Schämt sich Adidas für seine Adilette? Es scheint fast so. Auf eine Anfrage nach Historie, Verkaufszahlen und prominenten Fans der berühmten Badeschlappe kommt als Antwort lediglich ein Verweis auf die Unternehmens-Homepage. Auf telefonische Nachfrage dann der Hinweis, dass man nicht mehr über die Adilette sprechen möchte. Stattdessen sollen lieber andere Modelle in den Fokus rücken.
Die Reaktion verwundert ein wenig – immerhin bringt die Schlappe mit den drei Streifen dem Unternehmen seit ihrer Erfindung 1963 jedes Jahr ordentlich Geld in die Kasse.
Aber nicht nur das. Zudem vollzog die Gummischlappe unlängst einen vorbildlichen Imagewandel: Anstatt zur weißen Tennissocke von Mallorca-Touristen und Fußballfans getragen, zierte die Badeschlappe im Sommer 2013 plötzlich auch die Füße von Mode-Bloggern, Hipstern und Stars wie die der Popsängerin Rita Ora oder dem Sportler David Beckham – abseits des Fußballplatzes. Passend dazu sagte der Berliner Designer und ehemalige Adidas-Kreative Michael Michalsky der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ im Interview: „Adiletten sind inzwischen Design-Klassiker.“
Die deutsche Schuhindustrie in Zahlen
Pro Jahr geben die Deutschen etwa elf Milliarden Euro für Schuhe aus.
Nike und Adidas sind hierzulande die am weitesten verbreiteten Schuhmarken.
Deichmann ist sowohl nach Umsatz als auch nach Filialzahl der größte Schuhhändler Deutschlands.
Insgesamt setzt der stationäre Fachhandel etwa sieben Milliarden Euro netto um.
Im Jahr 2013 wurden rund 300 Millionen Paar Schuhe aus China importiert.
Und so gibt es die Kultschlappe mittlerweile auch mit schwarzem Kalbshaar veredelt, zu kaufen beim Edel-Online-Shop Net-a-Porter für 70 Euro. Oder als Sonderedition des belgischen Design-Wunderkinds Raf Simons – dann werden allerdings 170 Euro fällig.
Gleichwohl spiegelt die Reaktion von Adidas das zwiegespaltene Verhältnis der Deutschen zu ihren heimischen Schuherzeugnissen wider. Auf der einen Seite schätzt der Bundesbürger das Bequeme und Praktische. Prominente Belege gibt es genug.
Von Kanzlerin Angela Merkel, die mit weißer Schirmmütze auf dem Kopf und Multifunktionskleidung am Leib durch die Südtiroler Alpen wandert; über die „Tagesschau“-Sprecherin Judith Rakers, die beim Kurznachrichtendienst Twitter enthüllte, was sie beim Nachrichten-Vortragen zur allerheiligsten Sendezeit unter ihrem Pult versteckt trägt: graue Gammelhose und Ugg-Boots; bis zu einem ganz normalen Samstagnachmittag in der Innenstadt einer mittelgroßen deutschen Stadt: Die hohe Dichte an Rucksäcken, Fleecejacken und Jogginghosen spricht für sich.
Aber zugeben, die Adilette auch außerhalb des Fitnessstudios oder des Schwimmbads zu tragen? Das traut sich kaum jemand.
Mit diesem Imageproblem ist Adidas nicht allein. Das Phänomen betrifft gleich mehrere deutsche Bequemschuh-Hersteller: Ob die Firma Birkenstock, das Berliner Unternehmen Trippen oder Bär aus Bietigheim-Bissingen – alle hadern mit dem gleichen Schicksal. Zwar verkaufen sie ihre Modelle auch in Deutschland. Aber so richtig hip und beliebt sind sie nur im Ausland.
Das Imageproblem entspringt der Historie
Die Adilette zum Beispiel genießt außerhalb der Landesgrenze keinesfalls den Ruf einer Unterschichten-Sandale. Und niemand käme in Singapur auf die Idee, Birkenstock als Ökolatsche zu bezeichnen. Zwar werden die Schlappen auch in diesem Sommer wieder in bayrischen Biergärten und norddeutschen Strandbädern zu sehen sein – aber viel häufiger noch am Strand von Rio de Janeiro und in den Straßen New York Citys. Wieso?
Eigentlich ist man von einem Volk, das mit dem Etikett made in Germany für sich wirbt und stolz ist auf seine diffizile Ingenieurkunst à la BMW oder Bosch, auf feinste Messer aus Solingen und zartes Porzellan aus Meißen etwas mehr Begeisterung gewöhnt. Doch die setzt scheinbar aus, wenn es um die Latsche geht – und sei sie ergonomisch noch so einwandfrei geformt.
„Bequem-Schuhe sind in Deutschland nur mäßig beliebt, weil sie zu sehr in der Gesundheits-, Öko- und Seniorenecke verhaftet sind“, sagt Markenexperte Karsten Kilian, Professor an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. „Marken helfen, uns selbst einer Gruppe zuzuordnen und abzugrenzen – Bequem-Schuh-Marken sind da eher nicht hilfreich.“
Bei Birkenstock zumindest liegt die Antwort vermutlich in der Historie verborgen. Seit 1774 gibt es das Unternehmen schon. Doch es sollte fast 200 Jahre dauern, bis Karl Birkenstock, ein Nachfahre des Gründers, eine Sandale mit zwei breiten Riemen erfand. Das Ziel seiner zahlreichen Tüfteleien: „Hochwertige Materialien und durchdachte Funktionalität, die den Fuß optimal unterstützen, durch den offenen Fersenbereich aber ein schnelles Heraus- und Hereinschlüpfen ermöglichte.“
Klingt kompliziert, trägt sich aber ausgezeichnet. Nur zehn Jahre nach der Geburtsstunde der Adilette gab es eine weitere Sternstunde der weltweiten Fußgesundheit: das Birkenstock-Modell Arizona. Leider zog die schlichte Sandale in den folgenden Jahren vor allem Ökos, Steinewerfer und Waldorflehrer an, was zu einem fast 40 Jahre andauernden Imageproblem führen sollte. Dann im vergangenen Sommer – endlich die Trendwende. Auf einmal zierten die „Birks“ auch die Füße von BWL-Studenten, Bankern und dem Rest der kapitalistischen Welt.
