht einfach wegmeditieren oder wegbaden. In diesem Fall hilft Bewegung, etwa eine Runde joggen oder ein Spaziergang. Hinzu kommt: Wer beim Nichtstun ständig grübelt, hält sein Stresslevel trotz vermeintlicher Entspannung auf konstantem Niveau. Besser ist dann Ablenkung in Form von Spielen oder Gesprächen. Quelle: dpa
Mythos 4: Stress wirkt auf Männer und Frauen gleich Körperlich reagieren Männer und Frauen zwar prinzipiell gleich auf Stress – die Folgen unterscheiden sich aber je nach Geschlecht. Während bei Männer ein hoher Stressfaktor eher zu Herz-Kreislauf-Problemen führt, macht er Frauen anfällig für psychische Erkrankungen. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass sich Frauen grundsätzlich mehr Gedanken über ihre Gesundheit machen. Laut DAK-Gesundheitsbericht stehen psychische Erkrankungen bei Frauen mit einem Anteil von 12,2 Prozent an dritter Stelle der häufigsten Krankheiten. Typisch männliche Stressfolgen sind dagegen Herzinfarkt und Schlaganfall. Hinzu kommen Übergewicht, hoher Blutdruck sowie erhöhte Cholesterinwerte. Das Risiko, daran zu erkranken, steigt bei Managern, die wöchentlich mehr als 60 Stunden, rapide an. Quelle: Fotolia
Umfangreiche Aufgaben ganz klein machen Quelle: Fotolia
Soziale Vereinsamung Quelle: Fotolia
Mythos 7: Ältere Menschen sind schneller gestresst Das stimmt ebenfalls nicht - zumindest nicht generell. Zwar hat Stress bei Menschen höheren Alters schneller körperliche Folgen, weil sie weniger belastbar sind. Trotzdem ist die Zahl psychischer Erkrankungen durch Stress in der vergangenen Jahren in der Gruppe der 20- bis 35-Jährigen am stärksten angestiegen und hat den höchsten Anteil bei den 40- bis 44-Jährigen. Hier erreichen psychische Erkrankungen mit einem Anteil von 12,2 Prozent ihren Höchststand. Das liegt an den steigenden Leistungsanforderungen im Job - und zunehmend unsicheren Arbeitsverhältnissen. Quelle: dpa

Falls Sie noch einen Vorsatz für das neue Jahr brauchen, ich hätte da was: Lassen Sie uns endlich weniger darüber jammern, wie beschäftigt wir sind – denn letztendlich fördern wir damit nur den ungesunden Leistungskult.

Das Phänomen kennt jeder. Vor allem in der Vorweihnachtszeit antworteten die meisten Menschen auf die Frage nach ihrem Wohlbefinden: „Puh, Stress!“ Doch auch nach dem Jahreswechsel geht es so weiter. Eine überquellende To-do-Liste ist kein Makel, den man verstecken möchte, sondern eine Medaille, die fast jeder gerne herzeigt. Die Einladung zum Mittagessen wird pariert mit dem Hinweis, bitte „einen Termin einzustellen“. Sieh nur, wie wichtig ich bin – nur ein Computer kann die Vielzahl meiner Termine überblicken! Fast scheint es so, als sei es eine besondere Auszeichnung, im Wust der Aufgaben zu versinken – und diese Überlastung entsprechend kundzutun.

Das Kalkül leuchtet ein. Echte Prahler mag niemand, daher ist ein Satz à la „Mein Chef kann nicht ohne mich“ gesellschaftlich nicht akzeptiert. Da ist es schon eleganter, mehr oder weniger subtil die eigene Geschäftigkeit zu betonen.

Was bei der Arbeit stresst

Das fleißige Bienchen hat einen besseren Ruf als der faule Hund. Aber warum fallen wir so leicht auf diese Inszenierung rein? Eine Antwort darauf suchte nun Silvia Bellezza, Assistenzprofessorin an der Columbia Business School. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Neeru Paharia (Georgetown-Universität) und Anat Keinan (Harvard Business School) konfrontierte sie Hunderte Testpersonen mit verschiedenen Szenarien. Mal lasen die Tester unterschiedliche Facebook-Statusmeldungen, mal handschriftliche Briefe einer fiktiven Person. In einem Fall beschwerte die sich über ihre Arbeitsbelastung, ein anderes Mal äußerte sie sich darüber, gerade einen freien Tag zu verbringen. Nun sollten die Freiwilligen die Person einschätzen. Hielten sie sie für einen Topverdiener, ehrgeizig und auf dem Arbeitsmarkt gefragt? Glaubten sie, dass sie viel arbeitete – und sehr beschäftigt war? Und siehe da: Allein die Information über das Ausmaß der Arbeitsbelastung prägte das Image. Jene Person, die sich über ihr hohes Pensum äußerte, kam wesentlich besser weg. Sie galt als begehrter und erfolgreicher – unabhängig von Geschlecht, Alter oder Beruf der Befragten. „Lange Arbeitszeiten und wenig Freizeit sind in der heutigen Arbeitswelt ein mächtiges Statussymbol“, sagt Bellezza.

Hektik und Termindruck sind schädlich? Von wegen. Ja, Stress kann krank machen, aber eine Reihe neuer Studien zeigt: Mit der richtigen Attitüde macht Stress auch produktiv.

Anscheinend dienen sie als eine Art Signal. Offensichtlich, so das Kalkül, hat da jemand wünschenswerte Eigenschaften, die auf dem Arbeitsmarkt rar sind – sonst wäre er (oder sie) ja nicht so gefragt. Vor dieser subtilen Beeinflussung sind Führungskräfte nicht gefeit. Und genau hier liegt die Lektion der Studie. Es ist verlockend, Anwesenheit im Büro mit Leistung gleichzusetzen. Motto: Wer viel Zeit auf seinem Stuhl sitzt, leistet sicher viel. Wer ständig betont, wie viel er zu tun hat, schindet Eindruck. In Zeiten von Home Office und Vertrauensarbeitszeit müssen Vorgesetzte allerdings umdenken. Entscheidend ist das Ergebnis, nicht die Dauer. Wer sich ständig darüber beschwert, dass er zu viel zu tun hat, der liefert nicht die Lösung – sondern hat ein Problem.

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