Begräbnisriten "Der Schmerz soll in Watte gepackt werden"

Der Theologe Ansgar Franz erklärt, warum Trauern heute schwieriger geworden ist und Begräbnisriten nicht erfunden werden können.

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Quelle: Getty Images

Herr Professor Franz, wir haben in den vergangenen Jahren eindrucksvolle Demonstrationen kollektiver Trauer erlebt, zuletzt nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen. Andererseits werden immer mehr Menschen anonym beigesetzt, ohne Trauerfeier und markiertes Grab. Wer sich nicht sicher ist, wie er von einem lieben Menschen Abschied nehmen soll, findet Hilfestellung bei einer florierenden Ratgeberliteratur oder er hält sich, sofern er Christ ist, an die Ritualangebote der beiden großen Kirchen. Ist es schwieriger geworden zu trauern und der Bestattung eine Form zu geben?

Ansgar Franz: Abschiednehmen war schon immer eine schwierige Sache. Der Tod bedeutet eine Erschütterung, für den einzelnen Hinterbliebenen und für das Familiensystem. Aber ich denke, dass die verschiedenen Formen des Umgangs mit Tod und Sterben, die wir heute erleben, tatsächlich etwas Neues darstellen: Sie sind Ausdruck der gesellschaftlichen Pluralisierung. Die tradierten Formen der Trauer verstehen sich nicht mehr von selbst. Was einst an Verhaltensmustern vorgegeben wurde, etwa dass die Witwe schwarz trägt, dass die Hinterbliebenen für eine gewisse Zeit auf Tanzvergnügen und Theaterbesuche verzichten, das wird heute nicht mehr von der Gesellschaft erwartet. Die Trauernden sind in viel stärkerem Maße aufgefordert, ihren eigenen Ausdruck der Trauer zu finden. Insofern ist das Trauern schwieriger, anspruchsvoller geworden.

Vita: Franz, 56, studierte in Mainz und Rom Katholische Theologie, Geschichte und Italienistik. Von 2000 bis 2004 war er Professor für Liturgiewissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, seither ist er Professor für Liturgiewissenschaft und Homiletik (Predigtlehre) an der Johann-Gutenberg-Universität Mainz und Leiter des Mainzer Gesangbucharchivs. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Traditionen und Riten im Umfeld von Sterben und Begräbnis.

Was ist der entscheidende Unterschied zu früher?

Früher waren die Kirchen mit ihrem Riten-Monopol für den Tod zuständig. Der Einzelne war eingebettet in ein festes Normen- und Ritualsystem und musste sich über die Gestaltung seines Begräbnisses keine Gedanken machen. Heute beginnt die Trauerarbeit damit, dass man sich informiert und aus dem breiten Angebot der Bestatter das Passende heraussucht. Wir finden immer mehr Menschen, die schon zu Lebzeiten bestimmen, ob sie nach ihrem Tod verbrannt oder in der Erde bestattet werden – oder ob ihre Asche ausgestreut wird. Die anonyme Bestattung geht in den meisten Fällen nicht auf den Wunsch der Angehörigen zurück, sondern auf den der Verstorbenen. Mit anderen Worten: Die Frage, wie wir eines Tages aus der Welt der Lebenden gehen, die ist heute viel präsenter als in früheren Zeiten.

Dabei wird immer wieder behauptet, Sterben und Tod würden in unserer Gesellschaft tabuisiert.

Das ist Unsinn, wir erleben doch einen deutlichen Wandel. Im Maße der Pluralisierung der Lebensformen und religiösen Präferenzen beschäftigen wir uns notgedrungen viel stärker mit Sterben und Tod als unsere Vorfahren. Der Einzelne ist heute in seiner Trauerkompetenz gefordert.

Manchmal auch überfordert?

Sicher, der Freiheitsgewinn ist mit einem Verlust an Handlungssicherheit verbunden. Man kann sich auch für das Falsche entscheiden…

…oder ganz auf Riten verzichten. Ist die Zunahme anonymer Beisetzungen ein Zeichen des Niedergangs der Bestattungskultur?