Im Ausland hingegen war es nie anders – dort genießen Birkenstocks schon seit jeher einen ausgezeichneten Ruf. Vor allem in Asien. Das Unternehmen unterhält etwa einen Shop auf Singapurs Luxusmeile Orchard Road. Auch preislich spielt der Schuh dort in einer anderen Liga. Kostet das Modell Arizona hier um die 45 Euro, muss man in Singapur fast das Doppelte berappen.
Unlängst wurde die Sandale vom britischen Design Museum in das Buch „50 Schuhmodelle, die die Welt veränderten“ aufgenommen.
Erfolge im Ausland
Auch die Liste der prominenten Fans liest sich illuster: Die Hollywood-Schauspielerin Julianne Moore schätzt den Zehentrenner Gizeh, auch ihr Kollege Leonardo di Caprio und Rapper Jay-Z wurden schon mit Birks am berühmten Fuß gesichtet. Für den Tragekomfort mussten sie übrigens selbst bezahlen. „Wir schicken den Promis keine Gratismodelle, die kaufen sich ihre Lieblingsmodelle tatsächlich selbst“, sagt ein Sprecher des Unternehmens.
Wer solche Kunden hat, dürfte eigentlich kein Problem haben.
Das Berliner Unternehmen Trippen dürfte den meisten Lesern dennoch unbekannt sein. Anders als die Promis, die auf den extravaganten Lederschuhen herumlaufen: Ob „R.E.M.“-Sänger Michael Stipe oder die Schauspieler Jude Law und Tilda Swinton. Außerdem hat Trippen eine Reihe von Filmproduktionen mit Schuhen ausgestattet, etwa „Die Tribute von Panem“ oder „Star Trek“.
Die umsatzstärksten Modehändler der Welt
El Corte Inglés
Umsatz 2013: 14,789 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista, Stand: 2015
The Gap
Umsatz 2013: 16,149 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Marks and Spencer
Umsatz 2013: 16,391 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Kohl's
Umsatz 2013: 19,031 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
H&M
Umsatz 2013: 19,729 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Inditex (Beinhaltet Großhandelsumsätze)
Umsatz 2013: 22,265 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
LVMH (Schätzung)
Umsatz 2013: 24,392 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
TJX
Umsatz 2013: 27,423 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Macy's
Umsatz 2013: 27,931 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Sears
Umsatz 2013: 36,188 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Mehr Avantgarde und Glamour geht kaum. Trotzdem tut sich der deutsche Markt schwer mit den Schuhen. 100.000 Paar verkauft das Unternehmen Trippen pro Jahr – etwa 80 Prozent davon im Ausland. „Asien ist unser größter Markt“, sagt Geschäftsführer Michael Oehler. „Die Kunden dort haben ein großes Bewusstsein für hochwertiges Design in Kombination mit Qualität, Langlebigkeit und – ganz wichtig – Komfort “, sagt er. Vor allem in Japan funktioniert diese Kombination ausgezeichnet. Rund 30 Prozent setzt Trippen dort ab.
Doch wer wie auf Wolken laufen will, zahlt mitunter modisch einen hohen Preis. Einen Trippen-Schuh muss man lieben, ansonsten bleibt nur der Hass.
Ähnliches gilt für das Modell „Der Feine“, dem Klassiker des Unternehmens Bär aus dem baden-württembergischen Bietigheim-Bissingen. Geformt wie eine Birne, mit viel Freiraum für die Zehen – seit 1982 werden die Treter vom Industriekaufmann Christian Bär und seiner Frau Hilke verkauft. Besonders wichtig: der französische und japanische Markt, dorthin gehen jeweils knapp zehn Prozent der produzierten Schuhe. „Die deutschen Tugenden, die sich in unseren Produkten und der Firmenphilosophie widerspiegeln, genießen im Ausland ein hohes Ansehen“, sagt Sebastian Bär, Sohn des Gründers und im Unternehmen zuständig für Marketing und Vertrieb.
Doch das Unternehmen profitiert auch vom demografischen Wandel. Die meisten Bär-Kunden sind über 50 Jahre alt. Altkanzler Helmut Kohl zum Beispiel schwört auf die Schuhe. Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann lässt sich sein Modell alle zwei Jahre neu besohlen. In Frankreich hingegen wurden die Schuhe schon an Schauspieler Jean-Claude Belmondo gesehen. Und in Japan bekennt sich zum Bär-Schuh gar der Mode-Kolumnist Takanori Nakamura, in Deutschland stiltechnisch etwa mit Wolfgang Joop vergleichbar.
Joop im Birnenschuh? Undenkbar. Auch dieser Deutsche bevorzugt nichtheimische Schuherzeugnisse – und trägt am liebsten Budapester.