WirtschaftsWoche: Frau Starlay, warum haben wir so viel Kleidung – und trotzdem nichts anzuziehen?
Katharina Starlay: Tatsächlich nutzen viele Menschen nur 20 Prozent ihrer Garderobe regelmäßig. Trotzdem haben sie das Gefühl, nicht genug Kleidung zu besitzen. Denn zu viele Stücke im Schrank vernebeln den Blick.
Was raten Sie also, wenn man Lust auf eine neue Garderobe für das Büro hat?
Bevor man sich etwas Neues kauft, sollte man sich erst mal dem zuwenden, was man schon hat. Teil der guten Garderobenplanung ist das gekonnte Ausmisten: Welche Kleiderstücke besitze ich und in welcher Qualität? Dabei geht es nicht nur um die Materialqualität. Entscheidend ist auch: Steht mir die Farbe, der Schnitt, passen die Materialien zu mir und zueinander, lassen sich Stücke gut kombinieren?
Warum ist eine kleinere Garderobe nachhaltiger?
Was mir steht, das trage ich ganz einfach häufiger und länger. Meine Lieblingshose bringe ich gern zur Änderungsschneiderei, wenn sich mein Körper verändert. Kaufe ich hingegen die gerade angesagte knallige Farbe, die mir aber nicht steht, landet das Teil vermutlich schnell ganz hinten im Schrank. Kleidungsstücke, die mir gut stehen, lassen sich automatisch auch gut miteinander kombinieren.
Was mir nicht gefällt, wird also aussortiert. Und was ist mit Kleidungsstücken, bei denen ich mir unsicher bin?
Die ziehen Sie noch einmal an. So können Sie einerseits sehen, ob sie Ihnen stehen. Außerdem lässt sich auf diese Weise feststellen, ob das Stück vielleicht in Kombination mit anderen doch einen Platz im Kleiderschrank hat. Was aussortiert wird, kann ja immer noch gut sein und in den Second-Hand-Kreislauf gehen. Die Sharing Economy etwa in Form von Kleidertauschbörsen wird sich in den nächsten Jahren weiterentwickeln. Wir brauchen Qualität und Abwechslung.
Zur Person
Die studierte Modedesignerin Katharina Starlay ist als Imageberaterin und Einkleiderin für Unternehmen tätig. Sie sitzt seit 2014 im Deutschen Knigge-Rat. 2012 erschien ihr erstes Buch „Stilgeheimnisse“. Seit März 2023 ist ihr Ratgeber „Kleidung nachhaltig konsumieren – Mit Stil die Zukunft gestalten“ erhältlich.
Ich habe ausgemistet. Was kommt dann?
Grundsätzlich ist es sinnvoll, Winter- und Sommergarderobe zu trennen. Das schafft schon mal Klarheit, wie viel man überhaupt besitzt. Ich trenne zudem im Schrank Bürokleidung von privaten Sachen. Ein super Tipp ist es, gleich komplette Outfits gemeinsam anzuordnen. Die gängigen Kleiderschranksysteme dienen uns da leider überhaupt nicht, weil da einfach Hosen zu Hosen oder Kleider zu Kleider gehängt werden.
Wie geht es denn besser?
Gruppieren Sie das Outfit bestmöglich. Unter eine Jacke kommt zum Beispiel der passende Rock und die Accessoires hänge ich mir gleich dazu. Passt eine Jacke gut zu drei Hosen, hänge ich die hintereinander. Das schafft viel Überblick und Sicherheit.
Zunehmend beliebt ist eine Kollektion fürs Büro, die nur aus wenigen ausgesuchten Kleidungsstücken besteht. Wie kann sie aussehen?
Das Minimum ist eine „Überlebensgarderobe“. Sie deckt eine Arbeitswoche ab, ohne, dass Sie denselben Look zweimal tragen müssen. Stellen Sie sich vor, Sie gehen für fünf Tage auf Dienstreise: Was benötigen Sie an Kleidungsstücken, Schuhen und Accessoires?
Kann ich auch Outfits für zwei oder mehrere Wochen zusammenstellen?
Selbstverständlich. Zwei Wochen klingt nach einem vernünftigen Richtwert. Mehr kann man immer haben. Die Frage ist: Wie viel Abwechslung brauche ich? Letztlich ist es immer eine individuelle Abwägung, je nach Persönlichkeit, Job und Dresscode. Der eine hat vielleicht viele offizielle Meetings und trägt jeden Tag Anzug oder Sakko. Der andere kommt mit lediglich einem Anzug aus. Meine Garderobe muss immer mein Leben spiegeln. Ich persönlich habe zwei Laufmeter Hängeware, eine Seite Business, eine privat.
Wie gehe ich genau vor, wenn ich System in meine Bürogarderobe bringen möchte?
