Begräbnisriten "Der Schmerz soll in Watte gepackt werden"

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"Emotionalere Momente als ein kirchlicher Ritus"

Der Tod soll in seiner ganzen Härte gezeigt werden?

Ja, wir sollen mit ihm konfrontiert werden und ihn in das Leben hineinholen. Deshalb auch die Berührung des Toten, die bei einem offenen Sarg noch möglich ist.

Das ist den meisten sehr fremd geworden. Man schmückt die Trauerhalle lieber mit Blumen und farbigen Bändern…

… und kleidet die Grube mit grünen Matten aus. Wer das nicht will, erntet merkwürdige Blicke. Man versucht, die Härte weg zu retuschieren, den Schmerz in Watte zu packen. Aber das hilft ja nichts. Hilfreicher im Sinne eines Trennungsrituals ist es, den Tod anschaulich zu machen, ihm einen Namen, eine Form zu geben, etwa mit dem dreifachen Erdwurf auf den Sarg.

Der schwierige Umgang mit dem Tod
Das Trauerportal RuheInFrieden.de hat bei einer Online-Umfrage mit 30.000 Teilnehmern die zehn humorvollsten Traueranzeigen Deutschlands gewählt. Die Anzeigen stammen aus dem Buch "Wir sind unfassbar: Neue ungewöhnliche Todesanzeigen" aus dem Verlag Kiepenheuer & Witsch. Auf Platz eins wählten die Teilnehmer diese Todesanzeige, in der sich der Gestorbene selbst zu Wort meldet. Auch wenn solche weniger ernsthafte Anzeigen bei vielen auf Unverständnis stoßen dürften, wenn es der Wunsch des Verstorbenen oder der Familie war, ist das in Ordnung. Dagegen gibt es Dinge, die sich ein Unternehmen unter gar keinen Umständen erlauben darf. Quelle: dpa
Zwar sicherlich keine Absicht, aber die Stellenanzeige direkt neben der Todesanzeige ist mehr als pietätlos. Damit so etwas nicht passiert, sollten ein paar Tage Zeit zwischen dem Schalten der jeweiligen Anzeigen liegen. Quelle: Screenshot
Auch der verkaufsoffene Sonntag oder eine Rabattaktion in der Todesanzeige zeugt von Geschmacklosigkeit. Quelle: Screenshot
Nicht ganz so pietätlos wurde in dieser Anzeige an den treuen Kunden appelliert. Quelle: Screenshot
Auch muss die Todesanzeige - selbst bei einem sehr engagierten Menschen - weder ein letztes Arbeitszeugnis noch einen kompletten Lebenslauf darstellen. Eine simple Würdigung ist meist völlig ausreichend. Quelle: Screenshot
So wie in diesem Beispiel genügt oft ein einfacher Satz, um die Qualitäten eines Menschen hervorzuheben. Quelle: Screenshot
Der Todestag ist zwar wichtig, die Kalenderwoche oder Uhrzeit dagegen nicht. Quelle: Screenshot

Aber ist das Begräbnis nicht der legitime Ort der Sentimentalität, der wehmütigen Gefühle?

Sicher, mit dem Wechsel der Perspektive vom Verstorbenen auf die Hinterbliebenen werden die Gefühle zum Hauptfaktor. Das ergibt viel emotionalere Momente als ein kirchlicher Ritus, der standardisiert eine Reihe von überindividuellen Handlungen und Gebeten vollzieht. Emotionalisierung ist das, womit die neueren Bestattungsformen zentral operieren. Man rezitiert das Lieblingsgedicht des Verstorbenen und gibt ihm seine geliebte Tageszeitung mit ins Grab, oder schreibt Abschiedsbriefe.

Das geht heute bis zur Nachbereitung des Todes mit regelmäßigen Treffen von Trauernden.

Ja, die Bestatter haben mittlerweile auch Trauerseminare und Trauerreisen im Angebot, auf denen nachgeholt wird, was die Symbolhandlungen anscheinend  nicht leisten: Die persönliche Aufarbeitung des Verlusts.

