Aufschieberitis Warum wir so viel aufschieben

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Wie können wir die Aufschieberitis wirksam bekämpfen

Bei Förster und seinen Kollegen rufen längst nicht mehr nur Studenten an, auch viele Selbstständige und Journalisten klagen ihr Leid. „Wir können sie allerdings lediglich auf die Informationen auf unserer Webseite und an psychologische Praxen verweisen, denn unser Angebot richtet sich nur an Studierende der Universität Münster“, sagt Förster.

Wie können also alle anderen die Aufschieberitis wirksam bekämpfen? Jan Peters und Christian Büchel vom Institut für Systemische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf entwickelten in einer Studie 2010 eine clevere Methode. Sie wiederholten das klassische Experiment von Leonard Green, allerdings in abgewandelter Form. Ihre 30 Probanden sollten die Entscheidung zwischen einer sofortigen Auszahlung und einer späteren, größeren in einem Magnetresonanztomografen treffen.

Dadurch konnten die Wissenschaftler beobachten, was währenddessen im Gehirn vor sich ging. Außerdem führten sie mit den Testpersonen vorab ein ausführliches Gespräch und fragten sie nach ihren Plänen für die Zukunft: Wohin sollte der nächste Urlaub gehen? War eine Hochzeit geplant? Wollte jemand vielleicht ein neues Studium beginnen?

Diese acht Dinge töten jede Motivation
Wird der Beitrag eines Mitarbeiters zum Unternehmenserfolg nicht als wichtig anerkannt, geht die Motivation sich weiter zu engagieren und sich einzubringen Quelle: Fotolia
Angst ist der Grund Nummer eins dafür dass Mitarbeiter aufhören etwas zu tun. Sie gehen keine Risiken mehr ein und bleiben hinter ihren Möglichkeiten. Quelle: Fotolia
Nichts ist frustrierender als die gleiche Aktivität wieder und wieder zu wiederholen. Dabei geht schnell das Interesse an Arbeit und Unternehmenserfolg verloren. Quelle: Fotolia
Manche Mitarbeiter kommen mit dem eigenen Versagen nicht klar. Und so mancher Manager sieht Versagen nicht als Teil der Erfolgsentstehung. Quelle: Fotolia
Ausruhen ist Pflicht! Ein Team braucht genügend Möglichkeiten sich auszuruhen, sonst geht der Antrieb schnell verloren. Quelle: Fotolia
Aber auch zu viel Erfolg kann die Motivation abwürgen und zu Bequemlichkeit führen. Wenn sich ein Team fühlt als wäre es angekommen und hätte alles erreicht dann fehlt der Druck Quelle: Getty Images, Montage
Apathie entsteht,wenn die gemeinsame Vision nicht klar definiert ist oder wenn sich Mitarbeiter nicht mit ihr identifizieren. Eine griffige und anspornende Vision ist also wichtig. Quelle: dpa, Montage

Diese Informationen setzten sie nun während des eigentlichen Experiments ein. Einen Teil der Probanden erinnerten die Neurologen kurz vor der Entscheidung zwischen den beiden Geldbeträgen an ihre Zukunftspläne. Bereits dieser dezente Hinweis reichte, um die Ungeduld in den Griff zu bekommen. Im Vergleich zu den anderen Teilnehmern waren jene Freiwilligen öfter dazu bereit, auf den höheren Geldbetrag zu warten. Je wichtiger ihnen das Ereignis war, desto größer der Effekt.

Bei der Auswertung der Daten fielen den Forschern zwei Gehirnregionen auf, die vermutlich für strategisches Denken und Planen verantwortlich sind. Sie waren immer dann aktiv, wenn die Probanden an ein zukünftiges Ereignis erinnert wurden, und schienen in diesen Momenten zu entscheiden, welcher Geldbetrag attraktiver war.

Auch Motivationsforscher Berkman glaubt, dass sich Prokrastinieren mit einem Blick für das große Ganze und die eigenen Lebensziele in den Griff bekommen lässt. Seine Studien zeigen, dass Menschen immer dann motiviert und hartnäckig an langfristigen Aufgaben arbeiten, wenn diese Aufgaben wichtig für ihr Selbstbild sind. Klingt etwas esoterisch, ist aber wirkungsvoll.


Prokrastination bei wichtiges Lebenszielen

Wer schon immer ein erfolgreicher Professor werden wollte, wird mit seiner Doktorarbeit früh genug anfangen. Wer schon seit Kindheitstagen davon träumt, an Olympischen Spielen teilzunehmen, geht ganz automatisch regelmäßig zum Training. Bei solchen Aufgaben, die zu wichtigen Lebenszielen gehören, komme es nur selten zu Prokrastination, sagt Berkman. Dieser Mechanismus lässt sich auch für kleinere Aufgaben nutzen. Man sollte sich verdeutlichen, wie der konkrete Arbeitsschritt mit größeren Werten zusammenhängt.

Genau das aber fällt vielen Betroffenen schwer, sagt Stephan Förster: Sie haben Probleme damit, ihre kühnen Pläne auf einzelne Arbeitsschritte herunterzubrechen. Mit den Studenten, die zu ihm in die Prokrastinationsambulanz kommen, arbeitet Förster daher vor allem an zwei Strategien. Sie sollen lernen, realistische Arbeitspläne zu erstellen, und eine Methode finden, mit der es leichter fällt, endlich anzufangen. Dieser Plan gebe in kleinen Schritten vor, was bis wann zu erledigen ist: „Das sorgt für regelmäßige Erfolgserlebnisse“, sagt Förster, „und gibt das gute Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.“

Nützliche Rituale

Wer vor allem Probleme damit hat, jeden Tag zu einem festen Zeitpunkt mit der Arbeit anzufangen, könne sich mit einem Ritual helfen. Zum Beispiel vor jeder Arbeitseinheit eine Tasse Tee kochen oder einen kurzen Spaziergang machen. Wichtig sei, dass der Brauch ein natürliches Ende hat und nicht länger als 15 Minuten dauert. „Nach einer Zeit wirkt ein derartiges Ritual wie ein Signal, das auf die bevorstehende Arbeit vorbereitet”, sagt Förster.

Vielleicht muss man die Prokrastination aber auch nicht mit aller Kraft bekämpfen. Die Psychologin Jihae Shin von der Wisconsin School of Business glaubt zum Beispiel, dass das Aufschieben sogar seine guten Seiten hat. In einem Experiment ließ sie Probanden neue Geschäftsideen entwickeln. Die einen konnten sofort loslegen, die anderen sollten erst mal eine Runde Videospiele daddeln. Später bewertete eine Jury die Vorschläge. Und siehe da: Die Ideen der Gruppe, die erst zocken durfte, kamen deutlich besser weg. Im Durchschnitt empfand die Jury ihre Ideen um 28 Prozent kreativer.

Wer zu früh mit einer Aufgabe anfängt, neigt zu naheliegenden und wenig innovativen Ideen, so die Theorie von Shin. Auch das Gegenteil von Prokrastination könne daher problematisch sein: wenn man nicht abwarten könne und zu schnell Entscheidungen treffe. Einen Namen gibt es für dieses Leiden auch schon – Prekrastination.

Bis zu einem gewissen Grad kann man den eigenen Hang zum Aufschieben daher gelassen sehen. Und sich den 2001 verstorbenen Autor des Kultbuches „Per Anhalter durch die Galaxis“ zum Vorbild nehmen. „Ich liebe Deadlines“, sagte Douglas Adams mal in einem Interview. „Ich liebe dieses zischende Geräusch, wenn sie vorbeirauschen.“

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