Nach der Bestandsaufnahme und dem Ausmisten schreiben Sie eine Liste, welche Stücke Sie für diese eine Woche brauchen. Bei einem Herren in einem eher formellen Arbeitsumfeld reichen vielleicht zwei Sakkos und drei Hosen, wenn zum Beispiel noch eine Chino dabei ist und sich die Stoffe untereinander gut kombinieren lassen. Dazu kommen dann fünf Oberhemden. Seien Sie dabei sich gegenüber ehrlich. Wer viel schwitzt, benötigt vielleicht eher zehn Hemden.
Das bedeuten die verschiedenen Business-Dresscodes
Bedeutet gehobene Freizeitkleidung, also: Baumwollhose, Polohemd, Jackett. Beim Business Casual putzen sich die Leute mehr heraus: Frauen tragen Kostüm oder Hosenanzug, nicht zu hohe Schuhabsätze, unsichtbare Zehen. Männer tragen eine Kombination, die Krawatte kann im Schrank bleiben.
Meist bei Einladungen nach der Arbeit. Konservativ: Er trägt Anzug, aber keine Brauntöne. Sie: Kostüm oder Hosenanzug, aber keine großen Handtaschen mit Schulterriemen. Einzig richtig: Clutchbags – kleine Handtäschchen ohne Riemen. Rocklänge: nie kürzer als eine Handbreit über dem Knie.
Damen: halblange, elegante Kleider
Herren: dunkelgraue oder schwarze Anzüge.
Gerne zu Abendanlässen.
Er: Smoking, Hemd mit Doppelmanschetten, Kummerbund und Einstecktuch, schwarze Fliege, schwarze Schuhe.
Sie: schwarze lange Robe, Tasche (kleiner als der Kopf). Accessoires gerne farbig.
Er: Frack, weiße Weste mit tiefem Ausschnitt, Stehkragenhemd mit verdeckter Knopfleiste, weiße Fliege, Lackschuhe.
Sie: bodenlanges Abendkleid in Schwarz, Weiß oder Grau (Schultern bei Ankunft bedeckt). Zum Ballkleid geschlossene Schuhe mit Seidenstrümpfen. Findet der Ball im Hochsommer statt, auch hohe Sandaletten – dann ohne Strümpfe.
Zu eleganten Partys und Vernissagen ab 16 Uhr.
Er: dunkler Anzug, Hose mit Bügelfalte, einfarbiges Hemd, dunkle Krawatte, lässiger Schnürschuh.
Sie: das kleine Schwarze. Schultern, Dekolleté und Bein dürfen gezeigt werden.
Werden oft falsch zugeknöpft. So ist es richtig: Zweireiher immer geschlossen. Sakko mit zwei Knöpfen: ein Knopf geschlossen, wahlweise der untere oder der obere. Drei-Knopf-Sakko: beide oberen Knöpfe zu oder nur der mittlere. Vier-Knopf-Sakko: die beiden mittleren oder die drei oberen Knöpfe geschlossen. Fünf-Knopf-Sakko: alle Knöpfe bis auf den untersten bleiben zu. Frack: wird immer offen getragen. Weste: alle Knöpfe bis auf den untersten bleiben geschlossen.
Unter Sakkos tabu! Die Hemdmanschette muss unter dem Ärmel herausschauen. Richtig: Die Ärmel des Sakkos enden knapp über dem Handrücken, die Hemdmanschette schaut darunter einen Zentimeter heraus.
Klassisch aus weißer Baumwolle, modern aus farbiger Seide oder Kaschmir. Hat nie (!) dasselbe Muster wie die Krawatte, passt aber farblich dazu.
Sie reicht exakt bis zur Gürtelschnalle, nicht länger, nicht kürzer. Der Knoten darf nie so dick werden, dass er den Kragen vom Hemd abdrückt.
Ungepflegte Galoschen enttarnen jedes stilvolle Outfit als Verkleidung. Das Minimum ist ein Paar schwarzer Schnürschuhe aus Leder. Etwa ein Oxford – glatt mit schlichter Kappe. In Braun passt er auch zu Sportjacketts oder Tweedanzügen. Der Semi-Brogue eignet sich zu gemusterten Anzügen und weichen Stoffen. Auch er hat eine Kappe, die weist aber dezente Lochmuster wie beim Brogue auf. Der wird auch Budapester genannt und passt mit seinem typischen Lochmuster auf der geschwungenen Kappe und den Seitenflügeln zu Anzügen aller Art. Wirkt aber stets etwas konservativ.
Wie viele Krawatten sollten es sein?
Bis zu fünf – gern auch weniger, wenn eine Krawatte zu mehreren Outfits passt. Wer die Krawatte abgelegt hat, braucht andere Eyecatcher, welche die Erscheinung interessant machen, zum Beispiel ein Einstecktuch oder eine schöne Armbanduhr.
Wie weiß ich denn, was sich womit gut kombinieren lässt?
Hier sollte ich auf Proportionen, Farbe sowie Linie beziehungsweise Schnitt achten. Haben Kleidungsstücke zwei von drei dieser Eigenschaften gemeinsam, harmonieren sie vermutlich.
