Herr Wippermann, wie sah Ihre erste Markenerfahrung aus?
Wippermann: Ich vermute, dass es die Eisenbahn von Märklin war. Da muss ich zehn oder elf Jahre alt gewesen sein, also in einem Alter, in dem es üblich war, einen wesentlichen Teil des Kinderzimmers durch große Platten zu verkleinern, damit die Eisenbahn immer aufgebaut bleiben durfte. Bewusst geprägt hat mich diese Erfahrung sicher insofern, als für mich Märklin für eine gewisse Qualität stand, für einen Wert.
Gilt dieses Wertversprechen von Marken heute noch?
In der Theorie ist das so. Marken bieten Orientierungssicherheit, und das auf mehreren Ebenen. Zum einen versprechen sie eine bestimmte Qualität, die vom Produkt her definiert wird. Zum anderen ist es auch wichtig, dass die Themenwelten, die um eine Marke herum inszeniert werden, uns als Verbraucher kulturell nahestehen. Hinzu kommt aber in der Praxis eine ganz neue Qualität: Verbraucher können heute den Wertschöpfungsprozess zurückverfolgen. Hier sind uns Marken angenehm, denen wir vertrauen können, dass in der Produktionskette nicht Dinge passieren, die entweder die Produktqualität schmälern oder das soziale Bild einer Marke unakzeptabel machen.
Das Verhältnis von Konsument und Marke hat sich stark verändert. Vor gut zehn Jahren beschrieb eine Kritikerin wie Naomi Klein Marken noch als Feinde, die versuchten, den öffentlichen Raum zu okkupieren. Heute scheinen die Verbraucher Marken bewusst zu benutzen und sie auch in die Pflicht zu nehmen?
Ja, Marken werden viel funktionaler gesehen – und auch geführt. In dem Moment, wo Markenverantwortliche ihre Brand als Serviceangebot verstehen, das ihren Kunden Zeit spart, Orientierung und vielleicht sogar Status bietet und zugleich eine bestimmte Qualität organisiert, ist das für den Kunden unglaublich hilfreich. Marken geben dadurch heute ein ganz anderes Bild ab als vor 10, 15 oder 20 Jahren, wo es vor allem um Glamour und Hype und Begehren ging. Natürlich gibt es nach wie vor Luxusmarken wie Vuitton oder Gucci. Auf der anderen Seite ist mit Google, Amazon, Ebay, PayPal eine neue Kategorie von Marken entstanden.
Was zeichnet diese aus?
Das sind Nutzwert- und Servicemarken, die wiederum herkömmliche Brands herausfordern und zu Reaktionen zwingen. Amazon etwa hat die Kundenbeziehung zur Kernidee entwickelt. Bei Amazon geht es darum, Services anzubieten und daraus abgeleitet Produkte. Das reicht vom Lesegerät Kindle über Cloud-Services für Musik- und Filmfreunde bis hin zu Rechenzeiten für Geschäftskunden.
Ziehen Konsummarken aus dem Erfolg von Amazon die richtigen Schlüsse?
Sie versuchen es. Das ist sicher die schwierigste Veränderung der vergangenen zehn Jahre. Aber eine lohnende, denn in dem Moment, wo ich als Markenhersteller beginne, meinen Kunden auf der Grundlage von Daten zu verstehen, seine Wünsche, Interessen und Vorbehalte zu interpretieren, von da an kann ich ihm meine Produkte und Dienstleistungen viel genauer und erfolgversprechender anbieten.
Was Amazon jedoch fehlt, ist das Versprechen auf Distinktionsgewinn, oder? Wenn ich Audi oder BMW fahre, signalisiere ich einen Status. Signalisiert es einen Status, wenn ich Amazon nutze?
Amazon steht für Konsumlust. Es steht für Lust und Vertrauen, problemlos und bequem modern einkaufen zu können. Das strahlt ab auf die Geräte, die Amazon anbietet. Der Kindle ist einer der besten E-Book-Reader zu einem guten Preis. Der Kindle Fire ist simpel in der Bedienung, löst aber keinen Hype aus wie Apples iPad. Der ist praktisch „gutbürgerlich“ – ein vernünftiges Gerät. Amazon vermittelt das Bild, mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen zu stehen, während es im Hintergrund die globale Vernetzung enorm mit vorangetrieben hat. Wer Amazon gut findet, macht also nichts falsch.
War diese Rolle in Deutschland nicht jahrelang für Ikea reserviert?