So sehen das vielleicht die Bestattungsunternehmer. Auf jeden Fall ist sie ein Zeichen des Wandels der Bestattungskultur. Das hat auch mit der wachsenden Mobilität zu tun. Wem ist es heute noch vergönnt, in der Nähe des Familiengrabs zu leben, da, wo die Eltern bestattet sind? Die räumliche Trennung der Generationen macht die Grabpflege nicht nur teuer, sondern lässt sie vielfach auch unsinnig erscheinen. Da wird das anonyme Ausstreuen der Asche auf der Wiese zur willkommenen Alternative, zumal die Uniformität vieler kommunaler Friedhöfe mit ihren trostlosen Reihengräbern eher abschreckend wirkt. 

Die anonyme Bestattung

Noch einmal: Sie wollen sagen, die anonyme Bestattung, ohne Abschied durch die Angehörigen, sei kein Bruch mit der Tradition?

Ein Bruch ist sie insofern, als sie ein Novum darstellt in unserer Kultur, aber auch nur in Bezug auf die letzten 200 Jahre. Die Beerdigung Mozarts fand bekanntlich noch in einem Massengrab statt, vor den Toren Wiens. Das war damals gängige Praxis und entspricht, was die hygienischen Standards betrifft, in etwa dem Ausstreuen der Asche auf einem Feld. Im Übrigen gibt es auch bei der anonymen Bestattung Restformen des Rituellen: Nicht der Friedhofsgärtner verstreut die Asche, sondern der Friedhofsangestellte, und der trägt sicher einen schwarzen Anzug.

Die zehn skurrilsten Bestattungsriten
Die Bestattung in einem normalen Holzsarg ist keineswegs die einzige Möglichkeit, seine letzte Ruhe zu finden. Weltweit existieren viele verschiedene Bestattungsarten, die stark vom kulturellen Kontext abhängen. Das Informationsportal Bestattungen.de hat die zehn außergewöhnlichsten Bestattungsriten zusammengestellt.Platz 10: Weltraumbestattung (USA) Wenn schon nicht zu Lebzeiten, dann soll es wenigstens danach mit der Reise in den Weltraum klappen: In den USA bietet das Unternehmen Celestis „Memorial Spaceflights“ an – Kostenpunkt: zwischen 8000 und 25.000 Euro. Dabei wird nach der Feuerbestattung die Asche der Verstorbenen in kleine Kapseln gefüllt, die per Rakete ins Weltall befördert werden. Celestis hat schon knapp 1000 Menschen auf diese Weise bestattet. Auch Prominente wie „Star Trek“-Schöpfer Gene Roddenberry und „Scotty“-Darsteller James Doohan führte ihre letzte Reise ins All. Quelle: NASA
Platz 9: Fußballbestattung (England)Einige hartgesottene Fußballfans wollen auch über ihren Tod hinaus mit ihrem Lieblingsverein verbunden bleiben. Weltweit werden 2013 knapp 25.000 Fanbestattungen erwartet. Namhafte Vereine wie Manchester United bieten unterschiedliche Möglichkeiten für die Fanbestattung an. Anders als in Deutschland kann in England die Asche des Verstorbenen auch auf dem „Heiligen Rasen“ im Stadion verstreut oder hinter der Torlinie beigesetzt werden. BVB-Fans beispielsweise bleibt immerhin eine Bestattung im schwarz-gelben Sarg mit Vereinslogo. Quelle: André Zahn/Creative Commons
Platz 8: Traditionelle Totenwache (Japan)In Japan sind die Beerdigungsriten hauptsächlich von buddhistischen Traditionen geprägt. Sie besitzen jedoch auch konfuzianische, christliche und Shinto-Elemente. Bei der traditionellen Totenwache wird der Verstorbene in einen weißen Kimono gekleidet und mit weißen Tüchern bedeckt. Es gibt einen Altar, an dem von den Besuchern Geldgeschenke zur Finanzierung der Beisetzung gemacht werden. Diese sind auch nötig, denn eine durchschnittliche Beerdigung kostet in Japan umgerechnet rund 17.000 Euro. Quelle: katorisi/Wikimedia Commons
Platz 7: Klassische Bestattung der Dani (Papua-Neuguinea)Das indigene Dani-Volk in Papua-Neuguinea hat eine grausame Begräbnistradition: Verwandten Frauen und Kindern des Verstorbenen werden Finger amputiert. Der abgetrennte Finger soll die Geister besänftigen und der physische Schmerz dient als Ausdruck des Leidens. Heute ist diese kulturelle Praxis weitgehend verboten. Quelle: Dian Karlina
Platz 6: Bestattung in hängenden Särgen (China)Nicht unter der Erde, sondern in der Luft hängend sind die Verstorbenen im Südwesten der chinesischen Provinz Sichuan einst beerdigt worden. Das Volk der Bo, das um 1600 unter mysteriösen Umständen verschwand, hat seine Toten an Felswänden aufgehängt. Die Särge wurden jeweils aus einem einzigen Baumstamm angefertigt und mit Seilen an den Klippen befestigt. Es wird angenommen, dass dieses Ritual den Weg ins Jenseits erleichtern sollte. Quelle: Matt Ferrin
Platz 5: Famadihana-Umbettung (Madagaskar)Das eigentlich wichtige Ereignis im Rahmen des madagaskarschen Ahnenkults ist nicht das Begräbnis selbst, sondern die Aushebung der Leichen, die Jahre nach der Bestattung zelebriert wird. Die komplette Dorfgemeinde tanzt bei der sogenannten Famadihana mit den Toten, um die Verbindung zu den Vorfahren zu stärken und ihnen Respekt zu zollen. Dabei werden die alten Leichentücher durch neue Seidentücher ersetzt. Für die Familienclans ist die Famadihana ein Tag der Freude, der mit Livemusik und Festessen gefeiert wird. Quelle: Saveoursmile (Hery Zo Rakotondramanana)/Wikimedia Commons
Platz 4: Hinduistische Feuerbestattung (Indien)Die traditionelle hinduistische Feuerbestattung findet schon seit Jahrtausenden in speziell dafür genutzten Kremationsstätten statt. In Varanasi wurden zahllose Scheiterhaufen direkt am Ufer des heiligen Flusses Ganges errichtet. Jedes Jahr wird die Asche von rund 100.000 Menschen im Ganges beigesetzt. Der heute enorm verschmutzte Fluss verheißt hinduistischen Glaubensvorstellungen zufolge die Absolution und damit ein Entkommen aus dem beschwerlichen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt. Frauen dürfen die Kremationsstätten nicht betreten. Quelle: Eric Parker/Creative Commons

