Architekten der Arbeit So sieht die Berufswelt der Zukunft aus

Demokratisch gewählte Chefs, besser bezahlte Pfleger und Unternehmensanteile für alle Angestellten - zehn prominente Wissenschaftler, Politiker und Manager haben dem Autor Sven Rahner verraten, wie sie sich die Zukunft der Arbeitswelt vorstellen.

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Seit seinem Ausscheiden aus dem Telekom-Vorstand arbeitet Sattelberger unter anderem als Sprecher und Themenbotschafter für Personalführung der Initiative Neue Qualität der Arbeit. Quelle: REUTERS

Gibt es künftig noch den acht-Stunden-Tag? Feste Büros und Anwesenheitspflicht? Chefs? Der Politikwissenschaftler und Autor Sven Rahner hat für sein Buch „Architekten der Arbeit“ mit 18 prominenten Wissenschaftlern, Politikern und Managern über die Zukunft der Arbeitswelt gesprochen. Wir veröffentlichen einen Auszug:

Thomas Sattelberger löste als Telekom-Personalchef mit der Einführung der ersten Frauenquote für Führungsposten eine bundesweite Diskussion aus. Seit seinem Ausscheiden aus dem Vorstand 2012 arbeitet Sattelberger unter anderem als Sprecher und Themenbotschafter für Personalführung der Initiative Neue Qualität der Arbeit.

Sven Rahner wagt mit 18 Gesprächspartnern einen Blick in die Zukunft der Arbeit. Sein Buch

„Wäre ich heute noch als Personalvorstand für die Telekom tätig, wäre die Demokratisierung der Führung definitiv mein nächstes zentrales Projekt geworden, welches ich nach Einführung der Frauenquote gerne nach vorne gebracht hätte. Führung wird damit nicht länger etwas von der Unternehmensspitze gottgleich Verliehenes sein, sondern etwas, das von der Akzeptanz der »Geführten« abhängt. Der Unternehmensbürger wird signifikant mehr Souveränität in der Arbeitswelt haben. Das betrifft die Fragen, für wen er arbeitet, wo er arbeitet, wann er arbeitet und wie er arbeitet. Das ist doch eine Vision, für die es sich zu streiten lohnt.“

Henning Kagermann ist der EX-CEO des Softwareunternehmens SAP. Heute setzt sich der Physiker vor allem für den Wissenschaftsstandort Deutschland ein.

Henning Kagermann ist der EX-CEO des Softwareunternehmens SAP. Quelle: AP

„Die fortschreitende Digitalisierung führt zu neuen Arbeits- und Lernwelten. Die angesprochene intelligente Fabrik braucht weniger direkte Mitarbeiter in der Produktion, schafft jedoch mehr indirekte Stellen, wie in der Entwicklung von Systemen, der Einbettung in bestehende Strukturen, der Überbrückung von Automatisierungslücken sowie der Koordination und Orchestrierung. Es entsteht ein hochgradig vernetztes und interdisziplinäres Arbeitsumfeld, mit sehr unterschiedlichen Arbeitsinhalten für den einzelnen Mitarbeiter. So werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weniger fest vorgeschriebene Arbeitsanweisungen erhalten. Es kommt zunehmend auf Teamarbeit, Selbststeuerung und gezieltes, aber lebenslanges Lernen an. Flexibilität – zeitlich wie inhaltlich – wird immer wichtiger. Daher stellt sich eine ganz zentrale Frage: »Was müssen wir tun, damit sich die Mitarbeiter nicht in dem steigenden Flexibilitätsanspruch verloren fühlen?« Die Arbeitswelt von morgen wird nicht nur höhere Qualifikationen, sondern auch mehr geistige Beweglichkeit einfordern. Digitale Hilfen können diese neuen Lernprozesse gezielt unterstützen.“

Brigitte Ederer startete ihre erste Karriere als „Rote Gitti“ in der österreichischen Politik, wo sie als EU-Staatssekretärin im Wiener Bundeskanzleramt arbeitet. 2012 wurde Ederer in den Vorstand von Siemens berufen. Dort betreute sie bis Ende September 2013 die Wirtschaftsregion Europa und die weltweite strategische Personalentwicklung.

