Arbeiten im Ausland Home Sweet Home

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Experten vermuten dahinter gleich ein ganzes Ursachenbündel: Angst und Unsicherheit. Während die Nachkriegsgeneration noch mit dem Gefühl aufwuchs, dass man alles erreichen kann, sieht die derzeitige Generation, was man alles verlieren kann. Der Wohlstand, in den sie hineingeboren wurden, ist flüchtig: unsolide Staatsfinanzen, explodierende Gesundheitskosten, weniger Rente. Die größte Sorge der Akademiker in spe ist, nach dem Abschluss ohne Job dazustehen. So streben sie in erster Linie nach Bekanntem, nach Konstanten. Das zeigt sich bei der Wahl der beliebtesten Arbeitgeber: Dort wählen die Studenten regelmäßig hiesige Konzerne an die Spitze (siehe WirtschaftsWoche 33/2005): BMW, DaimlerChrysler, Siemens – immer dieselben Sieger. Motto: Groß ist gut ist sicher. Die Unternehmen, Marken und Märkte kennen sie. Die heutigen Boomregionen dagegen kennen sie nicht so gut. Die liegen neuerdings nicht im Westen, sondern im Osten – in China, in Indien, in Tschechien oder Polen. Diese Länder kennen sie weder aus dem Urlaub noch aus dem Studium. Das Gros der Austauschprogramme deutscher Unis führt nach wie vor zu Hochschulen in Großbritannien oder in die USA (siehe Tabelle am Ende des Textes). Nur Polen schaffte es bei der HIS-Erhebung unter die Top 25 der meistbereisten Studienländer deutscher Kommilitonen – allerdings nur auf Platz 23, zwei Plätze hinter dem Vatikanstaat. Andere Prioritäten. Bei Absolventen steht weniger die Karriere im Vordergrund ihrer Lebensplanung als ein ausbalanciertes Leben, die so genannte Work-Life-Balance. Ein dreijähriger Auslandsaufenthalt beispielsweise würde die Ausgeglichenheit von Leben und Arbeit stören, wäre mehr „work“ als „life“. Wenn im Osten beispielsweise Feierabend ist, wacht Deutschland gerade erst auf. Wer dann noch Kontakt zur Zentrale halten will, der schiebt de facto Doppelschichten, legt sich ins Zeug, ohne dass es in der Zentrale großartig auffällt. Gehen außerdem beide Partner ins Ausland, muss der andere in der Regel seinen Job aufgeben. Ergebnis: eine Karriere stillgelegt, gemeinsames Einkommen halbiert. Oder beide schrauben ihren Lebensstandard herunter, führen zwei Haushalte, einen hier – einen dort, und dazu eine Fernbeziehung. Das heißt: Viel Geld geht für teure Flüge drauf, und ob die Beziehung die Trennung übersteht, ist ungewiss. Die Beziehungen aber zu Partner, Freunden und Familie sind vielen heute wichtiger als das Unternehmen und die Karriere. Loyalität im Job gibt es ohnehin nicht mehr. Auf beiden Seiten: einerseits, weil zwei bis drei Jobwechsel in den ersten zehn Berufsjahren heute gefordert werden, um sein Allroundtalent zu entwickeln und zu beweisen; andererseits, weil sich Unternehmen heute schneller von Personal trennen, um Kosten zu senken. Die Folge: Die sozialen Bindungen außerhalb der Unternehmen beschränken die Mobilität. Wie etwa bei Stefan Jurk. Der 23-jährige Nachrichtentechnik-Ingenieur aus Leipzig würde niemals ohne seine Freundin ins Ausland gehen, die gerade eine Ausbildung begonnen hat. Und bis die fertig ist, „dauert es noch eine Weile“, sagt er. Außerdem müsste sie das Gastland „unbedingt mögen und dort einen Job finden“. Desillusionierung. Der Auslandstrip ist kein Garant mehr für einen Karrierekick, sondern steht zunehmend für einen Karriereknick. Nicht selten werden vor der Abreise Jobs versprochen, die bei der Rückkehr schon besetzt sind oder gestrichen wurden. Viele so genannte Expats beobachten dann, wie die Daheimbleiber aufsteigen, während sie sich selbst in der Ferne abrackern. 