Riten, so heißt es, vermitteln Trost, geben Halt im Haltlosen. Wie funktionieren sie, was ist ihr Betriebsgeheimnis?

Ich denke, man tut gut daran, zwischen Riten und Symbolhandlungen zu unterscheiden. Riten funktionieren immer durch Routinen. Ohne Routinen würden wir unseren Alltag nicht bestehen. Wenn ich jeden Morgen in den selben Bus steige, dann kann ich in der Regel sicher sein, dass er mich an mein Ziel führt, ich muss nicht jeden Morgen neu darüber nachdenken. Und wenn er es nicht tut, ist das ein Verstoß, dann bin ich sauer. Religiöse Riten funktionieren auf die gleiche Weise: Sie sind auf Wiederholbarkeit angelegt, auf Routinen. Ich muss nicht darüber nachdenken, wie ich mitten in meinem Schmerz den lieben Freund, den lieben Verwandten begrabe. Das heißt: Religiöse Riten entlasten uns, sie zeigen, wie die Routinen des Alltags, dass die Welt in Ordnung ist.

Trotz des Chaos, in das ich geraten bin.

Genau. Der Ritus zeigt, dass es eine gute Ordnung des Lebens gibt. Inwieweit ich als Trauernder in der Lage bin, in diese Ordnung zurückzufinden, ist individuell natürlich sehr verschieden. Ich komme ja von der Beerdigung nicht mit dem Gefühl zurück, dass meine Welt in Ordnung ist. Im Gegenteil, sie ist in Unordnung geraten. Aber der Ritus zeigt mir: Es gibt diese Ordnung. Und ich soll in sie zurückkehren.

