Melatonin Wie hilfreich sind Einschlaf-Sprays, Drops und Tabletten mit Melatonin?

Quelle: imago images

Das Hormon Melatonin ist mittlerweile in jeder Drogerie erhältlich und soll uns besser einschlafen lassen. Das klappt aber nur in bestimmten Fällen – und manche Menschen sollten die Einnahme sogar ganz vermeiden.

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Personalnot und Fachkräftemangel beeinträchtigen die Gesundheit vieler Erwerbstätiger. Neben körperlichen Beschwerden klagen Beschäftigte immer häufiger über Müdigkeit und Erschöpfung. Ein Grund dafür: Die Deutschen kommen immer schlechter zur Ruhe. Dazu passt, dass 35 Prozent der Befragten im DAK-Gesundheitsreport 2023 über Schlafstörungen klagen.

„Schlechter Schlaf“ ist zwar subjektiv und nicht mit diagnostizierten Schlafstörungen gleichzusetzen. Doch dass das Bedürfnis, der eigenen Nachtruhe auf die Sprünge zu helfen, zurzeit allgegenwärtig ist, zeigt ein aufmerksamer Blick ins Drogerieregal: Das Sortiment von Produkten, die mit dem Inhaltsstoff Melatonin als „natürliche Schlummerhilfe“ werben, ist in den vergangenen Jahren ständig gewachsen. Als Spray, Gummidrops, Tablette, sogar als Tee ist Melatonin zu haben. Der Kauf ist unkompliziert, der Preis bezahlbar, die Anwendung einfach. Aber helfen diese Nahrungsergänzungsmittel wirklich beim Einschlafen? Und sind sie gesundheitlich unbedenklich? Die wichtigsten Antworten.

Was ist Melatonin?

Melatonin ist ein Hormon, das den Schlaf-Wach-Rhythmus des Menschen reguliert. Während der Körper bei Tageslicht wenig Melatonin erzeugt, wird die Produktion bei Dämmerung und Dunkelheit angekurbelt, um bestimmte Prozesse einzuleiten, die auf die Nachtruhe vorbereiten: Energiebedarf, Körpertemperatur und Blutdruck sinken.

Wann ist die Einnahme von Melatonin sinnvoll?

Eine zusätzliche Einnahme von Melatonin hilft nur, wenn Menschen nicht einschlafen können, weil der Körper keine ausreichende eigene Menge des Hormons produziert. „Deswegen sollte man sich vor der Einnahme fragen: Sind meine Einschlafprobleme wirklich durch einen Melatoninmangel begründet?“, rät Christian Benedict, Neurowissenschaftler, Schlafforscher und Autor des Sachbuchs „Schlaf ist die beste Medizin“. Denn weitaus häufiger lägen die Ursachen woanders: Wem etwa Stress auf der Arbeit den Schlaf raubt, dem helfe auch kein Melatonin. Und wenn doch, sei dies ein Placebo-Effekt. „Sie könnten sich dann auch Kochsalzlösung in den Mund sprühen, das Ergebnis wäre dasselbe“, sagt Benedict.
Da der Körper mit steigendem Lebensalter weniger Melatonin produziert, leiden Senioren häufiger unter einem Mangel des Hormons. Benedict: „Bei älteren Personen hat Melatonin definitiv eine schlaffördernde Wirkung. Auch bei Menschen, die eine Schlafrhythmusstörung haben, zum Beispiel unter dem Delayed-Sleep-Phase-Syndrome leiden, in Schichten arbeiten oder Jetlag haben, kann eine Supplementierung mit Melatonin helfen.“

Wie hilft Melatonin gegen Jetlag?

Geschäfts- und Urlaubsreisen in andere Zeitzonen, insbesondere nach Osten, bedeuten für Gehirn und Körper Stress. Oft liegen Betroffene in Schanghai, Tokio und Sydney stundenlang wach und wälzen sich unruhig umher. Insbesondere für Managerinnen und Manager, die für Meetings und Geschäftsabschlüsse am nächsten Tag eigentlich fit und ausgeruht sein sollten, ist das eine Qual. Doch der Körperrhythmus befindet sich zu der Zeit noch im Mittag und das Melatoninhoch folgt gewohnheitsmäßig erst Stunden später.

In diesen Fällen hat sich die Einnahme von Melatonin bewährt: Der chemische Kick von außen gibt dem Gehirn das Startsignal für die Nachtruhe – das hilft, schneller einzuschlafen. Zu dem Ergebnis, dass die Einnahme von Melatonin „bemerkenswert effektiv bei der Vermeidung oder Reduzierung von Jetlag“ sei, insbesondere, wenn fünf oder mehr Zeitzonen in Richtung Osten übersprungen werden, kam bereits eine Übersichtsarbeit des Wissenschaftsnetzwerks Cochrane von 2002. Dem Urteil schließt sich auch Christian Benedict an, weist aber auf eine angemessene Dosierung hin: „0,5 Milligramm sind wunderbar, um den Adaptionsprozess zu beschleunigen.“ Heißt: Gegen eine gelegentliche, kurzzeitige Supplementierung von Melatonin spreche derzeit medizinisch nichts. Zumindest meistens.