Ist es von Vorteil, sich bei der Kollektion fürs Büro auf eine Farbpalette zu beschränken?
Unbedingt. Wir unterscheiden bei den Farbeigenschaften drei Paare: helle und dunkle Farben, klare (frische) und gedämpfte (weiche) Farben sowie warme (Gelbanteil größer) und kalte (Blauanteil größer) Farben. Warme und kalte Farben lassen sich zum Beispiel sehr schlecht miteinander kombinieren, das ergibt einen Bruch für das Auge und sieht gewollt aus. Deshalb lohnt sich eine Farbanalyse beziehungsweise Stilberatung, um herauszufinden, was am besten zum Hautton passt.
Aber langweilt man sich bei einer so begrenzten Auswahl nicht schnell?
Kleidungsstücke, die uns gut aussehen lassen, sorgen für weniger Langeweile, weil wir uns in ihnen wohlfühlen. Es kommt außerdem darauf an, den Blick fürs Detail zu schulen. Vielleicht wähle ich kein schlichtes weißes Hemd, sondern eine leichte Farbe oder eine Textur, um das Hemd interessanter zu machen. Ein Rock kann mit einer Baumwollbluse tagsüber ganz anders wirken als abends mit einer Seidenbluse. Außerdem kommt es entscheidend auf die Accessoires an.
Wie funktioniert das ganz praktisch?
Mit einem Gürtel lassen sich zum Beispiel die Linien verändern. Die weite Jacke vom legeren Hosenanzug passt mit einem Gürtel plötzlich gut zu einem figurbetonten Rock. Ein Schuh mit halbem Absatz wirkt ganz anders als einer mit hohem Absatz. Ein sportlicher Schuh verändert Gang und Haltung. Eine Strumpfhose sollte idealerweise eine Harmonie zwischen Rocksaum und Schuh herstellen. Statt Schwarz ist hier vielleicht ein helleres Braun oder Grau eine schöne Alternative. Accessoires können einen Look komplett umgestalten.
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Was halten Sie von ausgefallenen Strümpfen bei Männern?
Farbige Socken wirken schnell platt, wenn sie nicht im Rest des Outfits gespiegelt werden. Will ich, dass mir mein Gegenüber in die Augen oder auf den Knöchel schaut? Passt hingegen die Socke farblich zum Einstecktuch oder zum Pullunder unter der Anzugjacke, kann das zum Niederknien schön sein. So viel Liebe zum Detail signalisiert im Berufsleben zudem, dass ich auch in anderen Bereichen Sorgfalt walten lasse.
Wie stehen Sie zu weißen Turnschuhen im Büro?
Weiße Sneaker können Spaß machen. Wir sollten uns aber fragen: Was genau sagen wir damit eigentlich? Wenn Leute für den Umweltschutz auf die Straße gehen und dabei weiße Sneaker tragen, habe ich automatisch Fragen, Stichwort „Nachhaltigkeit“. Turnschuhe bestehen häufig überwiegend aus Synthetikmaterialien, sie müssen rasch ausgetauscht oder aber gewaschen werden. Dadurch gerät wiederum Mikroplastik ins Wasser.
Was halten Sie davon, sich Kleidungsstücke zu mieten – ist das nachhaltig?
Wenn ich eine Standardfigur habe, kann das funktionieren. Aber wer hat das schon? Ich bin ständig beim Änderungsschneider. Denn mit einem wirklich perfekt sitzenden Kleidungsstück bleibt man bei Menschen im Gedächtnis. Das geht bei geliehenen Kleidungsstücken natürlich nicht.
Spielt ein guter Änderungsschneider also eine wichtige Rolle bei einer nachhaltigen Garderobe?
Unbedingt. Er sollte so sorgfältig ausgewählt werden wie ein guter Friseur oder Barbier, dem man jahrelang treu bleibt. Ein Schneider kann auch Kleidungsstücke herrichten, von denen man sich nicht trennen mochte und die man nach einigen Jahren wieder hervorkramt. Einen solchen „Vielleicht später“-Stapel darf man sich auch bei einer Kapselkollektion gönnen. Denn je länger einen Kleidungsstücke begleiten, desto stärker werden sie auch Teil der Biografie.
Was sagen Sie zu Befürchtungen, man könnte unangenehm auffallen, wenn man Sachen wiederholt trägt?
Der Blick auf das Thema verändert sich. Es ist völlig normal, Teile wiederholt zu tragen, heute machen das sogar Royals und Celebritys. Hier hilft es aber eben, kreativ zu sein, Spaß zu haben und auch mal Mut zu beweisen, indem Kleidungsstücke immer wieder neu inszeniert werden, zum Beispiel mal sportlich, mal elegant. Es ist auch hilfreich, sich zu notieren, wenn man ein Stück bei einer großen Veranstaltung getragen hat. Dann hat man auf den Fotos im nächsten Jahr nicht wieder dasselbe an.
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