Was in keinem Testament fehlen darf
HandschriftWer sein Testament selber erstellen will, muss das handschriftlich machen. Denn ein maschinell geschriebenes Exemplar ist nicht gültig und wird von den Gerichten nicht anerkannt. Der Verfasser muss anhand der Handschrift identifizierbar sein. Viele machen den Fehler, und benutzen einfach maschinelle Vordrucke aus dem Internet. Alternativ kann einem ein Notar das Testament als Urkunde erstellen. Auch die muss aber handschriftlich unterschrieben werden. Außerdem sollte das Testament mit einer eindeutigen Überschrift versehen werden, damit es nicht verwechselt wird. Die genaue Bezeichnung ist aber frei wählbar, beispielsweise "Testament" oder "Mein letzter Wille". Quelle: dpa
UnterschriftEgal ob Sie das Testament allein anfertigen oder mit Hilfe des Notars - vergessen Sie nie die Unterschrift. Ohne die ist das Schreiben nicht gültig. Sie sollte immer am Ende des Dokuments stehen. So verdeutlicht sie, dass der letzte Wille hier zu Ende ist. Sobald das Testament mehrere Seiten lang ist, sollte jedes Blatt einzeln unterschrieben sein. Auch wenn das Dokument zu einem späteren Zeitpunkt ergänzt wird, ist wieder eine Unterschrift nötig, damit der Zusatz auch gültig ist. Im Idealfall sollte der Verfasser des Testaments mit seinem Vor- und Nachnamen unterschreiben. Wurde anders unterschrieben, beispielsweise mit "Euer Vater", ist das Testament trotzdem gültig, wenn der Verfasser sicher ausfindig gemacht werden kann. Quelle: AP
Datum und Unterschrift Quelle: dpa
Nicht verlieren! Ist das Testament fertig erstellt, sollte es nicht zu Hause zwischen den heimischen Papier- und Aktenbergen verschwinden. Auch der Nachtschrank oder Schreibtisch ist kein guter Aufbewahrungsort. Die Gefahr, dass keiner der Hinterbliebenen das Testament findet, ist zu groß. Sicherer ist es, den letzten Willen gleich beim Nachlassgericht zu hinterlegen. Dort wird das Testament dann auch eröffnet. Anfang 2012 wurde zudem das Zentrale Testamentsregister bei der Bundesnotarkammer in Berlin eingeführt. Dort werden Testamente registriert und ihr Verwahrungsort hinterlegt. Im Todesfall kann die Kammer so überprüfen, ob ein Testament vorliegt und gegebenenfalls das zuständige Nachlassgericht informieren. Quelle: Fotolia
Pflichtteil beachten! Auch mit einem Testament muss die gesetzlich vorgeschriebene Erbfolge eingehalten werden. Das gilt insbesondere für den Pflichtteil. Wird der vom Verfasser nicht beachtet, können die Betroffenen ihn einklagen. Einen Anspruch auf ihren Pflichtteil haben die in der Erbfolge nächsten Angehörigen – die Kinder und Enkel des Verstorbenen, der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner sowie die Eltern. Der Pflichtteil umfasst die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Quelle: Fotolia
Alles verteilen!Legen Sie in Ihrem Testament möglichst genau fest, wer am Ende was bekommt - nur so lassen sich nervige Streitereien vermeiden. Schreiben Sie also detailliert, wer Schmuck, Ferienhaus, Wertpapierdepot oder Auto erben soll. Nennen Sie dabei möglichst den vollständigen Namen des jeweiligen Erben, keine Spitznamen. Je detaillierter und genauer das Testament geschrieben ist, desto leichter haben es die Erben und der Notar. Quelle: dpa
Berliner TestamentOft wird auch ein sogenanntes Berliner Testament abgeschlossen. So nennt die Fachwelt ein gemeinsames Testament von zwei Verheirateten oder Lebenspartnern. Beide Unterzeichner setzen sich für den Fall des Todes gegenseitig als Erben ein. So erbt der Hinterbliebene zunächst alles, während bei einem normalen Testament auch die Kinder ihren Anteil bekämen. Beim Berliner Testament sind die Kinder Schlusserben, sie bekommen das Vermögen erst, wenn beide Elternteile gestorben sind. Wer sich für ein solches gemeinsames Testament entscheidet, muss allerdings bedenken, dass es auch nur gemeinsam wieder geändert werden kann. Wenn einer der Partner bereits verstorben ist, kann der Hinterbliebene das Testament nur ändern, wenn es eine entsprechende Freistellungsklausel enthält. Quelle: dpa

Der Ritus soll stabilisieren.

