André Kemper Ein Perfektionist für die Hall of Fame

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"André Kemper ist ein positiv Besessener", sagt Kai Röffen, der einst mit Kemper im selben Haus wohnte und heute das Düsseldorfer Büro von KemperTrautmann leitet. "Wenn andere aufhören, fängt er erst an." Dass man sich mit Anstrengung und guter Leistung durchsetzen kann, erfährt Kemper früh. Er stammt aus bescheidenen Verhältnissen in Hamburg-Bramfeld, einem Arbeiterviertel im Nordosten der Stadt. "Wir sind auf dem Bolzplatz aufgewachsen, für André war schon beim Fußball immer klar, wer der Kapitän war", erinnert sich Bruder Wulf-Peter. Mit dem sich André, bis weit in die Pubertät, in der kleinen Mietwohnung der Familie ein Zimmer teilt.  

"Unsere Eltern haben uns vorgelebt, dass es immer weiter geht", sagt Kemper. Und dass man Chancen ergreifen muss, wenn sie sich bieten. So wie Vater Kemper, der erst mit Reifen handelt. Und 1985, nach Boris Beckers überraschendem Wimbledon-Sieg, voller Euphorie ein Sportgeschäft eröffnet. So landet Kemper junior erst auf dem Tennisplatz. Und schließlich, nach Abitur und Bundeswehr, als Trainée bei einem Geschäftspartner seines Vaters, dem eine kleine Werbeagentur gehört. 

 Als dort eines Tages Not am Mann ist, schwatzt Kemper dem Agenturchef die Möglichkeit ab, einen Standardbrief an reklamierende Camel-Shop-Kunden formulieren zu dürfen. Der ist vom Ergebnis angetan, empfiehlt Kemper den Besuch einer Abendschule für angehende Texter. Einer seiner Dozenten verhilft ihm 1984 zum Einstieg in eine Agentur für Direktmarketing aus dem BBDO-Netzwerk. Kemper zieht dafür nach Düsseldorf, fühlt sich nicht wohl. 

"Siezen, Warten im Vorzimmer, kein Einblick in die Strukturen – das hatte ich mir anders vorgestellt", erinnert sich Kemper. Wechselt für ein paar Monate zur Düsseldorfer Agentur Imparc. Und beginnt, aus Frust, ein Soziologiestudium. Um bald darauf bei Ogilvy anzuheuern.  Nach vier Jahren bewirbt er sich bei Springer & Jacoby, seit Mitte der Achtzigerjahre der aufgehende Fixstern am deutschen Werberhimmel. Dreimal scheitert er. Doch Kemper gibt nicht auf, probiert es auch noch ein viertes Mal – und wird als Juniortexter eingestellt.  Mit seiner Vita habe er eigentlich gar nicht so gut zu Springer & Jacoby gepasst, erinnert sich sein damaliger Unit-Chef Holger Jung. "Aber Kemper war unheimlich ehrgeizig, ein fixer Junge." Sein erstes Projekt – ein Beipackzettel für die Zigarettenmarke Ernte 23 – wird wieder eingestampft. "Ich war frustriert, wollte für einen anderen Kunden arbeiten." Für Agentur-Kreativchef Konstantin Jacoby kein Problem: "Such Dir ein Projekt, denk Dir was aus", rät er Jungspund Kemper. "Die Macht hat, wer es macht."

Eingeschlagen wie eine Bombe

Und Kemper macht. Textet für die Zigarettenmarke P&S, lässt in einer Kampagne für die Zeitschrift „Spiegel“ Politikerköpfe explodieren. Wird 1991 schließlich Teil des Mercedes-Teams und einer der meistausgezeichneten Kreativen der Agentur.  Leistung, die er honoriert sehen will. Als er bei Jacoby während eines gemeinsamen Besuchs im Fitnessstudio die Beförderung zum Kreativdirektor einfordert, kommt es zu einer lautstarken Auseinandersetzung. Am nächsten Tag liegt, kommentarlos, ein Garagenschlüssel auf Kempers Schreibtisch – der Zugang zum Chefparkplatz. Kemper zahlt das Vertrauen bald zurück. Schließt sich, während sich die Kollegen im Skiurlaub von einem anstrengenden Jahr 1993 erholen, ohne Wissen Jacobys nach Weihnachten mit ein paar Gleichgesinnten in der Agentur ein. Sein Ziel: Die beste Kampagne, die es jemals für Mercedes gab. Und die Hoffnung, damit seiner Karriere einen weiteren Kick zu geben.  

Beides klappt: Innerhalb weniger Tage entsteht die Idee für den Spot "Ohrfeige": Eine Frau, die gegen ihren Mann handgreiflich wird – weil er sein spätes Heimkommen auf eine Autopanne schiebt. "Mit einem Mercedes", fragt sie. Unmöglich – und gibt ihm eine Ohrfeige.

Der 30-Sekünder schlägt ein wie eine Bombe, entwickelt sich zur meistausgezeichneten Kampagne der erfolgsverwöhnten Agentur. Das lohnt sich auch für Kemper: Er übernimmt 1995 von Jacoby die Verantwortung für den Mercedes-Etat. Und wird ein Jahr später Chef der gesamten Agentur – mit gerade mal 33 Jahren.

Im Olymp der Werbung

Doch der Start an der Spitze verläuft holprig. "Ich war letztlich überfordert", erinnert sich Kemper an die erste Zeit in der neuen Position als Chef von 400 Mitarbeitern. "Ich habe den Boss mehr gespielt als die Rolle wirklich auszufüllen."

Nach langen 18 Monaten platzt der Knoten: Kemper findet seinen Führungsstil, die Agentur kehrt in die Erfolgsspur zurück – vor allem mit stilprägenden Kampagnen für Mercedes. Besonders denkwürdig: Die Werbung, mit der das Unternehmen 1997 auf das Elchtest-Desaster der A-Klasse reagiert. "Wir haben uns tagelang in mein Büro eingeschlossen und an einer Kommunikationsstrategie getüftelt", erinnert sich der damalige Mercedes-PKW-Vorstand Jürgen Hubbert. 

Das Ergebnis der Klausur: Eine augenzwinkernde Kampagne mit Boris Becker ("Stark ist, wer keine Fehler macht. Stärker, wer aus seinen Fehlern lernt"), nach der die Imagewerte der Automarke höher sind als vor dem Elchtest. Auch Springer & Jacoby folgt ein Rekordjahr aufs nächste, Kemper ist im Olymp der Werbung angekommen. Zum agenturinternen Skirennen reist er mit eigenem Masseur und Wachser an, auf eine Weihnachtsfeier reitet er auf einem Pferd ein – als Napoleon der Werbung. 

Weil er sich mit Jacoby nicht auf die strategische Ausrichtung der Agentur einigen und seinen Anteil am Unternehmen nicht erhöhen kann, verlässt er Springer & Jacoby schließlich Ende 2002. Und lässt sich seinen 7,5-Prozent-Anteil am Unternehmen mit einer hohen einstelligen Millionensumme versilbern. "Der Weggang", sagt Kemper, "war eine Befreiung."

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