Welche Toten die Kasse klingeln lassen
Platz 10: Steve McQueen (8 Millionen US-Dollar)Schauspieler Steve McQueen spielte in Filmen, wie „Die glorreichen Sieben“ (1960) und „Papillon“ (1973) mit.  1980 verstarb der Hobbyrennfahrer mit 50 Jahren (hier zu sehen mit Ali MacGraw, seiner Filmpartnerin aus „The Getqaway“ von 1972). Und noch immer werben Unternehmen, wie Triumph (Motorräder), Persol (Sonnebrillen) und Tag Heuer (Uhren) mit dem Gesicht des Schauspielers. Damit verdiente er vergangenes Jahr acht Millionen Dollar. Quelle: dapd
Platz 9: Theodor Seuss Geisel (9 Millionen US-Dollar)Der Autor von Kinderromanen, wie „Wie der Grinch Weihnachten gestohlen hat“ und „Der Lorax“ machte vergangenes Jahr neun Millionen US-Dollar.  Das meiste Geld kam jedoch nicht durch den Abverkauf der Bücher von Theodor Seuss Geisel, Künstlername Dr. Seuss, zustande. Der 1991 verstorbene Deutsch-Amerikaner machte vor allem mit dem vergangenen Jahr erschienenen Animationsfilm „Der Lorax“ Kasse. Quelle: dpa
Platz 8: Albert Einstein (10 US-Millionen Dollar)Physiker Albert Einstein machte vergangenes Jahr zehn Millionen US-Dollar. Das Geld für den 1955 Verstorbenen kam unter anderem von der Qatar National Bank, die mit Einstein wirbt, aber auch von der Schweizer Bank UBS, sowie vom chinesischen Elektronikkonzern Haier. Quelle: AP
Platz 7: Marilyn Monroe (10 Millionen US-Dollar)Schauspielerin Marylin Monroe liegt gleich auf mit Albert Einstein – zumindest finanziell im vergangenen Jahr. Wie der berühmte Physiker, fuhr auch das Sexsymbol der 1950er Jahre zehn Millionen US-Dollar für seine Nachkommen ein. Die 1962 mit 36 Jahren verstorbene Blondine erhielt die Summe unter anderem aufgrund der US-amerikanischen Schönheitssalonkette Marilyn Monroe Spas und der Kaffeehauskette Marilyn Monroe Cafés . Quelle: dapd
Platz 6: John Lennon (12 Millionen US-Dollar)Der Cirque du soleil widmet in Las Vegas mit „Love“ den Beatles derzeit eine Show. Ein bestimmtes Mitglied der ehemaligen britischen Band profitiert besonders davon: John Lennon (zweiter von links). Der 1980 verstorbene Musiker nahm vergangenes Jahr 12 Millionen US-Dollar für seine Nachkommen ein. Das Geld stammt neben der Las-Vegas-Show aus dem Rechteverkauf des Songs „Only People“ für einen Werbespot des Telekommunikationsunternehmens Cisco Systems, sowie aus Tantiemen verschiedener Musikstücke und Texte. Quelle: AP
Platz 5: Bob Marley (17 Millionen US-Dollar)Reggae-Musiker Bob Marley nahm ganze 17 Millionen US-Dollar ein – vor alles aus Tantiemen. Hinzu kommen Einnahmen des Getränkeherstellers „The Marley Beverage“ und dem Kopfhörer-Unternehmen „House of Marley.“ Quelle: dapd
Platz 4: Charles Schulz (37 Millionen US-Dollar)Die Nachfahren des Erfinders der Peanuts, Charles Schulz, erhielten37 Millionen US-Dollar. Ein Großteil kam vom Versicherer MetLife, der mit den Comic-Helden wirbt. Hinzu kommen Einnahmen aus DVDs mit Peanuts-Zeichentrickfilmen, sowie aus Merchandise-Produkten, wie Bekleidung, auf der Snoopy, Charlie Brown und ihre Freunde abgedruckt sind. Quelle: AP

Aber wäre es nicht denkbar, dass man den Ritus mit individuellen Gestaltungselementen auflädt?

Sicher, die traditionelle Begräbnisliturgie verschließt sich dem nicht. Aber ein Ritus kann nur dann seine Kraft, seine Stärke entfalten kann, wenn er sich auch vollziehen darf. Wenn er nicht zu oft unterbrochen wird, nicht zu viele individuelle Züge trägt. „Junge, komm bald wieder“ oder „Du warst geboren, um zu leben“ gehören nun einmal nicht in den Ritus, auch wenn es die Lieblingslieder des Verstorbenen sind. Sie würden den Ritus durchlöchern. Er würde zu einem leeren Ritual, zu einer Plattform für Erinnerungen.

Was schlagen Sie dann vor?

Die Individualisierung als Signum unserer Zeit anzunehmen und ihr einen Ort im Ritus zu geben, ohne dass er Schaden nimmt. Ich weiß, das ist in vielerlei Hinsicht eine Gradwanderung. Die neuen Rituale in der katholischen Kirche berücksichtigen immerhin individuelle Fälle: Ob ein Mensch lebenssatt gestorben ist oder ob ein Mensch zu Grabe betragen wird, der mitten aus dem Leben gerissen wurde - das sollte man dem Ritus anmerken. Es gibt verschiedene Stationen, wo „angedockt“ werden könnte. Das kann die Predigt in der Messe vor der Begräbnisfeier sein, wo die Bibel gedeutet wird im Hinblick auf das Schicksal des Verstorbenen. Das können Gebetsvariationen sein oder Ansprachen am Grab.

Kosten für eine Bestattung

In manchen deutschen Städten sind die Konfessionslosen schon in der Mehrheit. Es sieht nicht gut aus  für das Riten-Angebot der Kirchen.

Kommt drauf an. Dass man heute auf einem Markt der Möglichkeiten auswählen kann, könnte auch dazu beigetragen, dass sich die Kirchen wieder stärker auf die besondere Qualität ihrer Riten besinnen. Wer sich heute für ein katholisches Begräbnis entscheidet, der entscheidet sich dezidiert für den katholischen Ritus - und nicht für eine zusammengesetzte Symbolhandlung.

Die katholische Kirche wäre falsch beraten, wenn sie dem Publikum zu sehr entgegenkäme, sich ihm gar anbiedern würde?

Das wäre furchtbar. Sie müsste im Gegenteil ihr Markenprofil schärfen. Wenn ich katholische Kirche buche, sollte ich auch sicher sein, dass ich katholische Kirche bekomme. Das setzt voraus, dass die Kirche ihr Produktversprechen einhält. Kurz: Dass sie ihre Riten beherrscht.

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