Und das tut er, indem er mich entlastet, indem nicht ich den Vollzug der Handlung steuere, sondern umgekehrt der Ritus die Form der Handlung bestimmt. Nicht ich muss entscheiden, ob und an welcher Stelle der Sarg abgesenkt wird, sondern das entscheidet die Form „an sich“, der ich mich anvertraue. Klar, wenn ich zum ersten Mal an einer Beerdigung teilnehme, ist das für mich alles andere als routiniert. Aber für die Gemeinschaft, in diesem Fall die Kirche, die ihre Toten seit 2000 Jahren begräbt, für die ist das eine Routine.

Man delegiert beim kirchlichen Begräbnis also die Form, in der man endgültig vom Verstorbenen Abschied nimmt. Wären nicht auch neue, zeitgemäße Riten vorstellbar?

Man kann heute alles ritualisieren, das behauptet jedenfalls der Ratgebermarkt: Die Trennung vom Ehepartner, die Forderung um Gehaltserhöhung, den Eintritt ins Pensionsalter. Für alles Mögliche gibt es inzwischen Riten von Ritendesignern. Ich meine allerdings, dass der Begriff Ritus sinnvoll nur dann verwendet werden kann, wenn er auf eine Alltagsroutine verweist. Ich bezweifle auch, dass man Riten ernsthaft erfinden kann. Man muss sie „finden“, kann sie aber nicht „erfinden“. Wenn man die christlichen Riten betrachtet, dann fällt doch auf, dass sie sämtlich auf anthropologischen Grundmustern beruhen, auf Grundvollzügen des menschlichen Alltags: Die Taufe auf dem Waschen, die Firm-Salbung auf der Körperpflege, die Eucharistie auf Essen und Trinken. Die neueren Gestaltungselemente, das Aufsteigen-Lassen von Luftballons am Grab, das Anmalen des Sargs, das Schreiben von Abschiedsbriefen – das sind Symbolhandlungen. Die setzen aufs Individuelle, Persönliche, Unverwechselbare...

...auf das Unikat

...und sind deshalb das Gegenteil eines Ritus. 

"Die Lebenden stehen im Mittelpunkt der Feier"

Inzwischen gibt es Patchwork-Feiern, die christliche mit neobuddhistisch-esoterischen Elementen vereinen...

…oder Anleihen machen beim Schamanismus. All das gibt es und spiegelt die Vielfalt von religiösen und weltanschaulichen Deutungsmustern wider, die heute im Umlauf sind. Aber die Mehrheit der Menschen, die sich nicht für ein kirchliches Begräbnis entscheiden, wünscht offenbar für die Bestattung eher einen religiös neutralen Rahmen. Das zeigen auch die Videos der Bestattungsunternehmen. Es wird vor allem damit geworben, dass man der Individualität des Verstorbenen Rechnung tragen möchte und die Spuren verfolgt, die er im Leben der Hinterbliebenen hinterlassen hat. Mit anderen Worten, die Trauerfeier soll den Toten in der Erinnerung noch einmal aufleben lassen. Das scheint der dominante Trend zu sein.

Nachlass ohne Testament
Streitereien zwischen Familienmitgliedern Quelle: Fotolia
Gesetzliche Erbfolge Quelle: Fotolia
Erben der ersten Ordnung Quelle: AP
Ehepartner Quelle: Fotolia
Witwe Quelle: Fotolia
Geschwister Quelle: dpa
Keine Kinder

Die Trauerfeier als Rahmen für ein Porträt?

Ja, die Trauernden sollen erkennen: So war der Verstorbene, mit seinen Stärken und mit seinen Schwächen. Wenn ich kein Fenster in die Transzendenz öffne, egal vor welchem religiösen Hintergrund, dann bleibt nur noch die Erinnerung an den Menschen, den ich betrauere. Dann heißt die Botschaft: Der Verstorbene lebt in uns.

Das heißt, es geht bei der „weltlichen“ Trauerfeier vor allem um die Trauernden?