2012 wurde Brigitte Ederer in den Vorstand von Siemens berufen. Dort betreute sie bis Ende September 2013 die Wirtschaftsregion Europa und die weltweite strategische Personalentwicklung. Quelle: REUTERS

„Ich glaube, man kann im Leben nicht alles haben. Man kann nicht einen sehr spannenden Job haben, sehr gut verdienen, Kinder haben, eine vollkommen funktionierende Familie und dann abends ausschauen wie Claudia Schiffer. Das wird nicht klappen. Diese Erkenntnis ist der heutigen Gesellschaft fast am schwierigsten zu vermitteln. Junge Leute sind heute so aufgewachsen, als wäre alles möglich. Ich habe einen Preis für meine Karriere gezahlt, nämlich die Kinderlosigkeit. Vielleicht bringen das andere Frauen hin – die Ministerin von der Leyen ist ja ein gutes Beispiel dafür. Es liegt somit sicher auch ein Stück weit an mir selbst, dass ich diese Kombination nicht geschafft habe.“

"Starre Hierarchien verlieren zunehmend an Bedeutung"

Michael Sommer war von 2002 bis 2014 Bundesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Das SPD-Mitglied tritt für einen allgemein verbindlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde ein.

Michael Sommer war von 2002 bis 2014 Bundesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Quelle: dpa

„Das Durchschnittsalter der Beschäftigten in den Betrieben wird sich erhöhen, es werden weniger junge Nachwuchskräfte zur Verfügung stehen. Wir brauchen deshalb mehr gute und gesunde Arbeit über das ganze Arbeitsleben hinweg, gerade auch für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Doch die körperliche Belastung ist in vielen Berufen immer noch hoch; hinzu kommen die psychischen Gefährdungen, die in den letzten Jahren dramatisch zugenommen haben. Das bedeutet, dass aktiv bessere Arbeitsbedingungen geschaffen werden müssen. In einigen Bereichen haben Arbeitgeber, beispielsweise in der chemischen Industrie oder der Metallindustrie, diese Notwendigkeit erkannt. Doch viele andere sind noch nicht aufgewacht.“

Christian Lindner wurde 2013 zum Bundesvorsitzenden der FDP gewählt. Vor seiner politischen Karriere war der Politikwissenschaftler unter anderem Inhaber einer Werbeagentur.

Christian Lindner wurde 2013 zum Bundesvorsitzenden der FDP gewählt. Quelle: REUTERS

„Starre Hierarchien verlieren zunehmend an Bedeutung, teamorientierte Projektarbeit ist auf dem Vormarsch. Beschäftigte übernehmen in Projektteams Leitungsfunktionen aufgrund ihres Wissens und nicht aufgrund ihrer hierarchischen Stellung. Kooperation und Vernetzung im Job ist von herausragender Bedeutung. Den Weg in die Wissensgesellschaft und Kreativarbeit prägen Elemente wie Projektarbeit, Selbstständigkeit sowie Honorar- und Zeitverträge. Diese neuen Erwerbsformen werden zunehmend frei gewählt und sind somit nicht mehr ein Kennzeichen von wenigen Berufsfeldern oder gar von Arbeit zweiter Klasse.“

Richard Sennett lehrt Soziologie und Geschichte an der New York Universität und der London School of Economics and Political Science. Seine Hauptforschungsgebiete sind Städte, Arbeit und Kultursoziologie. Sennett hat mehrere Beststeller geschrieben.

„Ich glaube nicht, dass man ein permanentes Glück am Arbeitsplatz empfinden kann. Aber ich bin davon überzeugt, dass sich das Gefühl einer grundlegenden Zufriedenheit einstellt, wenn man das Gefühl hat, seine Sache gut zu machen. Um das zu erreichen, müssen Menschen die Möglichkeit haben, über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahre hinweg gleiche oder sehr ähnliche Aufgaben zu bearbeiten. Das Flexibilitätspostulat im Personalmanagement der letzten Jahre steht dieser Erkenntnis diametral gegenüber: Die Leute werden permanent von einer Aufgabe zur anderen geschoben, um sie ständig auf einem Niveau der Einarbeitung und Unsicherheit zu halten. Damit wird letztlich das Gefühl der Genugtuung, das sich nach einer erfolgreich erledigten Aufgabe einstellt, zerstört.“

Günter Wallraff, Deutschlands wohl bekanntester Enthüllungsjournalist, sorgte zuletzt mit seiner RTL-Serie „Team Wallraff“ für Furore. Dort deckten die Reporter hygienische Mängel bei der Fastfood-Kette Burger King auf.

