Burning Man Festival Die Utopie einer anderen Wirtschaft

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Black Rock City für eine Woche

Was in Stammes- oder Mikrogesellschaften ganz gut funktioniert, wird in komplexeren Gesellschaften zum echten Problem. Könnten wir noch nach den Prinzipien von Geben, Nehmen und Erwidern existieren? Beim Burning Man gelingt das als Experiment auf Zeit. 70.000 Menschen haben beim letzten Mal ihr Zelt aufgeschlagen oder sind mit dem Wohnmobil angereist. Sie haben eine Stadt erbaut, Black Rock City, die nur für eine Woche lebt. Am letzten Tag des Festivals brennt die Gemeinde alles ab. Die Camps sortieren sich im Halbkreis um das zentrale Festivalgelände, die Playa, auf der, ganz im Norden, der „Man“ steht. Eine riesige Holzfigur, kilometerweit umringt von weiteren Kunstwerken, die begehbar oder bespielbar sind. Wer mit dem Fahrrad durch die Wüste fährt (zu Fuß kommt man nicht weit), kann über Tage immer wieder etwas Neues entdecken.

Einer von ihnen ist Jan, ein Mittvierziger aus Kanada. Er lebt immer in seinem Wohnwagenanhänger. Das Ding ist gut zehn Meter lang und eingerichtet wie ein Mittelklasseapartment. Der Umweltingenieur verbringt den Sommer im kanadischen Quebec und den Winter in Phoenix, Arizona. Von diesen beiden Orten aus fliegt er zu seinen Einsätzen auf Ölbohrinseln rund um die Welt. Wir haben die Vorzüge der Schenkökonomie schon außerhalb des Festivalgeländes erprobt. Wie checkt man mitten in der Nacht auf einem verlassenen, stockdunklen Campingplatz ein, der ernsthaft Wüstenrose heißt? Sein Rat war das wertvollste Geschenk der Nacht (neben zwei eiskalten Bier). Auf dem Weg auf das Festivalgelände haben wir uns verloren. Nach drei Tagen klopft es irgendwann am Camper. Vor der Tür steht Jan. „Das ist der Reiz des Burning Man. Du verlierst dich und findest dich wieder.“

Dieser Satz beschreibt das Festival perfekt. Wer in der Wüste leben, nicht nur überleben will, bringt sich ein und lässt die normale Welt hinter sich, die hier etwas abfällig „default world“ genannt wird. Zum Beispiel durch ausgefallene, bunte Kleidung, selbst gebastelte Kostüme oder kunstvoll geschmückte Fahrräder. Beim Radeln durch die Wüste begrüßen sich die Burner enthusiastisch mit Winken, Jubeln und einer Umarmung, für die man auch mal vom Fahrrad fällt. Ein Lächeln alleine reicht nicht. Man sähe es auch kaum. Vor allem tagsüber muss man sich gegen Sonne, Hitze und die immer wieder aufkommenden Sandstürme mit Wüstenbrille und Gesichtstuch schützen.

Das größte Geschenk des Burning Man ist die Zeit der Dunkelheit. In der Wüste wird es nachts nicht dunkel, es wird schwarz. Doch im Übergang von der Dämmerung in die Nacht erhebt sich ein faszinierendes Lichtspiel. Das Bild von 70.000 erleuchteten Fahrrädern in dunkler Nacht entschädigt für jeden Aufwand. Zwischen den Fahrrädern kurven kunstvoll gestaltete Fahrzeuge, die Art Vehicles. Ein Bus wird zum Raumschiff, ein anderer zu einem fahrbaren Wal. Und mittendrin spuckt ein vielarmiger meterhoher Oktopus, gebastelt aus Küchenutensilien, zum Technorhythmus der Kunstautos Flammen in den Nachthimmel. Hätte Gott an dem Tag, als er die Erde geschaffen hat, Drogen genommen, hätte das wohl so ausgesehen.

Fest der Techindustrie

Die Geschichte des Burning Man begann vor 30 Jahren an San Franciscos Baker Beach. Bei einer spontanen Party am Strand kam Gründer Larry Harvey und einigen Freunden die Idee zum Festival. Nach einigen Jahren wurde es so groß, dass die Gabengemeinde nach Nevada umziehen musste. Noch heute pilgern Tausende aus dem Silicon Valley in die Wüste. Burning Man, das ist auch ein Fest der Techindustrie. Seine Geschichte hat viele Parallelen zur Open-Source-Bewegung. Was geschaffen wird, soll für alle offenstehen. Die Freiheit, sich jenseits kommerzieller Vorgaben einzubringen, etwas zu erkennen, zu ändern, voranzubringen, trieb die Gründergeneration des Silicon Valley ebenso an wie die Wüstenbesucher.

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