Es geht nur um sie. Die altchristliche Tradition dagegen nimmt das Seelenheil des Verstorbenen in den Blick, sie spricht von der Begleitung des Sterbenden, dem eine letzte Ruhestatt gegeben wird. Das ändert sich erst mit der Reformation. Luther sagt: Auf das postmortale Geschick des Toten haben wir keinen Einfluss, er hat sein Leben gehabt, jetzt steht er vor seinem Schöpfer. Ob wir zehn Messen für ihn lesen lassen oderhundert, ist völlig egal. Das einzige, was wir tun können, ist, den Lebenden den tröstlichen Artikel von der Auferstehung der Toten zu verkünden. Das bedeutet einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel: Nicht mehr der Tote, sondern die Lebenden stehen im Mittelpunkt der Feier.

Begriffe und Rechtslage zur Sterbehilfe

Wie bei der weltlichen Trauerfeier.

Ja, historisch gesehen haben sich die freien Formen der Bestattung aus der protestantischen Leichenpredigt entwickelt. Die kann noch Hoffnung machen und verkünden: Gott wird den Verstorbenen nicht vergessen, Gott wird ihn aufnehmen. Aber das sagt der Pastor den Hinterbliebenen. Die katholische Tradition begleitet den Toten und singt: „Ins Paradies mögen die Engel dich begleiten, bei deiner Ankunft dich Märtyrer empfangen und dich führen in die Heilige Stadt Jerusalem.“ Das heißt, der angesprochene Tote steht im Zentrum. Und mittelbar wird das, was die Gemeinschaft für ihn tut,  zum Trost für die Hinterbliebenen.

Die Katholiken bieten eine ganze Kette von Riten auf, vom Sterbesakrament bis zum Begräbnis…

…und den so genannten Gedächtnissen am siebten oder dreißigsten Tag nach dem Tod. Aber es beginnt mit der Begleitung am Totenbett. Wenn ein Mensch gestorben ist, sollen die Familienmitglieder nicht schweigend und betroffen um das Totenbett herumstehen, sondern es wird ein Gebetsritual angeboten. Früher gab es die Totenwache: Man blieb noch eine Weile beim aufgebahrten Leichnam. Das sind alles Schritte, die den Verlust, den Schmerz begreifbar machen. Ihn domestizieren, indem sie ihn zulassen, statt ihm auszuweichen.

"Emotionalere Momente als ein kirchlicher Ritus"

Der Tod soll in seiner ganzen Härte gezeigt werden?

Ja, wir sollen mit ihm konfrontiert werden und ihn in das Leben hineinholen. Deshalb auch die Berührung des Toten, die bei einem offenen Sarg noch möglich ist.

Das ist den meisten sehr fremd geworden. Man schmückt die Trauerhalle lieber mit Blumen und farbigen Bändern…

… und kleidet die Grube mit grünen Matten aus. Wer das nicht will, erntet merkwürdige Blicke. Man versucht, die Härte weg zu retuschieren, den Schmerz in Watte zu packen. Aber das hilft ja nichts. Hilfreicher im Sinne eines Trennungsrituals ist es, den Tod anschaulich zu machen, ihm einen Namen, eine Form zu geben, etwa mit dem dreifachen Erdwurf auf den Sarg.

Der schwierige Umgang mit dem Tod
Das Trauerportal RuheInFrieden.de hat bei einer Online-Umfrage mit 30.000 Teilnehmern die zehn humorvollsten Traueranzeigen Deutschlands gewählt. Die Anzeigen stammen aus dem Buch "Wir sind unfassbar: Neue ungewöhnliche Todesanzeigen" aus dem Verlag Kiepenheuer & Witsch. Auf Platz eins wählten die Teilnehmer diese Todesanzeige, in der sich der Gestorbene selbst zu Wort meldet. Auch wenn solche weniger ernsthafte Anzeigen bei vielen auf Unverständnis stoßen dürften, wenn es der Wunsch des Verstorbenen oder der Familie war, ist das in Ordnung. Dagegen gibt es Dinge, die sich ein Unternehmen unter gar keinen Umständen erlauben darf. Quelle: dpa
Zwar sicherlich keine Absicht, aber die Stellenanzeige direkt neben der Todesanzeige ist mehr als pietätlos. Damit so etwas nicht passiert, sollten ein paar Tage Zeit zwischen dem Schalten der jeweiligen Anzeigen liegen. Quelle: Screenshot
Auch der verkaufsoffene Sonntag oder eine Rabattaktion in der Todesanzeige zeugt von Geschmacklosigkeit. Quelle: Screenshot
Nicht ganz so pietätlos wurde in dieser Anzeige an den treuen Kunden appelliert. Quelle: Screenshot
Auch muss die Todesanzeige - selbst bei einem sehr engagierten Menschen - weder ein letztes Arbeitszeugnis noch einen kompletten Lebenslauf darstellen. Eine simple Würdigung ist meist völlig ausreichend. Quelle: Screenshot
So wie in diesem Beispiel genügt oft ein einfacher Satz, um die Qualitäten eines Menschen hervorzuheben. Quelle: Screenshot
Der Todestag ist zwar wichtig, die Kalenderwoche oder Uhrzeit dagegen nicht. Quelle: Screenshot

