Arbeitswelt Die Lüge von den unzufriedenen Eltern

Kinder machen nicht zufrieden, zumindest nicht immer, behaupten Sozialforscher. Das ist Unsinn. Denn nicht die Elternschaft, sondern der arbeitsbedingte Verzicht auf Zeit mit ihren Kindern setzt Mütter und Väter unter Stress.

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Die jüngsten Länder der Welt
Familie mit Kind Quelle: dpa
Kinder spielen mit Wasser Quelle: dpa
Junge aus Vanuatu Quelle: Graham Crumb
Kinder in Brasilien Quelle: dpa
Kinder in Japan Quelle: AP
Aus Mali geflüchtete Kinder Quelle: dpa
Kinder in Angola Quelle: Paulo César Santos

Die Frage, warum die Europäer und vor allem die Deutschen so wenige Kinder kriegen, was also die tiefere Ursache für die demografische Katastrophe ist, beschäftigt Sozialwissenschaftler, Umfrageinstitute und Psychologen. Viele potenzielle Eltern, so etwa das Ergebnis einer Studie der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen, wollen „lieber frei und unabhängig bleiben“, Kinder „kosten zu viel Geld“ und stehen der Karriere im Wege. Und die Psychologen vom Rheingold-Institut sehen die übertriebenen, unerfüllbaren Ansprüche der Frauen an sich selbst – perfekte Kinder erziehen und gleichzeitig attraktiv und beruflich voll aktiv sein - als Grund für die „deutsche Angst vorm Kinderkriegen“

Kinder zu kriegen, da sind sich alle Forscher einig, ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Während in traditionellen patriarchischen Gesellschaften das Aussterben des eigenen Namens für die meisten Männer eine Horror-Vorstellung und Kinderlosigkeit für Frauen ein sozialer Makel war, ist die Familie mit Kindern heute nur einer von verschiedenen akzeptierten Lebensentwürfen. Und daher stellen Soziologen heute Fragen, die Jahrhunderte lang niemandem in den Sinn gekommen wären. Machen Kinder glücklich? Oder sind Paare ohne Kinder zufriedener mit ihrem Leben?

Viele amerikanische Studien geben darauf Antworten. Die meisten vermitteln den Eindruck, als seien Kinder ein Gut und ihre Produktion eine Arbeitsleistung, bei der man eingesetzte Ressourcen und das, was hinten rauskommt, gegeneinander aufrechnen könne. "Costs and Rewards" heißt eine von ihnen. Einige Autoren glauben ernsthaft, einen langfristig negativen Effekt von Kindern auf das Wohlbefinden ihrer Eltern feststellen zu können. Die Partnerschaft leide, Stress oder gar Depressionen seien eine Folge von Elternschaft. Damit dürfte also geklärt sein: Wer ein glückliches, stressfreies Leben will, sollte sich bloß nicht fortpflanzen.

Glücklichere Ergebnisse hat nun eine neue Studie über „Elternschaft und Lebenszufriedenheit in Deutschland“ aus dem Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin zu bieten. Autor Matthias Pollmann-Schult kommt darin zu dem Schluss: Kinder machen nicht immer glücklich, aber meistens. Ausgewertet wurden die Daten von knapp 4.900 Frauen und Männern zwischen 25 und 37 Jahren, die mit einem heterosexuellen Partner und gegebenenfalls ihren Kindern in einem Haushalt leben. Sie stammen von der ersten Befragungswelle des neuen Beziehungs- und Familienpanels pairfam.

Weniger zufrieden mit ihrem Leben seien Eltern im Vergleich zu kinderlosen Paaren vor allem, wenn sie einkommensschwach sind. Ein Ergebnis, das einigermaßen ratlos macht, da die Kinderzahl bei Geringverdienern bekanntlich höher ausfällt als bei Besserverdienern. Gut bis sehr gut verdienende Eltern sind dagegen glücklicher als Kinderlose.