Wann ist Melatonin ein No-Go?

Denn es gibt Vorerkrankungen, bei denen eine zusätzliche Einnahme von Melatonin die Beschwerden verschlimmern kann: Eine davon ist das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom, unter dem geschätzt weltweit eine Milliarde Menschen leiden – oft allerdings unerkannt, weil es in einer sehr leichten Form vorliegt. Bei dem Syndrom sind Gaumen- und Rachenmuskulatur so erschlafft, dass die Zunge während des Schlafs in den Rachen fällt und die oberen Atemwege vollständig oder teilweise verschließt. „Melatonin hat einen sedativen und muskelentspannenden Effekt. Das heißt, man wird noch mehr unter Atemproblemen leiden als ohnehin“, erklärt Christian Benedict. „Für solche Patienten ist Melatonin ein absolutes No Go.“

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Verteufeln will der Experte die Supplemente nicht. Ihn verwundert dennoch, wie „salonfähig“ Melatonin geworden sei und warnt vor einem zu naiven Umgang: „Es ist nach wie vor ein wirkmächtiges Hormon.“ Dem schließt sich auch Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, an und weist auf bekannte Nebenwirkungen wie Schwindel, Alpträume, Migräne und Bluthochdruck hin. „Besonders ausgeprägt ist die Nebenwirkungssteigerung bei der gleichzeitigen Einnahme von verschreibungspflichtigen Schlafmitteln und bestimmten Psychopharmaka, etwa Antidepressiva. Das sollte man in jedem Fall vermeiden“, rät er.

Vor Einnahme mit Experten sprechen

Melatonin ist eigentlich ein Arzneimittel

Hierzulande dürfte Melatonin eigentlich nicht neben frei verkäuflichen Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitamin C oder Magnesium im Regal stehen, denn als „hormonaktiver Wirkstoff“ ist es als Arzneimittel klassifiziert und unterliegt der Rezeptpflicht. Doch: „Auf EU-Ebene wurde 2010 festgelegt, dass Melatonin-Produkte auch als diätetisches Lebensmittel mit gesundheitsbezogenen Angaben in den Verkehr gebracht werden dürfen“, erklärt Preis. Das machen sich die Hersteller zunutze, denn als Nahrungsergänzungsmittel unterliegen Melatoninsprays und -drops, anders als Arzneimittel, keiner Zulassungspflicht und werden somit auch vor dem Verkauf nicht behördlich auf Sicherheit und Qualität geprüft. „Melatoninprodukte ohne Rezept können deshalb erheblich unter- oder überdosiert sein“, warnt er. Eine Studie des Journal of Clinical Sleep Medicine ergab 2017, dass in auf dem US-Markt frei verkäuflichen Produkten Melatonin von bis zu 83 Prozent unter oder auch bis zu 478 Prozent über der auf dem Etikett genannten Menge vorhanden war.

„Gerade bei Abweichungen nach oben muss man aufpassen, dass der Körper Melatonin nicht in dem Ausmaß zugeführt bekommt, wie er es selbst gar nicht herstellen würde“, gibt auch Christian Benedict zu bedenken. Zudem sei unklar, ob die dauerhafte Einnahme von Melatonin einen Einfluss auf die körpereigene Herstellung habe, also ob diese heruntergefahren oder eingestellt werden könnte, wenn über Monate oder Jahre Melatonin supplementiert wird. Studien zu einer Langzeitanwendung existieren noch nicht. Apotheker Preis kritisiert zudem die Darreichungsform: „Es gibt Produkte, die wie Gummibärchen aussehen und schmecken. Natürlich geht man dann davon aus, dass das nicht gefährlich sein kann – und lutscht schnell mal ein paar mehr davon.“ Er empfiehlt, vor Einnahme mindestens das Gespräch mit einem Pharmazeuten zu suchen, sagt aber auch ganz klar: „Schlafprobleme, die länger andauern, gehören in ärztliche Behandlung.“

Die Eigenproduktion von Melatonin ankurbeln

Da Melatonin vor allem bei und nach Einsetzen der Dunkelheit gebildet wird, ist es hilfreich, vor dem Schlafengehen frühzeitig Lichtquellen in der Umgebung zu eliminieren. Dazu zählt neben einer möglichst vollständigen Abdunkelung des Schlafzimmerraums auch, Smartphones und Fernseher auszuschalten. „Gute Entspannungstechniken und eine richtige Schlafhygiene sind oftmals wirksamer und nebenwirkungsbefreiter als die Langzeitanwendung von Nahrungsergänzungsmitteln“, resümiert der Apotheker.

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Transparenzhinweis: Dieser Artikelerschien erstmals im September 2022. Wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.

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