Bücher aus Blogs Aus dem Internet aufs Papier

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Mitgehört und aufgeschrieben

Von so viel Erfolg ist Erkan Dörtoluk noch ein Stückchen entfernt. Anfang August erschien die erste Sammlung von Tweets, die Dörtoluk unter dem Titel „Du hast mir das Kind gemacht, nicht ich: Mitgehört im öffentlichen Nahverkehr“ zusammengestellt hat. Der Fotograf fährt mit spitzen Ohren in Düsseldorf im öffentlichen Nahverkehr mit und belauscht, worüber sich Menschen unterhalten. Bizarre Dialoge, die er wertfrei in maximal 140 Zeichen festhält und den Sprechenden Namen und ein Alter zuweist.

Unter rheinbahn_intim amüsiert er auf Twitter damit inzwischen mehr als 32.000 Follower.

Dass das Buch überhaupt gedruckt wurde, scheint Dörtoluk noch heute in Erstaunen zu versetzen. „Ich habe nie an eine Verwertung gedacht. Mir geht es um den Inhalt“, sagt der Chronist des Alltagswahnsinns. Auf einer Veranstaltung für Twitternutzer sprach ihn mal ein Besucher an und bat, ihm die besten Tweets auszudrucken und einzubinden, er wolle das gerne verschenken und dafür sogar zehn Euro zahlen. „Ich habe mich dann informiert, wie man einem Verlag ein Buch vorschlägt und ein Exposé an mehrere gesendet“, erinnert sich Dörtoluk. Inzwischen hat er seine erste Lesung hinter sich – in einer Straßenbahn, versteht sich. Weitere sollen folgen.

Während Dörtoluk das Leben der anderen skizziert, berichten Patricia Cammarata, Maximilian Buddenbohm und Christian Hanne mitten aus ihren eigenen. Die Berlinerin Cammarata hat binnen zehn Jahren mehr als 1000 Blogbeiträge unter dasnuf.de verfasst, in denen sie ihren Alltag als IT-Projektleiterin und dreifache Mutter mit Humor beschreibt. Im Jahr 2015 wurden die besten 65 davon unter dem Titel „Sehr gerne, Mama, du Arschbombe – Tiefenentspannt durch die Kinderjahre“ veröffentlicht.

Zu ergründen, was gefällt und was nicht – da hatte Cammarata einen Vorteil gegenüber den Autoren, die im stillen Kämmerlein vor sich hinbrüten. Sie nutzte die Technik, die ein Blog bereithält. „Beiträge, die sehr hohe Zugriffszahlen hatten, habe ich verschlagwortet, alle in ein Wiki übertragen, dort überarbeitet, weiter kategorisiert und dann Kapitel daraus generiert. 80 Prozent der Arbeit waren sozusagen schon getan“, erzählt Cammarata. Die restlichen 20 Prozent waren aber immer noch so viel Arbeit, dass sie das Angebot für ein weiteres Buch vorerst ausgeschlagen hat: „Ich sage dann immer: 2025 gibt es den zweiten Teil! Das schaffe ich bestimmt.“

Die beliebtesten Bücher seit Erfindung des Buchdrucks

Christian Hanne hat für „Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith“ hingegen zum größten Teil neue Geschichten aufgeschrieben, die zuvor nicht in seinem Blog familienbetrieb.info zu lesen waren. Die Erlebnisse der Familie Hanne, die mit betriebswirtschaftlichem Blickwinkel humorvoll exklusiv für das Buch zusammengefasst werden, will Hanne bis auf weiteres auch nicht im Blog veröffentlichen. Im Gegensatz zu Dörtoluk, der im Prinzip die frei verfügbaren Inhalte lediglich zusammenfasst und drucken lässt, möchte Hanne dem Buchkäufer etwas bieten, dass nur dort zu finden ist.

Die Mühe für die neuen Texte forderten allerdings ein Opfer. „Der Blog kam in der Zeit etwas zu kurz“, räumt Hanne ein. Sprachlich und stilistisch sei das Buch jedoch so gehalten wie die digitalen Texte. Dennoch habe das Buch eine höhere Wertigkeit. „Es ist eine andere Form der Anerkennung, schließlich investiert der Verlag auch Geld.“

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