Die Brisanz der Studie steckt aber in der Beobachtung, dass der „positive Effekt“ der Kinder auf die Zufriedenheit der Eltern mit ihrem Leben bei sehr gut verdienenden Eltern wieder abnimmt. Die Erklärung von Pollmann-Schult: „Da es sich hier oft um Doppelverdienerpaare handelt, haben diese nach der Geburt eines Kindes möglicherweise größere Probleme mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.“

Mütter in Vollzeit sind unglücklicher

Welche Länder überaltern
Platz 8: Schweden Quelle: dapd
Platz 7: Portugal Quelle: REUTERS
Senioren beim Nordic-Walking Quelle: dpa
Griechenland Quelle: dpa
Platz 10: Finnland Quelle: dapd
Platz 5: Bulgarien Quelle: Reuters
Platz 4: Italien Quelle: dapd

Familien- und Arbeitspolitiker, die derzeit unter der Fahne des Fachkräftemangels und der Gleichstellung das Ziel der Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen verfolgen, werden nicht gerne hören, was die Panel-Untersuchung zeigt: Arbeiten Mütter in Vollzeit, sinkt ihre Lebenszufriedenheit. Nichterwerbstätige und teilzeitbeschäftigte Mütter dagegen sind glücklicher als kinderlose vollzeitbeschäftigte Frauen. Pollmann-Schult vermutet die Ungerechtigkeit der Verteilung von Hausarbeiten als Ursache: Frauen übernähmen trotz Berufstätigkeit weiterhin den größten Teil der Kinderbetreuung und der Hausarbeit. „Diese Mehrfachbelastung hat Einfluss auf den Grad der Zufriedenheit“, behauptet der Soziologe.

Pollmann-Schult zieht keine politischen Schlussfolgerungen, doch sie liegen auf der Hand. Die derzeit lautstark propagierte Politik der Auslagerung der Kinderbetreuung aus den Familien und der schnellstmöglichen Rückkehr von Müttern in Vollzeitarbeit befördert nicht die Zufriedenheit der Mütter. Völlig revolutionär oder auch nur überraschend neu ist dieses Ergebnis nicht. Aber es wird medial bewusst versteckt. Im Familienbericht 2012 aus Kristina Schröders Bundesministerium beispielsweise wird zwar mehrfach der „Monitor Familienleben“ des Allensbach-Instituts zitiert, allerdings nicht dessen zentrales Ergebnis, nämlich dass rund zwei Drittel der Mütter nicht wieder in Vollzeit, sondern in Teilzeit arbeiten möchten. Klar wird aus dieser Befragung über „Einstellungen und Lebensverhältnisse von Familien“, dass die fehlende Zeit für ihre Kinder die größte Sorge von Müttern (und Vätern) ist – und nicht die schnellstmögliche und garantierte Rückkehr auf den früheren Vollzeitarbeitsplatz.

Das von deutschen Journalisten als „Herdprämie“ diffamierte Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen wollen, wird zwar von der Mehrheit der Bevölkerung einer Stern-Umfrage zufolge abgelehnt. Die eigentlich entscheidende Gruppe der Betroffenen wird in dieser Darstellung aber stets unterschlagen. Die Altersgruppe der 19- bis 29-Jährigen nämlich, also die jungen Menschen, deren Elternschaft unmittelbar ansteht, begrüßen das Betreuungsgeld in der Mehrheit. Und gerade unter Frauen, die ja nach der allgemein propagierten Lesart durch die „Prämie“ an den „Herd“ gebunden werden sollen, ist die Zustimmung besonders hoch.

Das Glück sehen die Menschen und vor allem die meisten Frauen, so kann man folgern, also eher in ihren Kindern als in der Erwerbstätigkeit. Warum nur kämpfen Familienpolitiker nicht für das, was ihre Klientel wirklich zufriedener machen und jungen Frauen die Entscheidung für Kinder erleichtern würde? Nicht mehr Zeit für Arbeit, sondern mehr Zeit für Kinder.

