Architekturkritik Wie unförmige Bauten Städte entstellen

Seite 2/3

Frankfurt begrüßt den EZB-Neubau

Und in Frankfurt wird Anfang kommenden Jahres die neue Heimstatt der Europäischen Zentralbank eröffnet, wieder ein Bau der Marke Coop Himmelb(l)au. Auf der früheren Brache im Frankfurter Ostend, in respektheischender Distanz zu den Wolkenkratzern der City, haben es die Wiener „Gaudiburschen“ (Georg Franck) um Büro-Chef Wolf Prix ordentlich krachen lassen. Auf den sachlich-expressionistischen Klotz der Großmarkthalle von Martin Elsässer aus dem Jahr 1928 haben sie einen groben, fantastisch-neoexpressionistischen Keil in Gestalt eines 185 Meter hohen Doppelturms gesetzt, dessen Außenwände nach oben hin merkwürdig verdreht und verzogen wirken – gerade so, als würde der Turm in Schieflage geraten. Ein Kommentar zu den Schuldenkrisen, die unsere Wirtschaftswelt erschüttern? Ach was. An einer kritischen Interpretation des Kapitalismus im Zentrum der deutschen Hochfinanz ist Prix nicht gelegen, im Gegenteil: Stolz und prahlerisch prangen die Türme wie eine Geldwalhalla über Frankfurt.

Wolf Prix vor dem imposanten EZB-Neubau Quelle: REUTERS

Vielleicht kann man den in jeder Hinsicht schrägen Bau nur verstehen, wenn man die Entwurfsidee kennt: Prix hat einen Quader mit einem kurvigen Schnitt getrennt und eine Hälfte auf den Kopf gestellt, sodass die kurvigen Seiten der beiden Teile nach außen zeigen.

Heraus kommt eine absichtsvoll verwirrende Raumfigur, von der sich ihr Schöpfer einen Wow-Effekt verspricht: „Das wird man sich merken“, hat Prix prophezeit – und die Vorgaben des Bauherrn damit voll erfüllt: einen Bau zu schaffen, der eine Ikone darstellt. Der Blick findet keinen Halt an den stürzenden Perspektiven der Fassade. Das soll er auch nicht: Ruhestörung gehört bei Coop Himmelb(l)au zum Programm, seit den Siebzigerjahren, als die selbst ernannten Wolkenschieber und Rolling-Stones-Fans die Architekturwelt durcheinander wirbelten. Erst mit Parolen, die zu einer Architektur aufriefen, „die leuchtet, die sticht, die fetzt und unter Dehnung reißt“. Dann mit realen Bauten, einer Art Antiarchitektur, die bekannte Bau-Konventionen aufs Korn nahm.

Dynamisch bewegte Bauten

Die Störung des Baukörpers und seine gezielte Dekonstruktion wurden zum Markenzeichen einer ganzen Generation: Architekten wie Daniel Libeskind, Frank O. Gehry, Wolf Prix und Zaha Hadid zogen aus, den Funktionalismus der Sechziger-, Siebzigerjahre das Fürchten zu lehren, mit dynamisch bewegten Bauten, deren Winkel aggressiv zugespitzt wurden wie bei Libeskind und Hadid oder mit dem heiter-verspielten Pop-Interventionen eines Gehry. Was die Riege der sogenannten Dekonstruktivisten bei aller Unterschiedlichkeit eint, ist der Wille zum Extravaganten, zum effektvoll Deformierten, zum demonstrativ auffälligen Signet. Der Gestus der Unangepasstheit, der Provokation des Althergebrachten macht sie so attraktiv: Was als Anschlag auf die Bauwirtschaftsmoderne begann, wurde zum Modell für das Corporate Design der Städte.

Zehn spektakuläre Gebäude bei Dunkelheit
Marina Bay Sands, SingapurErst 2010 eröffnet und schon das Wahrzeichen Singapurs: Das Marina Bay Sands Hotel. Bei Dämmerung bereiten sich die Drillingstürme, die über eine Plattform mit Swimmingpool verbunden sind, auf ihren großen Auftritt vor. Quelle: REUTERS
Marina Bay Sands, SingapurNachts setzt eine Lasershow das Gebäudeensemble in Szene. Quelle: dpa
Super Trees, SingapurHinter dem Marina Bay Sands wartet schon das nächste Architektur-Highlight. Die Super Trees sind mit Pflanzen bewachsene Stahlgerüste, die der Zucht seltener Pflanzen dienen. Quelle: Gemeinfrei
Super Trees, SingapurVor allem bei Dunkelheit wirken die Riesen wie Bäume von einem anderen Stern. Quelle: dpa
Ciudad de las Artes y de las Ciencias, ValenciaSchon bei Sonnenuntergang wirkt die "Stadt der Künste und Wissenschaften" in Valencia spektakulär. Die außergewöhnliche Architektur macht dem Namen des Komplexes alle Ehre. Quelle: Juandec, Creative Commons, CC BY 2.0
Ciudad de las Artes y de las Ciencias, ValenciaNoch futuristischer wirkt das Ensemble bei Nacht. Quelle: Jorge Franganillo, Creative Commons, CC BY 2.0
Banpo-Brücke, SeoulTagsüber ist die Banpo-Brücke in Seoul eine schnöde Balkenbrücke. Warum sie im Guinness-Buch der Rekorde steht, offenbart sich erst bei Dunkelheit. Quelle: Jordi Sanchez Teruel, Creative Commons, CC BY-SA 2.0

Inzwischen auch zum Imageinstrument asiatischer Semidiktaturen, die sich Denkmäler ihrer Autorität und Fortschrittlichkeit setzen. Der Berliner Architekt Jürgen Mayer H etwa, dem das südspanische Sevilla das Implantat einer hölzernen Pilzlandschaft auf dem zentralen Platz der Altstadt verdankt, hat für seine Marshmallow-Bauten Abnehmer in Georgien gefunden. Und Zaha Hadid hat zuletzt mit dem Kulturzentrum in Aserbaidschans Hauptstadt Baku für Aufsehen gesorgt: Die glamouröse Plastik einer Riesenwelle aus weißem Beton ergießt sich in die Stadtlandschaft. Ihr Entwurf für das Performing Arts Center in Abu Dhabi zeigt, wohin die Reise geht: Die Formen werden biologisch-fluid, statt scharfer Kanten und Keile konturieren nun weiche, zerfließende Kurven das Bauprofil. Die digitalen Entwurfstechniken laden zu gestalterischen Freiheiten ein, wie man sie früher nicht kannte. Die Auffälligkeit wird geschmeidiger – und bleibt doch, was sie ist: bloßer Selbstzweck.

Die Folge ist ein Wettbewerb der Überspanntheiten, bei dem Architektur wie Publikum mittlerweile aus der Puste geraten. „Der Aufmerksamkeits- und Erregungswert dieser terroristisch-touristischen Dauerprovokationen gerade im Kulturtourismus ist weiterhin hoch“, sagt der Architekturtheoretiker Michael Mönninger, „doch die anhaltende Serienfabrikation von angeblich unverwechselbaren Unikaten stößt an die Grenze des öffentlichen Auffassungsvermögens.“ Libeskind in Berlin oder New York sei noch „ein Statement“ gewesen, aber Libeskinds neue Uni-Aula in Lüneburg, ein Abklatsch seiner Metropolen-Bauten in der Provinz, sei „deplatziert“.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%