Aber ist das Begräbnis nicht der legitime Ort der Sentimentalität, der wehmütigen Gefühle?

Sicher, mit dem Wechsel der Perspektive vom Verstorbenen auf die Hinterbliebenen werden die Gefühle zum Hauptfaktor. Das ergibt viel emotionalere Momente als ein kirchlicher Ritus, der standardisiert eine Reihe von überindividuellen Handlungen und Gebeten vollzieht. Emotionalisierung ist das, womit die neueren Bestattungsformen zentral operieren. Man rezitiert das Lieblingsgedicht des Verstorbenen und gibt ihm seine geliebte Tageszeitung mit ins Grab, oder schreibt Abschiedsbriefe.

Das geht heute bis zur Nachbereitung des Todes mit regelmäßigen Treffen von Trauernden.

Ja, die Bestatter haben mittlerweile auch Trauerseminare und Trauerreisen im Angebot, auf denen nachgeholt wird, was die Symbolhandlungen anscheinend  nicht leisten: Die persönliche Aufarbeitung des Verlusts.

Welche Toten die Kasse klingeln lassen
Platz 10: Steve McQueen (8 Millionen US-Dollar)Schauspieler Steve McQueen spielte in Filmen, wie „Die glorreichen Sieben“ (1960) und „Papillon“ (1973) mit.  1980 verstarb der Hobbyrennfahrer mit 50 Jahren (hier zu sehen mit Ali MacGraw, seiner Filmpartnerin aus „The Getqaway“ von 1972). Und noch immer werben Unternehmen, wie Triumph (Motorräder), Persol (Sonnebrillen) und Tag Heuer (Uhren) mit dem Gesicht des Schauspielers. Damit verdiente er vergangenes Jahr acht Millionen Dollar. Quelle: dapd
Platz 9: Theodor Seuss Geisel (9 Millionen US-Dollar)Der Autor von Kinderromanen, wie „Wie der Grinch Weihnachten gestohlen hat“ und „Der Lorax“ machte vergangenes Jahr neun Millionen US-Dollar.  Das meiste Geld kam jedoch nicht durch den Abverkauf der Bücher von Theodor Seuss Geisel, Künstlername Dr. Seuss, zustande. Der 1991 verstorbene Deutsch-Amerikaner machte vor allem mit dem vergangenen Jahr erschienenen Animationsfilm „Der Lorax“ Kasse. Quelle: dpa
Platz 8: Albert Einstein (10 US-Millionen Dollar)Physiker Albert Einstein machte vergangenes Jahr zehn Millionen US-Dollar. Das Geld für den 1955 Verstorbenen kam unter anderem von der Qatar National Bank, die mit Einstein wirbt, aber auch von der Schweizer Bank UBS, sowie vom chinesischen Elektronikkonzern Haier. Quelle: AP
Platz 7: Marilyn Monroe (10 Millionen US-Dollar)Schauspielerin Marylin Monroe liegt gleich auf mit Albert Einstein – zumindest finanziell im vergangenen Jahr. Wie der berühmte Physiker, fuhr auch das Sexsymbol der 1950er Jahre zehn Millionen US-Dollar für seine Nachkommen ein. Die 1962 mit 36 Jahren verstorbene Blondine erhielt die Summe unter anderem aufgrund der US-amerikanischen Schönheitssalonkette Marilyn Monroe Spas und der Kaffeehauskette Marilyn Monroe Cafés . Quelle: dapd
Platz 6: John Lennon (12 Millionen US-Dollar)Der Cirque du soleil widmet in Las Vegas mit „Love“ den Beatles derzeit eine Show. Ein bestimmtes Mitglied der ehemaligen britischen Band profitiert besonders davon: John Lennon (zweiter von links). Der 1980 verstorbene Musiker nahm vergangenes Jahr 12 Millionen US-Dollar für seine Nachkommen ein. Das Geld stammt neben der Las-Vegas-Show aus dem Rechteverkauf des Songs „Only People“ für einen Werbespot des Telekommunikationsunternehmens Cisco Systems, sowie aus Tantiemen verschiedener Musikstücke und Texte. Quelle: AP
Platz 5: Bob Marley (17 Millionen US-Dollar)Reggae-Musiker Bob Marley nahm ganze 17 Millionen US-Dollar ein – vor alles aus Tantiemen. Hinzu kommen Einnahmen des Getränkeherstellers „The Marley Beverage“ und dem Kopfhörer-Unternehmen „House of Marley.“ Quelle: dapd
Platz 4: Charles Schulz (37 Millionen US-Dollar)Die Nachfahren des Erfinders der Peanuts, Charles Schulz, erhielten37 Millionen US-Dollar. Ein Großteil kam vom Versicherer MetLife, der mit den Comic-Helden wirbt. Hinzu kommen Einnahmen aus DVDs mit Peanuts-Zeichentrickfilmen, sowie aus Merchandise-Produkten, wie Bekleidung, auf der Snoopy, Charlie Brown und ihre Freunde abgedruckt sind. Quelle: AP