Unnachahmliche Heldinnen der Vereinbarkeit

So großzügig sind Unternehmen
Betriebliche Kinderbetreuung Quelle: dapd
Unterstützung bei Pflegedienst / Kurzzeitpflege Quelle: AP
Weitere Unterstützung bei Kinderbetreuung Quelle: dpa
Sonderurlaub für Pflege von Angehörigen Quelle: dpa
Sonderurlaub bei Krankheit der Kinder Quelle: REUTERS

Die kinder- und damit lebensfeindlichen Ansprüche einer auf totale Verfügbarkeit zielenden Arbeitswelt rufen bei Eltern Stress hervor. Hinter diesem Anspruch steht eine Zweckallianz von Arbeitgebern und feministischen Ideologinnen. Sie propagieren die Vereinbarkeit von Kindern und Vollzeitarbeit beider Eltern, die stets mit der Drohung einhergeht, nicht genug Geld für einen angemessenen Lebensstandard und die Zukunft der Kinder zu haben. Politiker - allen voran die siebenfachen Superkarrieremutter Ursula von der Leyen - und eifernde Managerinnen wie Antje Diller-Wolf ("Rabenmütter und Heimchenväter") setzen mit sich selbst als Vorbild den Rest der Mütter unter Druck. Frauen, die nicht dem Typus der Vereinbarkeitsheldin Sheryl Sandberg gerecht werden, leiden unter permanenter Versagensangst, wie auch die Rheingold-Studie bilanziert. In Wirklichkeit bedeutet Vereinbarkeit nichts anderes als Verzicht auf Zeit für die eigenen Kinder zugunsten von Zeit für die Erwerbsarbeit. Das ist ein Opfer, das Väter seit jeher bringen und das nun auch von den Müttern verlangt wird. Nicht die Kinder, sondern die fehlende Zeit für sie macht Eltern unzufrieden.

Ein Leben ohne Kinder bietet zweifellos mehr Gelegenheiten für Spaß, für vergängliche Vergnügungen und vor allem bessere Umstände zum Arbeiten und Geldverdienen. Eltern, die in einer immer kinderfeindlicheren oder besser: kinderentwöhnten Gesellschaft ihrem Nachwuchs und sich selbst ein einigermaßen auskömmliches Leben bieten wollen, haben in der Regel mehr Stress und weniger Spaß als Kinderlose, die besser in die totale Arbeits- und Freizeitkultur passen. Deren Ansprüche überfordern Eltern permanent.     

Dennoch: Wenn jemand auf der Basis von welcher Studie auch immer behauptet, dass Kinder unglücklich oder unzufrieden machen, dann ist das Unsinn, weil die zugrunde liegende Vorstellung von Glück oder Zufriedenheit grundfalsch ist. Die Erkenntnis, dass Kinder Stress und Sorgen mit sich bringen, von schlaflosen Nächten ganz zu schweigen, und dass sie weniger Zeit und Gelegenheiten für sexuelle und sonstige Zerstreuungen lassen, ist so banal, dass sie keine Umfrage wert ist. Niemand würde das Gegenteil behaupten. Das Glück, das Kinder bedeuten, ist von anderer Natur als das Glück des prallen Geldkontos, der erfolgreichen Karriere oder der erotischen Liebe.

Die einzige sinnvolle Studie nach der Lebenszufriedenheit und dem Einfluss von Kindern darauf, müsste in Altenheimen stattfinden. Wer glaubt, dass Kinder nicht glücklich machen, sollte die Insassen befragen, die ohne Nachkommen sterben werden. Sie werden sich über den Besuch des Interviewers besonders freuen, weil sonst nie jemand kommt. Dass Kinder nicht glücklich machen, wäre erst erwiesen, wenn eine Mehrheit der Menschen an ihrem Lebensende sagen würde: Ich hätte ohne Kinder ein besseres Leben gehabt. Eine abwegige Vorstellung. Hat man jemals von einem alten Menschen gehört, der es bereut, Kinder gehabt zu haben, weil er gerne mehr Zeit in seiner Firma verbracht hätte?

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