WirtschaftsWoche: Herr Professor Allert, Fliegen ist für uns Alltag geworden. Dennoch unterliegt das Fliegen, wie Sie behaupten, einer eingebauten Riskanz. Verleugnen wir die Situation, in die wir dabei geraten?
Tilman Allert: Nein, wir haben vielmehr Routine gewonnen im Umgang mit Risiken. Wir arrangieren uns mit der Möglichkeit des Ernstfalls. Das ist typisch für moderne Gesellschaften und gilt im Grunde für alle Technologien der Raumüberwindung. Denken Sie nur an das Autofahren: Wenn wir den Gurt anlegen, realisieren wir für einen Moment die potenzielle Gefahr, die mit dem Autofahren verbunden ist, ohne daraus den Schluss zu ziehen, gar nicht erst loszufahren. Zu Beginn eines Flugs begegnet uns Ähnliches, kaum in seiner Bedeutung wahrgenommen: der Hinweis auf mögliche Turbulenzen.
Sie meinen die Sicherheitshinweise der Stewardessen?
Ungewöhnlicher Zusatzservice der Fluglinien
Bei Delta in den USA verkaufen die Flugbegleiter an Bord mithilfe ihrer Tablet-Computer Upgrades für die letzten freien First-Class-Sitze, in der Regel für weniger Geld als bei einer frühzeitigen Buchung.
Für 30 Dollar liefern American Airlines und US Airways innerhalb von vier Stunden nach der Landung in den USA den Koffer ins Hotel oder nach Hause, damit sich die Kundschaft das Warten am Band sparen kann.
Bei Langstreckenflügen aus Paris bietet Air France neben dem kostenlosen Standardessen fünf weitere Menüs der traditionellen französischen Küche, von Bio bis zur 28 Euro teuren, viergängigen „Sélection“ des Gourmettempels „Maison Lenotre“ aus Paris. Kurzentschlossene Genießer können über den -À-la-Carte-Service von Austrian Airlines noch eine Stunde vor Abflug beim Wiener Edelcaterer Do & Co für 15 Euros Tapas, Salate und natürlich Wiener Schnitzel mit Vor- und Nachspeise ordern.
Bestellen Eltern beim britischen Ferienflieger Jet2.com eine Mahlzeit (ab umgerechnet 9,50 Euro), bekommen ihre Kinder das Menü für einen Penny. Damit die Eltern nicht vergessen zu bestellen, erinnert sie die Linie rechtzeitig vor dem Abflug mit einer Mail, wie lang der Flug ist.
Zum „Roter Teppich“ genannten Paket des malaysischen Billigfliegers Air Asia gehört für umgerechnet 25 Euro freies WLAN am Flughafen, eine schnellere Pass- und Sicherheitskontrolle und das Versprechen, dass der Koffer bei Ankunft zuerst auf das Gepäckband rollt.
Für eine Pauschale von 199 Dollar können die Kunden bei Delta drei Monate lang auf jedem Flug innerhalb der Vereinigten Staaten ohne Zusatzgebühr einen Koffer aufgeben und zusätzlich als Erste ins Flugzeug einsteigen. Darüber hinaus bekommen sie außerdem Sitze mit mehr Platz und zusätzliche Meilen im Bonusprogramm.
250 Euro verlangt der spanische Billigflieger Vueling für zehn Lounge-Besuche, schnellere Sicherheitskontrollen und das Recht, als Erster einzusteigen. Beim ungarischen Ultra-Geizflieger Wizzair bekommen Mitglieder des Discount Clubs für knapp 30 Euro Jahresgebühr immer mindestens zehn Euro Rabatt auf alle Tickets außer den allerbilligsten.
In ihren Airbus A380-Superjumbos bietet Korean Air statt der bei anderen üblichen Bar einen Duty-free-Laden mit 64 Artikeln. In den Regalen gehalten werden die zollfreien Waren von kleinen Magneten – damit die teuren Parfüms und Cremes bei Turbulenzen nicht herumfliegen.
Über sein Bordunterhaltungssystem verkauft der US-Billigflieger Virgin America ein Schlafset mit Kissen und Decke für neun Dollar sowie Schmerz- und Schlaftabletten für vier Dollar. Die Rechnung begleichen die Passagiere am Ende des Fluges am Bildschirm per Kreditkarte.
Die australische Qantas verkauft für umgerechnet 40 Euro einen Gepäckanhänger, der dank RFID-Technik immer zeigt, wo der Koffer gerade ist. Ein ähnliches System erprobt auch British Airways.
Ja, da werden die Fluggäste auf Ungewissheiten aufmerksam gemacht. Das Fliegen wird ausdrücklich als Krise kommuniziert, eine komplexe Herausforderung an den Beruf der Flugbegleiter. Sie können die Möglichkeit einer Gefahr weder mimisch antizipieren, also etwa mit angstvoll aufgerissenen Augen auf die Sicherheitsvorkehrungen – Schwimmweste etwa – hinweisen, noch dürfen sie in selbstgewissem Gastgeberlächeln drüber hinweggehen. Die Kunst der Flugbegleiter besteht vielmehr darin, den Ernst mit Freundlichkeit zu verbinden – dies hinzubekommen setzt hohe Professionalität der Kommunikation voraus.
Demonstratives Gelangweiltsein oder Grinsen wäre also unangemessen?
Ja, das würde das realitätsgerechte Sich-Einstellen auf den möglichen Ernstfall vernachlässigen. Die Flugbegleiter formulieren als Vertreter der Fluggesellschaft somit zweierlei Botschaften: ein Sicherheits- und ein Komfortversprechen. Sie signalisieren, dass sie die Passagiere auch in einer Krisensituation sicher von A nach B bringen, und versprechen, dass trotz der Raumknappheit ein Maximum an Bequemlichkeit gewährleistet ist. Beides kommt in den Begrüßungsformeln sowie im gestischen Auftritt zum Ausdruck, trivial, jedoch kommunikativ schwer zu handhaben.
Warum ist, abgesehen von den Instruktionen, die Begrüßung vor Beginn der Reise so wichtig?
Weil der Gast damit in einem neuen, merkwürdig ortlosen Raum verortet wird. Der Gruß enthält gleichsam die erste Gabe an den Gast. Damit wird dessen Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der vorübergehend Fliegenden ausgedrückt, einer befristeten, in der Regel anonymen Gemeinschaft: Die Reisenden werden auf ein abstraktes Wir-Gefühl verpflichtet. Mit dem Gruß wird also gleich zu Beginn eine Art Minimalvergemeinschaftung angesprochen, die sich nach der Landung sofort wieder löst.
Welche Folgen hat die räumliche Enge für das Verhalten dieser Gemeinschaft?
Der Aufenthalt in der Röhre, so können wir den Aufenthalt an Bord betrachten, impliziert eine Verengung des Handlungsraums, eine vorübergehende radikale Autonomieeinschränkung. Das kennen wir alles: Man muss angeschnallt bleiben, die Sitzlehnen müssen mit dem Nachbarn geteilt werden und vieles mehr. Diese Situation ist anthropologisch betrachtet ein Unding, dem man zwar zustimmt, aber ein Unding bleibt es. Käme nun eine Fluggesellschaft auf die Idee, die Boarding-Zeiten zu reduzieren, dann mag zwar betriebswirtschaftlich einiges dafür sprechen, aber sozialpsychologisch erscheint das problematisch.