45 Prozent der Unternehmen können ihren heimkehrenden Managern keine adäquate Stelle anbieten, hat kürzlich die Personalberatung von Bonin ermittelt. Rund 25 Prozent der Rückkehrer kündigen sogar innerhalb der ersten zwölf Monate aus Frust über den neuen Job in Deutschland, so das Ergebnis einer anderen Studie von PriceWaterhouseCoopers. Nur ein Drittel der Rückkehrer wurde danach befördert, jeder Zehnte sogar herabgestuft. Das Phänomen ist im Westen noch stärker als im Osten Deutschlands. Selbst Toptalente, von denen man anderes erwarten würde, „werden häuslicher“, beobachtet Thomas Sattelberger, Personalvorstand beim Automobilzulieferer Continental. Die Entwicklung ist alarmierend für eine Volkswirtschaft, die am Export hängt und deshalb auf international versierten Nachwuchs angewiesen ist. Nicht umsonst steht heute in fast jeder Stellenofferte, dass Auslandserfahrungen vorausgesetzt werden. „Wir erwarten von unseren Mitarbeitern Mobilität und Neugier auf andere Kulturen, Auslandsaufenthalte werden bei uns gefördert und gefordert“, sagt zum Beispiel Oliver Sonntag, Human Resources Director bei L’Oréal Deutschland. Claus Heinrich, SAP-Vorstand, sieht das genauso: „In einem globalen Unternehmen, mit virtuellen Teams und Projekten, ist interkulturelle Kompetenz unabdingbar. Die lernt man nicht aus Büchern und durch Seminare, sondern am besten vor Ort.“ Entsprechend werden regelmäßig Mitarbeiter aller Ebenen für längere Zeit ins Ausland entsandt. In den ersten acht Monaten dieses Jahres gingen 350 SAPler für mehr als ein Jahr ins Ausland. Bei BMW, wo rund ein Fünftel der Belegschaft im Ausland arbeitet, sind es jedes Jahr rund 700 Mitarbeiter für durchschnittlich dreieinhalb Jahre, sieben Prozent davon sind Führungskräfte. Bei Siemens, dessen 440.000 Mitarbeiter zu zwei Drittel außerhalb Deutschlands angesiedelt sind, gehen jedes Jahr rund 2500 deutsche Nachwuchsführungskräfte für einige Jahre ins Ausland. Auslandserfahrungen sind längst eine unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiche Karrieren. Siemens-CEO Klaus Kleinfeld zum Beispiel verantwortete vor seiner Berufung zum Vorstandsvorsitzenden bis 2004 das US-Geschäft des Konzerns. DaimlerChrysler-Chef Dieter Zetsche leitete knapp fünf Jahre lang die Chrysler Group in Auburn Hills, E.On-Vorstand Wulf Bernotat wiederum war vor seinem Wechsel zum Energiemulti gut sechs Jahre für Shell in Frankreich, Portugal und Großbritannien. Und BASF-Chef Jürgen Hambrecht verantwortete zwei Jahre lang das China-Geschäft seiner Company. Beim Führungsnachwuchs sieht das nicht anders aus: Marc Oliver Sommer, 43, und designierter Karstadt-Vorstand, hat am Institut d’Etudes Politiques in Paris studiert und danach dort mehrere Jahre als Geschäftsführer den französischen Buch- und Medienclub Loisirs geleitet. Oder Jan Hatzius. Der 36-Jährige, der am 1. Dezember neuer Chefvolkswirt bei Goldman Sachs wird, war schon vor sechs Jahren an die Wall Street übergesiedelt. Die Geschäftsführerin Medizinische Gase bei Linde, Carla Kriwet, 34, wiederum war zwei Jahre als Projektmanagerin für ABB Daimler-Benz Transportation in Neu-Delhi und drei Jahre für die Boston Consulting Group in London tätig. „Gut 50 Prozent des Topführungsnachwuchses hat heute signifikante Auslandsstationen hinter sich“, registriert Ulf Püschel, Seniorpartner bei der Personalberatung Egon Zehnder. „Die Bereitschaft dazu, aber auch der Nachweis werden selbst bei Familienunternehmen immer stärker nachgefragt.“

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