Burning Man Festival Die Utopie einer anderen Wirtschaft

Seite 3/3

„creative common“ im Wüstensand

Heute herrscht im Valley längst der digitale Kapitalismus. Doch der Burning Man ist die Enklave, in der sich das analoge Leben und die digitale Wirtschaft jedes Jahr für eine Woche begegnen. Der Burn ist die realweltliche Allmende der Digitalzeit, der ganz praktisch geteilte Raum, in dem gemeinsam etwas geschaffen wird, ein „creative common“ im Wüstensand.

Davon zeugen auch die zehn Prinzipien des Burn. Jeder muss in der Lage sein, für sich selbst zu sorgen und auch für die anderen. „Wenn in San Francisco ein Obdachloser auf der Straße umfällt, gehen die Leute einfach vorbei. Hier kümmert sich sofort jemand, wenn es einem schlecht geht.“ So beschreibt Stephanie, Digital Innovation Managerin für Nestlé in San Francisco, das Gemeinschaftsgefühl. Das Ideate Camp, in dem sie Unterschlupf gefunden hat, lebt die Prinzipien des Burn vorbildlich. Wer hier wohnt, muss mindestens zwei Mal kochen und am Ende beim Aufräumen helfen. Täglich finden Lesungen und Diskussionen statt. „Das Camp“, sagt die 35-Jährige, „ist auch Versuchsgebiet für neue Ideen.“

Und das gibt es alles umsonst? Nun ja, nicht ganz. Vor Ort ist Geld verpönt. Aber im Vorfeld lassen sich die Burner das Festival doch einiges kosten. Da sind die Eintrittstickets, die zwischen 400 und 1200 Dollar kosten. Die Miete für das Wohnmobil oder für einen Zeltplatz in einem der Camps schlägt noch mal mit einigen Hundert Dollar zu Buche. Und dann das Zubehör. Keinesfalls darf man vergessen, vor Festivalbeginn ein Fahrrad für die Wüste zu kaufen. Beim US-Handelsriesen Walmart gibt es spezielle Burner-Bikes, die für knapp 100 Dollar angeboten werden. Bei 70.000 Festivalgästen beläuft sich allein der Umsatz mit Fahrrädern auf etwa sieben Millionen Dollar. Schenkökonomie?

Kapitalistische Ökonomie zieht in die Zelte ein

In den vergangenen Jahren ließ sich durchs Wüstenflimmern beobachten, wie sich die Krakenarme eines gierigen Kapitalismus in die Oase des Schenkens schlängelten. Immer mehr Camps entstanden, die für viele Tausend Dollar allen Luxus bieten, den reiche Besucher aus ihrem Alltagsleben gewöhnt sind. Ein direkter Angriff auf eine weitere Regel des Burn: Entkommerzialisierung.

Das Ideal des Gebens setzt soziale Gleichheit voraus. Wer in der glühenden Sonne vor einem der stinkenden Dixieklos wartet, versteht das. „Wir sitzen mitten in der Wüste“, sagt Stephanie, „und wir sind aufeinander angewiesen und alle miteinander dafür verantwortlich, dass es uns gut geht.“ Für die Bewohner der Luxuscamps gilt das nicht mehr. Da ist ein anderer verantwortlich fürs Wohlbefinden, und dafür wird viel Geld gezahlt. Mit der Arbeitsteilung zieht die kapitalistische Ökonomie in die Zelte ein und verändert langsam die Stammesgesellschaft der Burner. Vielleicht geht es aber auch gar nicht um die großen ideologischen Fragen, um die perfekt gelebte Schenkökonomie. Vielleicht geht es um die vielen kleinen Erfahrungen, die man aus der Wüste mitnimmt. Die vielen kleinen Geschenke, die einem zugesteckt werden, die Umarmungen, den Pullover, den Jan mir für eine Fahrradtour durch die kalte Wüstennacht geschenkt hat.

Auf der Playa spielt ein fahrendes Theater auf. Drei Tänzerinnen und ein Conferencier werben um die Vorbeiradelnden. „Tretet vor und teilt einen Traum mit uns“, ruft der Conferencier in die untergehende Sonne und setzt sich einen Helm mit Antennen auf. Dessen Signale versenden sich zunächst, keiner will anfangen. „Leute“, ruft der Mann, „es geht ums Mitmachen!“ Eine Frau tritt vor. Sie beginnt zu erzählen. Ihr Traum ist nicht käuflich. Ihr beim Träumen zuschauen zu können ist unbezahlbar.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%