Ja, das kann man so sehen. Amazon geht da sicher in eine sehr ähnliche Richtung. Tatsächlich hat die noch immer sehr junge Marke Amazon bei Themen wie Vertrauen und Zuverlässigkeit in den Augen vieler Verbraucher heute bereits viel gemeinsam mit einer klassischen, jahrzehntelang gepflegten Traditionsmarke wie Miele. Amazon färbt längst ab, was seine Kundenzentriertheit betrifft: Nehmen Sie die Autoindustrie und das Thema Carsharing oder MiAdidas, wo der Kunde seinen individuellen Sportschuh bekommt – Unternehmen haben damit begonnen, ihr Angebot auf den einzelnen Konsumenten herunter zu brechen. Sie versuchen ihn regelrecht in ihre Welt einzubinden.
Marken müssen sich gesellschaftlichen Veränderungen stellen
Dann müssen sie ihre Welt aber sehr bewusst gestalten und weit mehr bieten als stimmige Produkte?
Richtig, das ist mit das Interessanteste, was zurzeit zu beobachten ist: Viele Marken haben sich vom konkreten Produkt gelöst und weisen viel stärker auf die Firma hin, die diese Marke repräsentiert. Als Folge muss die Firma sich und ihren Kunden erklären, wo sie gesellschaftlich steht. Welchen Nutzen habe ich als Kunde und Bürger davon, dass es Beiersdorf gibt, welchen Nutzen habe ich von Amazon mit seinen unterschiedlichen Angeboten? Oder im negativen Fall – wie problematisch ist BP seit der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko für mich?
Seit wann denkt der Verbraucher denn so?
Das hängt stark mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre zusammen. Vor zehn Jahren wurde der Euro eingeführt. Die EU-Staaten gaben für ihn einen Teil ihrer Autonomie ab. Hauptargument für den Euro war eine höhere Stabilität. Zehn Jahre später opfern Staaten ihre eigenen Rentenrücklagen, um den Euro zu stabilisieren. Das hinterlässt massiv Spuren beim Verbraucher.
Welche?
Unsicherheit ist das prägende Gefühl, das schürt Argwohn gegenüber Verlautbarungen aus der Politik wie auch aus der Wirtschaft. Institutionen werden nicht mehr per se respektiert. Das hat sich innerhalb der vergangenen zehn Jahre massiv verändert. Waren es damals nur radikale Minderheiten, die vieles infrage gestellt haben, erleben wir heute einen latenten sozialen Jähzorn, der sich punktuell entlädt, wenn beispielsweise im Internet Meinungslawinen entstehen wie die Shit-storms oder in der wirklichen Welt in Protesten wie in Stuttgart.
Was heißt das für Marken?
Marken müssen sich diesen Herausforderungen und den Veränderungen in der Gesellschaft stellen. Das gilt auch im globalen Maßstab – denken Sie an Apple und Foxconn. Plötzlich werden weltweit Vorkommnisse markenabwertend kritisiert, die bei Zulieferern passieren. Oder denken Sie an die Brände in den Textilfabriken in Bangladesch, das bekommen konkrete Marken zu spüren.
Inwiefern verändert dieser neue Konsument auch die Werbung von und für Marken?
Werbung reagiert bereits auf den neuen Konsumenten. Einerseits erzählt sie noch Märchen, sie baut noch Welten, in denen sich Kunden wohlfühlen und von Produkten träumen. Andererseits ist in den sozialen Netzwerken wie Facebook ein völlig neues Feld entstanden, auf dem Marken direkt mit Endverbrauchern kommunizieren. Marken verhalten sich seitdem mehr und mehr wie Medienhäuser, indem sie Inhalte schaffen. Nehmen wir Red Bull: Die machen nicht Brause, Red Bull ist ein Medienhaus. Ähnliches gilt für Hugo Boss oder auch Coca-Cola. Marken suchen heute das Gespräch und das Feedback mit dem Endkunden.
Damit gehen sie auch das Risiko ein, dass der Kunde sie komplett durchschaut. Wie konsistent können denn dann Markenimages überhaupt noch sein?
Genau die Frage wirft die Marken zurück auf ihre Unternehmen. Hier muss Substanz vorhanden sein, die eine Marke glaubwürdig macht. Der Kunde will wissen, wer steht hinter dieser Marke. Wofür steht diese Marke innerhalb der Gesellschaft und wie passt sie zu meiner Vorstellung von einem Leben, wie ich es führen möchte? Getrieben wird das von dem Wunsch der Kunden, trotz oder gerade wegen des sich ständig ausweitenden Angebots bestimmte Marken kontinuierlich zu kaufen. Wird der erfüllt, sorgt das für eine sehr erwünschte Stabilität.
Ändert sich damit der Ton der Werbung?
Angesagt ist nicht mehr Glamour und Bling-Bling. Auch Ironie ist nicht mehr gefragt, sondern das Authentische, echte Geschichten, echte Menschen. Die Comedy-Phase ist vorbei. Es geht jetzt und auch in der nächsten Zeit vor allem darum, in der Kommunikation ehrliche Gefühle zu zeigen, ehrliches Vertrauen zu stiften – und Marken ehrlich zu führen.