Beruf Fehlende Kinderbetreuung als Karrierekiller für Frauen

Hoch motiviert und beruflich auf dem neuesten Stand - jungen Müttern nutzt das wenig. Mangelnde Krippenplätze werden für Frauen, die nach der Elternzeit in den Beruf zurückkehren wollen, zum wahren Karrierekiller. Die richtige Tagesmutter kann die Lösung sein.

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Birgit Eckmüller, 36, Kommunikationschefin, Tillmann, 10 Wochen Quelle: Simon Koy für WirtschaftsWoche

Hamburg oder München? Nicht die beste Karriereoption entschied, wo Familie Eckmüller künftig lebt, sondern die schlichte Frage: Wo bekommen die Eltern am ehesten einen Kitaplatz für ihren bald vier Monate alten Sohn? Für viele neue Karrierefamilien bestimmt die Kinderbetreuung den Wohn- und Arbeitsort.

Birgit Eckmüller, 36, leitet die Marketing- und Kommunikationsabteilung der Unternehmensberatung Steria Mummert Consulting und will demnächst zurück an ihren Schreibtisch. Ihr Partner arbeitete bisher in München, sie selbst in Hamburg, also machte sie sich auf, den besseren Standort für die junge Familie auszusuchen. Monatelang fahndete sie in München nach einer Kindertagesstätte, um am Ende ihrer Geduld entnervt aufzugeben: „Die Betreuungssituation ist dort katastrophal. Kein Vergleich zu Hamburg: Unsere neue Kita liegt nahe der Wohnung, hat bis um 18 Uhr geöffnet und falls das mal nicht reicht, springt eine Erzieherin als Babysitter ein.“

Die kluge Frau baut vor. Doch das wird zunehmend schwerer. Beruflich so erfolgreich und belastbar sein wie vor der Schwangerschaft, dem Sohn eine zugewandte Mutter sein und dem Mann eine liebenswerte Partnerin bleiben – viele Frauen wollen das.

Doch in dem Maße, in dem aus dem schlafenden Winzling ein nimmermüder Forderer wird, sinkt auch die mögliche Flexibilität – und damit die Aussicht auf das Anknüpfen an die Jobperspektive. „Mutter sein ist, als wäre dein Leben entführt, es gehört einfach nicht mehr dir allein“, hat es die Schauspielerin Helena Bonham Carter auf den Punkt gebracht. Dabei geht es ihr wie allen Müttern: Sie lieben ihre kleinen Entführer und wollen nur das Beste.

So ist der wahre Karrierekiller nicht das Kind, sondern die Kinderbetreuung: In Westdeutschland fanden 2006 – und seitdem hat sich wenig verbessert – gerade mal 1,3 Prozent aller Eltern von unter Dreijährigen einen städtischen Krippenplatz. Erst 2013 soll es darauf einen Rechtsanspruch geben.

So lange bleiben gute Tagesmütter die begehrte Alternative – gefunden per Zeitungsannonce, Nachfrage beim städtischen Jugendamt oder durch Empfehlung anderer Eltern, vorzugsweise von Nachbarn mit Kindern. Die kennen schließlich oft gute Betreuerinnen gleich um die Ecke.

Auch regionale Eltern-Zeitschriften sind wahre Fundgruben, ebenso die Caritas oder das Diakonische Werk. Das Gleiche gilt für private Unternehmen wie etwa den bundesweiten „Familienservice“. Der berät und vermittelt – gegen Gebühr. Dasselbe machen auch die Jugendämter, sogar ohne Gebühren. Allerdings treffen private Anbieter oft die bessere Vorauswahl und nehmen die Frauen genauer unter die Lupe.

Lisa Kühnel (Name von Redaktion verändert) aus Berlin-Friedrichshain versuchte vor zwei Jahren eine Betreuung für ihre Tochter Kathinka über das Jugendamt zu finden und nutzte dazu eine Liste registrierter Tagesmütter. Einmal und nie wieder: Sie traf Frauen, die sich ganz offensichtlich nur des Geldes wegen für die  Tagespflege interessierten und die Kinder vor dem Fernseher parkten.

Das ist nicht die Regel, aber auch kein Einzelfall. Die vom Jugendamt vorgeschriebene Pflegeerlaubnis hatten alle. Das ist der große Haken in Deutschland: Hier kann jede Frau Kinder betreuen, egal, wie qualifiziert. Selbst wenn sie beim Jugendamt registriert ist, legen Kommunen die Elle völlig unterschiedlich an.