Aber wäre es nicht denkbar, dass man den Ritus mit individuellen Gestaltungselementen auflädt?

Sicher, die traditionelle Begräbnisliturgie verschließt sich dem nicht. Aber ein Ritus kann nur dann seine Kraft, seine Stärke entfalten kann, wenn er sich auch vollziehen darf. Wenn er nicht zu oft unterbrochen wird, nicht zu viele individuelle Züge trägt. „Junge, komm bald wieder“ oder „Du warst geboren, um zu leben“ gehören nun einmal nicht in den Ritus, auch wenn es die Lieblingslieder des Verstorbenen sind. Sie würden den Ritus durchlöchern. Er würde zu einem leeren Ritual, zu einer Plattform für Erinnerungen.

Was schlagen Sie dann vor?

Die Individualisierung als Signum unserer Zeit anzunehmen und ihr einen Ort im Ritus zu geben, ohne dass er Schaden nimmt. Ich weiß, das ist in vielerlei Hinsicht eine Gradwanderung. Die neuen Rituale in der katholischen Kirche berücksichtigen immerhin individuelle Fälle: Ob ein Mensch lebenssatt gestorben ist oder ob ein Mensch zu Grabe betragen wird, der mitten aus dem Leben gerissen wurde - das sollte man dem Ritus anmerken. Es gibt verschiedene Stationen, wo „angedockt“ werden könnte. Das kann die Predigt in der Messe vor der Begräbnisfeier sein, wo die Bibel gedeutet wird im Hinblick auf das Schicksal des Verstorbenen. Das können Gebetsvariationen sein oder Ansprachen am Grab.

Kosten für eine Bestattung

In manchen deutschen Städten sind die Konfessionslosen schon in der Mehrheit. Es sieht nicht gut aus  für das Riten-Angebot der Kirchen.

Kommt drauf an. Dass man heute auf einem Markt der Möglichkeiten auswählen kann, könnte auch dazu beigetragen, dass sich die Kirchen wieder stärker auf die besondere Qualität ihrer Riten besinnen. Wer sich heute für ein katholisches Begräbnis entscheidet, der entscheidet sich dezidiert für den katholischen Ritus - und nicht für eine zusammengesetzte Symbolhandlung.

Die katholische Kirche wäre falsch beraten, wenn sie dem Publikum zu sehr entgegenkäme, sich ihm gar anbiedern würde?

Das wäre furchtbar. Sie müsste im Gegenteil ihr Markenprofil schärfen. Wenn ich katholische Kirche buche, sollte ich auch sicher sein, dass ich katholische Kirche bekomme. Das setzt voraus, dass die Kirche ihr Produktversprechen einhält. Kurz: Dass sie ihre Riten beherrscht.

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