Berlins Theater ohne Peymann und Castorf Zwei Bühnen-Partisanen treten ab

Mit den scheidenden Intendanten Claus Peymann und Frank Castorf geht für Berlins Theaterlandschaft eine Ära zu Ende. Eine Hommage ans große Drama.

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Claus Peymann und Frank Castorf: Zwei Bühnen-Partisanen treten ab. Quelle: imago images

Frank Castorf und Claus Peymann, zwei Fixsterne am Regietheater-Himmel, sind seit 1999 eng benachbart in der Hauptstadt als Kastor der Volksbühne und Pollux des Berliner Ensembles, aber Lichtjahre voneinander entfernt, was ihre Ästhetik und dramaturgische Praxis anbelangt. Im erzwungenen Abschied von der Intendantenbühne aber sind sich die beiden ganz nah: „Es ging uns darum, immer einen Widerspruch und eine potenzielle Feindschaft zu behaupten, auch das Böse, wenn man so will“, resümiert Castorf. „Wenn eine Gesellschaft vor sich hindämmert, sich nur noch selbst gefällt, sind Ohrfeigen das letzte Mittel“, sekundiert Peymann.

Das Theater als Ort des Widerstands, damit ist im Sommer Schluss, die kulturpolitische Einfalt will es so. Sie schiebt die beiden konfliktlüsternen Potentaten von der Bühne wie Requisiten aus einer Zeit, in der noch nicht alles zum „neoliberalen Appendix eines Lifestyles“ (Castorf) verkommen war. Der Trennungsschmerz aufseiten der Theaterfreunde ist groß. Im Falle Castorfs brennend und stechend, weil mit der Volksbühne Deutschlands Topadresse für ein postdramatisch-diskursives, buchstäblich aus der Rolle fallendes Spieltheater schließt. Im Falle Peymanns eher dumpf und phantomhaft, weil ihm zuletzt so manche Inszenierung nurmehr zur Reminiszenz an die mitreißenden künstlerischen Aufbrüche geriet, die er, neben Peter Stein und Peter Zadek, in den Siebzigerjahren initiiert hatte.

So oder so: In Berlin gehen zwei Ären zu Ende, ohne dass die Aussicht auf das, was folgt, auch nur einigermaßen erbaulich wäre. Besonders schlimm hat es die Volksbühne erwischt, die von Chris Dercon übernommen wird. Der Belgier steht für ein international austauschbares, mit allerlei Bildkunst, Tanz, Video, Installation, Design, Mode (und verstiegenen Phrasen) aufgepepptes Festivaltheater. Die ersten Interviews, in denen Dercon durch unfassbar verschraubte Sinnsimulationen hindurch so etwas wie ein Konzept erkennen ließ, lassen für den Herbst das Schlimmste befürchten: choreografische Versammlungen auf dem Tempelhofer Feld, 40 syrische Frauen in einer Überschreibung von Euripides’ „Iphigenie in Aulis“, Samuel Beckett als Auftakt zu einer kanonischen Reihe „Museumstheater“ mit Klassikern der Moderne …

Vor dem Ende seiner 17jährigen Intendanz am Berliner Ensemble und vor seinem 80. Geburtstag dokumentiert

Deprimierende Aussichten also, und in Berlin kommt so etwas wie Torschlusspanik auf. Anfang Februar verabschiedet sich Peymann mit Kleists Prinz von Homburg, Anfang März serviert uns Castorf Faust. Die entscheidende Frage aber ist: Wann bis Juni wird man Gelegenheit haben, noch einmal seine Repertoirefavoriten zu sehen?

Immerhin, zwei Bücher, erschienen im Alexander Verlag, verkürzen einem das bange Warten auf die Monatsspielpläne. Auftritt Frank Castorf, 65, der fröhliche Stückezertrümmerer, natürlich: Bloß kein „Geburtstagstortenbuch“! Stattdessen 20 Interviews mit Volksbühnen-Größen, mit Kathrin Angerer, Henry Hübchen, Sophie Rois und Bernhard Schütz, mit dem 2015 verstorbenen Bühnenbaugroßmeister Bert Neumann und den Hausregisseuren René Pollesch und Herbert Fritsch: „Republik Castorf“! Nicht alle Gespräche sind wirklich lesenswert, aber was soll’s? Auch Castorfs Bulgakow-Dostojewski-Hebbel-Sechsstünder waren zuweilen Geduldsproben – bis sie einem allerkostbarste Lebensminuten des puren Erkenntnisglücks bescherten.

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