Erfahrenen Tagesmüttern wie Maria Mund ist das ein Dorn im Auge. Für die Eschweilerin ist die aktuelle Situation nicht akzeptabel: „Es muss eine staatliche Mindestausbildung geben, bevor sich jemand Tagesmutter nennen darf, ebenso wie Fortbildung und regelmäßige Qualitätskontrolle selbstverständlich sein muss.“ Schließlich liegt das Seelenheil kleiner Kinder in Händen wie den ihren.

Stefanie Grause, 38, Kreditanalystin, und Carmine Luca, 2 Quelle: Berthold Litjes für WirtschaftsWoche

Wie groß die Aufregung um das Thema Qualifizierung von Tagesmüttern ist, lässt sich auch auf den Seiten der WirtschaftsWoche im Internet sehen. Vor wenigen Wochen löste ein kurzer Absatz im Heft zu diesem Thema eine noch immer anhaltende Diskussion aus – zu finden unter: wiwo.de/kinderbetreuung.

Gute, private Betreuung ist nicht billig. Auch wenn sich für drei oder vier Euro Stundenlohn Tagesmütter finden lassen – vor allem in Großstädten sind Eltern erst mit sechs und mehr Euro Stundenlohn dabei. Für eine Vollzeitbetreuung summiert sich das schnell auf 700 und mehr Euro im Monat. Pro Kind.

Mutter, Kind und Tagesmutter, das kann aber auch der Beginn einer langjährigen Freundschaft sein. Dafür müssen jedoch die Eltern mehr leisten als Geld zu überweisen. Tagesmutter-Profi Maria Mund formuliert es so:

Nehmen Sie sich viel Zeit für die Eingewöhnung. Der Schritt ist für die Kleinen gewaltig – für die Mutter auch. Tauschen Sie sich täglich mit der Tagesmutter über den Tag aus. Das Kind wie beim Dienstboten abliefern und abholen verhindert jede gute Beziehung. Sprechen Sie die Erziehung bis ins Detail ab. Akzeptieren Sie umgekehrt aber auch, dass eine Tagesmutter mit mehreren Kindern nicht denselben Aufwand für jedes Kind treiben kann, wie Sie mit einem. Akzeptieren Sie Unterschiede zu Ihrem eigenen Tagesablauf. So braucht ein Kind bei der Tagesmutter wegen des Trubels um es herum vielleicht noch seinen Mittagsschlaf, obwohl die Eltern den gerade einstellen möchten. Seien Sie pünktlich, damit die Tagesmutter ihren Tag zuverlässig planen kann. Auch wenn es ins Herz geht: Es ist kein Grund zur Sorge, wenn Ihr Kleines die Tagesmutter plötzlich „Mama“ ruft. Das legt sich, und die echte Mama bleibt die Beste. Eine gute Tagesmutter erweitert den Kreis der Bezugspersonen, dass müssen Eltern akzeptieren.

Was aber macht eine gute Tagesmutter aus? Herz, Herz und noch mal Herz. Zuverlässigkeit und Flexibilität, Erfahrung und eine ruhige Ausstrahlung – kurz: Diese Frauen haben sich jeden Euro hart verdient. Sie geben kleinen Kindern ein zweites Zuhause und halten deren Eltern den Rücken frei.

Darüber hinaus muss jede Mutter für sich entscheiden, welches Erziehungskonzept einer Tagesmutter von Ernährung bis Bestrafung ihrem eigenem am nächsten kommt. Ob ihr mehrere Kinder im selben Alter lieber sind als die häufig empfohlene Geschwisterkonstellation. Ob ihr die Nähe zur eigenen Wohnung wichtiger ist oder das Wissen, ihr Kind ist tagsüber nahe ihrem Arbeitsplatz, sodass sie in Windeseile dort sein kann, falls jemals nötig.

Beim ersten Kennenlernen hilft deshalb nur reden und viele Fragen stellen (siehe Checkliste Seite 108). Experten raten zudem: Lassen Sie die Wohnung und die anderen Kinder auf sich wirken. Beobachten Sie, wie das eigene Kind reagiert. Vor allem: Vertrauen Sie Ihrem Bauch!

Wer nach einer Tagesmutter sucht, sollte das rechtzeitig vor der Rückkehr in den Job tun. Zum einen kann die Recherche Monate dauern, zum anderen brauchen die Kleinen oft zwei bis vier Wochen, um sich stundenweise und anschließend ohne Mami an die neue Bezugsperson zu gewöhnen.