Günter Wallraff, Deutschlands wohl bekanntester Enthüllungsjournalist, sorgte zuletzt mit seiner RTL-Serie „Team Wallraff“ für Furore. Quelle: dpa

„Die Arbeit muss wieder humaner, erträglicher und sinnstiftender werden. Niedere Arbeit muss aufgewertet werden. Soziale Dienstleistungen müssen hoch angesiedelt werden in der gesellschaftlichen Rangordnung und entsprechend entgolten werden. In anderen Ländern wie der Schweiz wird z. B. eine Krankenpflegerin oder ein -pfleger im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen wesentlich besser bezahlt als bei uns. Wir sollten diskutieren, wie wir soziale Berufe attraktiver machen können. Dazu gehört der Mindestlohn. Es sollte aber auch Höchstlöhne geben, um der zunehmenden sozialen Ungleichheit Einhalt zu gebieten. Mindest-und Höchstlöhne könnten dann in eine Wechselbeziehung gebracht werden. Derjenige, der seinen Höchstlohn nach einem festgelegten Schlüssel von beispielsweise dem Zehn- oder meinetwegen auch bis zum Zwanzigfachen des Mindestlohns festlegt, der wird als Chef schon aus eigenem Interesse daran interessiert sein, dass der Mindestlohn seiner Mitarbeiter nicht zu gering ist und es dort eine Entwicklung nach oben gibt.“

Richard B. Freeman lehrt Wirtschaftswissenschaften in Harvard. Außerdem ist er als Berater tätig, unter anderem für die Weltbank und die Europäische Union.

„Wenn die Arbeit der Zukunft flexibler gestaltet wird und sich die Macht auf dem Arbeitsmarkt mehr und mehr zugunsten der Arbeitgeber verschiebt, wird die Industrie ihre Produktion nach China, Indien und Osteuropa verlagern, weil sie dort Niedriglohnarbeiter zur Genüge findet. Ich bin deshalb der Auffassung, dass es die einzige Lösung sein wird, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit mehr Kapital auszustatten. Durch Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmen gewinnen in Zeiten des Aufschwungs sowohl die Unternehmer als auch ihre Arbeitskräfte. Die Arbeitnehmer haben dann mehr als ihre reine Arbeitskraft, sie haben einen Anteil am Betrieb und somit einen gewissen Schutz.“

"Arbeit hat einen zu zentralen Stellenwert"

Matthias Horx gilt als einer der einflussreichsten Trend- und Zukunftsforscher. Er startete seine Karriere als Journalist, unter anderem bei der „Zeit“ und gründete 2005 das Zukunftsinstitut.

Matthias Horx gilt als einer der einflussreichsten Trend- und Zukunftsforscher. Quelle: dpa

„Das größte Manko ist, dass wir kein talentorientiertes, sondern ein abschlussorientiertes Bildungssystem haben. Die Frage an jede und jeden müsste lauten: Was ist dein Talent, und wo kannst du es einlösen? Was willst du wirklich tun in deinem Leben? Jemand, der sein Talent kennt, wird vielleicht auch einmal arbeitslos sein, weil er keine Nachfrage für seine Arbeit hat. Er findet aber immer irgendwo eine Beschäftigung. Ich habe in meinem Leben 20 Jahre lang von einem kleinen, gemischten Einkommen gelebt, das ungefähr dem Arbeitslosengeld II entsprach. Ich hatte damals eine wunderbare Zeit, denn ich wusste, dass sich irgendwann meine Situation ändern würde.“

Tim Hagemann ist Professor für Arbeits- und Gesundheitspsychologie an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld. Er berät zahlreiche Unternehmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung.

„Das größte Problem sehe ich darin, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über Jahre hinweg in einer unsicheren Beschäftigungssituation leben; wenn sie auf Dauer für Zeitarbeitsfirmen arbeiten, und das häufig unter schlechteren Bedingungen als ihre Kolleginnen und Kollegen oder in vorangegangenen Beschäftigungsverhältnissen. Befristungen wirken insbesondere dann als große psychische Belastung, wenn unsicher bleibt, was danach kommt. Hätte ich die Sicherheit, dass der Arbeitsmarkt es mir auch danach ermöglicht, mein Leben weiter zu meistern, wäre die Befristung nicht das Problem.“

Mercedes Bunz ist Kulturwissenschaftlerin und Journalistin. Bunz war unter anderem Chefredakteurin von „tagesspiegel.de“ und schrieb für den „Guardian“.

„Arbeit hat für die Individuen in unseren westlichen Gesellschaften einen zu zentralen Stellenwert. Anders gesagt: Menschen haben einen gesellschaftlichen Wert, auch wenn sie nicht arbeiten. Alte, langsame und kranke Menschen sowie Kinder sind dann eine überflüssige Last, die Arbeit macht. Sie sind keine Individuen, die uns lehren, was das ist: Menschsein – das ist gar nicht so einfach. Arbeit ist für uns Menschen ja nur das halbe Leben. Der Zukunft der Arbeit würde es deshalb guttun, wenn sie wieder ein paar andere menschliche Werte an ihre Seite bekommt. Das soll jedoch nicht heißen, dass ich Arbeit als unwichtig betrachte. Sie spielt eine wichtige Rolle für jeden Einzelnen, allein schon, weil sie das Individuum von der Schwere seiner eigenen Gedanken ablenkt und es in größere gesellschaftliche Zusammenhänge einordnet.“

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