
Wirtschaftswoche Online: Herr Gastmann, Sie haben für Ihr Buch "Geschlossene Gesellschaft" Reiche in aller Welt getroffen. Warum?
Gastmann: Weil ich nach einem Wunderland gesucht habe, in dem Prinzessinnen, Scheichs und Scharlatane tanzen. Magische Nächte, schneeweiße Sorgen - so stellte ich es mir vor. Deshalb reiste ich quer durch den Jet-Set-Kalender. Von St. Moritz nach Monte Carlo, von Cannes nach Marbella, von den Oligarchenpalästen in Kiew bis nach Katar, ins reichste Land der Erde. Ich wollte wissen, wie die Millionäre und Milliardäre wirklich sind, die sich fast die Hälfte des weltweiten Vermögens teilen.
Und, wie sind sie?
Sie sind wie Schneetiger oder Lederschildkröten. Scheue, seltene und edle Geschöpfe. Abgesehen von den üblichen Paradiesvögeln traf ich eine Menge höflicher, charmanter und inspirierender Persönlichkeiten, die alle ein kleines bisschen verrückt waren.
Inwiefern?
Ich glaube, dass viele erfolgreiche Menschen von einem Trauma getrieben werden. Der Schraubenmilliardär Reinhold Würth war 19, als er seinen Vater verlor. Jochen Schweizer, der Erlebnisverkäufer, musste erst in den Abgrund blicken und fast insolvent gehen, bevor er den großen Durchbruch schaffte.
Gleichzeitig waren Sie aber überrascht, dass Millionäre doch völlig normal sind.
Ja, einige kokettierten sogar damit. Werner Kieser, der Guru der Kieser-Fitnessstudios, öffnete mir im Pyjama die Tür, den Rottweiler an der Hand. Als ich ihm erzählte, dass ich über Reichtum schreiben möchte, kicherte er wie kleiner Junge und wetze durch seine Villa. Kieser öffnete Gefriertruhen, seinen Heizungskeller, das eheliche Schlafzimmer und leerte sogar einen Mülleimer vor mir aus. "Ich bin nicht reich, Herr Gastmann!", lachte er. Dann zitierte er Max Stirner: "Vermögen ist das, was man vermag."
Wie philosophisch.
Man muss wissen, dass Kieser nicht nur ein Ex-Boxer ist, sondern vor kurzem seinen Master in Philosophie bestanden hat.

Wonach sehnen sich reiche Menschen denn?
Nach Liebe und einem offenen Ohr. Das klingt kitschig, aber einige meiner Interviews mit Vermögenden verliefen wie Therapiesitzungen. Ich versuchte, den Menschen zuzuhören und vertraute ihnen Intimes aus meinem Leben an. Dafür bekam ich auch etwas zurück.
Zum Beispiel?
Auf einer Gala in Marbella lernte ich einen echten Partylöwen kennen, der angeblich Milliarden in der Immobilienbranche bewegte. Das zweite Mal verabredeten wir uns in einem kleinen Ort bei Frankfurt, wo er seine Mutter besuchte. Überraschenderweise war der Mann wie ausgewechselt und brachte keinen Ton heraus, vielleicht war er manisch-depressiv. Eine Stunde saß ich neben ihm und erzählte ihm Geschichten. Schließlich gingen wir gemeinsam ins Fitnessstudio, wo ihm sein Personal Trainer wieder Leben einhauchte. Auf der Rückfahrt sprachen wir über Kindheit und den Tod.
Was vermissen Sie aus diesem Leben?
Nichts. Nicht die Kunstsammlung, nicht den Flügeltürer, nicht die Superyacht hinterm Haus, nicht die Champagnerpyramiden und nicht die Werbegeschenke von Tiffany. Ich habe viele Reiche bewundert und war auf einige sogar neidisch, wollte aber mit keinem tauschen. Na gut: Eine Privatinsel wie die von Richard Branson wäre nicht schlecht.
Hatten Sie denn nie Sehnsucht nach einem Leben, in dem Geld keine Rolle mehr spielt?
Natürlich. Weil ich dachte, dass Geld ein Sorgenlöser sei. Doch für einen Millionenerben wie Rolf Sachs, den ältesten Sohn von Gunter Sachs, ist es Fluch und Segen. Das Geld ermöglicht ihm, als Künstler verrückte und völlig unökonomische Dinge zu probieren. Andererseits fesselt es ihn. Sachs will nicht derjenige in der Linie sein, der das Erbe verspielt. Deshalb musste er Investmentbanker lernen, obwohl er eigentlich ein kreativer Mensch ist.





Wollen Millionäer ihren Reichtum denn vor allem bewahren oder vergrößern?
Das ist schwer zu verallgemeinern. Die Spezies "Selfmade-Unternehmer" versucht in der Regel, den Reichtum zu Lebzeiten zu mehren und über den Tod hinaus zu bewahren. Reinhold Würth zum Beispiel hat seinen Konzern vor langer Zeit in eine Stiftung überführt, damit keine Erbkriege ausbrechen. Das Geld zu verschleudern ist nicht Sinn des Spiels, auch wenn sich Würth eine 85-Meter-Yacht gönnt. Neureiche, die ihr Geld geerbt, gewonnen oder über Nacht verdient haben, verhalten sich anders.
Und zwar?
Entweder geben sie ihren Reichtum mit vollen Händen aus oder sie halten krampfhaft an ihm fest. An manchen von ihnen hat die Wissenschaft das "Sudden Wealth Syndrom" diagnostiziert - den Fluch plötzlichen Reichtums.
Wie äußert sich das?
Schnelles Geld kann angeblich zu Depressionen, Schuldgefühlen und Paranoia führen. Die Betroffenen fürchten, alles wieder zu verspielen, und fühlen sich verfolgt: von Freunden, von ihrer Familie, von der ganzen Welt. Ihr halbes Leben haben sie sich gewünscht, mehr Zeit mit Frau und Kindern zu verbringen, doch jetzt isolieren sie sich und alles ist viel schlimmer als zuvor.
Sie stellen am Anfang ihres Buches selbst die Frage: Was macht Reichtum mit dem Kopf und mit dem Herzen? Wie lautet die Antwort?
Manchmal nimmt es die Träume. Wenn sich jeder Wunsch erfüllt hat, beginnt die Langeweile. Besuchen Sie mal eine Charity-Gala und warten Sie ab, bis die Presse verschwunden und die zweitausend Euro teure Leguan-Handtasche aus der Tombola verlost ist. Meine neue Freundin Gräfin Gunilla von Bismarck wählt in solchen Fällen den französischen Abgang: Rückzug ohne Wiedersehen zu sagen. Vielleicht sind arme Menschen manchmal glücklicher, weil sie noch Hoffnungen haben. Man könnte auch sagen: Sie erleben noch Wunder.