Stefanie Grause, 38, hat die nervenzehrende Suche am eigenen Leib erlebt. Seit Oktober 2007 arbeitet die Mutter des damals gut zweijährigen Carmine Luca wieder Vollzeit als Kreditanalystin beim Bankhaus Lampe in Düsseldorf. Monate vor dem Wiedereinstieg stiefelte sie von einer Einrichtung zur nächsten. Überall Fehlanzeige: „Alle Kitas im Umkreis schlossen entweder am frühen Nachmittag, hatten lange Wartelisten oder nahmen nur noch Geschwisterkinder auf.“

Sie hakte dieses Kapitel ab und suchte unter steigendem Zeitdruck nach einer Tagesmutter. Es endete trotz erster Sympathie in beidseitiger Enttäuschung. „Die junge Frau betreute insgesamt vier kleine Kinder, und wir hatten das Gefühl nach der Eingewöhnungszeit, unser kleiner Sohn bekam zu wenig Zuwendung. Zudem fühlte ich mich ihr in meiner Abhängigkeit als berufstätige Mutter völlig ausgeliefert“, so die Analystin.

Ab Mitte August wird Luca in den privaten Kindergarten Mobile in Düsseldorf stiefeln. Dafür zahlen die Eltern 795 Euro im Monat, nach dem dritten Geburtstag dann 695 Euro. In anderen privaten Einrichtungen sind es oft mehr als 1000 Euro.

Aber nur maximal 4000 Euro jährlich können Eltern als Betreuungskosten jeglicher Art von der Steuer absetzen.

Stefanie Grause ermöglicht diese Lösung, in Ruhe zu arbeiten. Und ihr Chef im Bankhaus Lampe weiß ihren Einsatz zu schätzen: „Im Gegenzug ist er flexibel, wenn es bei mir mal brennt“, sagt Grause. Ein weises Arrangement: Gerade Mütter versuchen 130 Prozent zu arbeiten, um dem Verdacht entgegenzuwirken, nicht mehr so belastbar wie früher zu sein.

Oder doch drei Jahre Elternzeit? Wäre es nicht einfacher, wenn Frauen sich selbst und ihrem Kind die Mühsal der Kinderbetreuung ersparen, die volle Elternzeit von drei Jahren daheim bleiben und dann einen garantierten Kindergartenplatz in Anspruch nehmen?

Hier warnen Arbeitsmarktkenner unisono. So hart es klingt: Frauen riskieren damit ihre Karriere „und schaffen sich zwei neue Probleme“, sagt zum Beispiel Eike Ostendorf-Servissoglou vom Verband berufstätiger Mütter. „Zum einen entfernen sie sich mental weit von ihrem Beruf, sodass die psychologische Hürde vor dem Wiedereinstieg besonders hoch liegt – erst recht, wenn sie für zwei Kinder hintereinander bis zu sechs Jahre Auszeit nehmen.“ Zum anderen fragt sich der Chef verständlicherweise: Wie lange lohnt es sich, der Mitarbeiterin den Posten freizuhalten? Bei Aussteigerinnen, die über drei Jahre weg sind, bezweifeln viele Chefs, dass mit ihnen überhaupt noch zu rechnen ist. Zudem muss die Stelle in der Zeit ohnehin neu besetzt werden.

Die Kreditanalystin Stefanie Grause entschied sich für den Wiedereinstieg nach zwei Jahren und ist überzeugt, dass ihr Sohn von den Anregungen und Aufgaben in seiner Kita profitiert. Doch eitel Sonnenschein herrscht auch bei ihr nicht, wenn der Kleine erkrankt, ihr Mann – von Beruf Controller – gerade am Monatsabschluss sitzt und sich ihre Arbeit in der Bank türmt. Dann fragt auch sie sich: „Wie schaffen das die Super-Powerfrauen, die drei Kinder erziehen und noch erfolgreich im Vorstand sitzen? Gehen die nie in die Knie?“

Einmal gehen alle in die Knie, weiß Dagmar Ruhwandl als dreifache Mutter und Psychotherapeutin aus Erfahrung. „Viele Mütter setzen sich zu dem Druck von außen noch unter eigenem Druck und wollen gleich drei Rollen – Mutter, Mitarbeiterin und Lebensgefährtin – perfekt erfüllen. Das schafft niemand.“ Schlimmer noch: Viele nähern sich damit zielstrebig der körperlichen und seelischen Überforderung, was denn auch zu schlechteren Leistungen im Beruf führt. Eine Spirale nach unten. Ruhwandl rät ihren Klientinnen deshalb regelmäßig: „Kaufen Sie sich Auszeiten. Investieren Sie nicht nur in gute Kinderbetreuung, sondern geben Sie so viel Haushaltsarbeit nach außen, wie Sie sich leisten können“.

Nichts gibt Frauen mehr Kraft für den Beruf als eine liebevolle Tagesmutter fürs Kind und Zeit zu zweit für seine Eltern.

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