Claudia Klüppelberg Das Risiko im Blick

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Einsatz statt Apothekentresen

Claudia Klüppelberg ist eine kleine Person, sie trägt ihre braunen leicht gewellten Haare offen, kleidet sich unprätentiös in Jeans und Bluse. Sie steht zu ihrer Herkunft, und gelegentlich entfährt ihr ein pfälzisches „Ah Jo“. Sie redet offen über ihr Leben, als sie beim Mittagessen in der Kantine in den Nudeln mit Gemüse stochert. Auch über die Schwester, die weder die Möglichkeiten noch den Mut hatte, von dem vorgezeichneten Lebensweg abzuweichen und deshalb noch heute unzufrieden ist. Über die Eltern, die es ja nur richtig machen wollten, und erst spät erkannt haben, wie schwer sie es ihren Töchtern gemacht haben. Sie weiß um ihr Glück, und sie sagt: „Ich bin privilegiert.“ Sie weiß aber auch, dass sie ohne den eigenen Einsatz wohl noch immer hinter dem Apothekentresen stehen würde.

Mathe aus Verlegenheit

Nach dem Abitur nimmt ihr Leben an Fahrt auf. Sie studiert Mathematik, ein wenig aus Verlegenheit, aber auch, weil es ihr leicht fällt und vor allem „weil ich einen Beruf wollte, in dem ich Geld verdienen konnte“. Claudia Klüppelberg ist es schließlich gewöhnt, ihr eigenes Einkommen zu haben, und so soll es auch bleiben. An eine wissenschaftliche Karriere denkt sie zunächst nicht, aber sie findet Gefallen an den Freiheiten des Universitätslebens. 1983 macht sie ihr Diplom mit Auszeichnung, und weil es gut läuft, hängt sie noch eine Doktorarbeit in Mannheim dran. Mit einem „Summa cum laude“ schließt sie 1987 ab – und langsam dämmert ihr, dass sie vielleicht das Zeug zu einer Hochschulkarriere hat. Dass sie 1990 eine Stelle als Oberassistentin an der renommierten ETH Zürich angeboten bekommt, ist ihrem Talent und ihrer Zielstrebigkeit geschuldet, sicher auch einem Quantum Glück. Sie ist jetzt ziemlich weit oben angekommen, Zürich zählt zu den besten Adressen Europas. Vor allem erweist sich die Wahl ihres Arbeitsgebiets, der Finanzmathematik, als richtig. Claudia Klüppelberg hat sich schon immer für die Anwendung von Theorien in der Praxis interessiert und deshalb Wirtschaft im Nebenfach studiert. In den Siebzigerjahren entwickelten amerikanische Mathematiker eine Formel, mit der Finanzderivate bewertet werden können – das waren damals neue Produkte wie Optionen auf Aktien oder Wechselkurse, eine Art Wette auf den Kurs des Papiers oder der Währung. Man erwirbt dabei etwa das Recht, Dollars zu verkaufen, wenn diese im Vergleich zum Euro einen bestimmten Wert erreicht haben.

Diese Theorie zur Bewertung von Derivaten revolutionierte die Finanzwelt, aber auch die Finanzmathematik, die zuvor größtenteils Versicherungsrisiken abschätzte. Heute braucht jeder Investmentbanker das Rüstzeug, das Klüppelberg und ihre Kollegen am Schreibtisch beständig fortentwickeln: eine Mischung aus klassischer Differentiallehre, Stochastik und Statistik. Klüppelbergs Absolventen sind hochbegehrt: „Jede Woche rufen Headhunter hier an, die meisten Studenten haben schon einen Arbeitsvertrag, bevor sie ihr Diplom in der Tasche haben.“ Auch akzeptieren die Kollegen, die sich mit den klassischen Gebieten der Mathematik wie Zahlentheorie oder Geometrie beschäftigen, zunehmend die neue, angewandte Forschung, die ihrerseits die Weiterentwicklung der Methoden vorantreibt. Zum Beispiel die Extremwerttheorie, mit der sich die Risiken von Kredittransaktionen viel besser abschätzen lassen als mit klassischen Verfahren. Gerade dieses Spezialgebiet nutzt Klüppelberg, um die operationellen Risiken für Banken zu kalkulieren, die neuen Gesetzen zufolge Rücklagen bilden müssen, um mögliche betriebliche Schäden abfedern zu können. Wie wichtig solche Analysen sind, zeigen die weltweite Kreditkrise und die enormen Verluste der Banken.

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