Claudia Klüppelberg Das Risiko im Blick

Die Bilder von der „Subprime“-Krise, die im Sommer 2007 begann und sich in eine regelrechte Banken- und Finanzkrise ausweitete, sind haften geblieben. Seinen Ursprung nahm das Fiasko mit Krediten, die Hauskäufern mit geringer Bonität in den USA gewährt worden waren. Als die Immobilienpreise fielen, konnten Hunderttausende ihre Raten nicht mehr zahlen. „Dass dieses Geschäft irgendwann schief geht, war klar“, sagt Claudia Klüppelberg. Die Mathematikerin weiß, wovon sie redet: Sie ist Expertin für Finanzgeschäfte und nutzt mathematische Methoden, um insbesondere die Risiken komplizierter Geldanlagen zu berechnen.

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Claudia Klüppelberg Quelle: Bettina Flitner

Es hätte ganz anders kommen können. Wäre ihr Leben so verlaufen, wie es für sie bestimmt war, würde Claudia Klüppelberg am Vormittag hinter dem Apothekentresen stehen und Aspirin verkaufen. Mittags würde die 55-Jährige heimfahren, in ein Reihenhaus am Stadtrand von Mannheim, und sich um Haushalt und Garten kümmern, abends würde sie für ihren Mann kochen. Vielleicht würde sie ab und zu auf ihre Enkelkinder aufpassen. Ein angenehmes, ein geruhsames Leben. Es ist aber alles ganz anders, aufregender gekommen. Claudia Klüppelberg sitzt in ihrem Büro im dritten Stock des Mathematikgebäudes der TU München. Es ist ein funktionales Büro in einem funktionalen Klotz auf einem funktionalen Forschungsgelände am Nordrand der Stadt. Grauer Teppichboden, blauer Drehstuhl und schlichte, weiße Büromöbel. Nur das kleine Sofa macht das Zimmer ein wenig gemütlicher, und die Fotos an der Magnetwand, die kleine Farbinseln bilden – Mathematiker sind anspruchslose Menschen, auch wenn sie es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht haben. Nebenan telefoniert die Sekretärin mit einem Forscher, der für ein paar Wochen aus Australien nach München kommen soll. Vor der Tür steht ein Student, der ein Kapitel seiner Diplomarbeit besprechen will. Im Computer warten Dutzende E-Mails auf eine Antwort: Ob sie den Festvortrag bei einer Tagung halten wolle; ob sie die Veröffentlichung im Journal of Applied Probability begutachtet habe … Claudia Klüppelberg lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Aufbruchstimmung in Kirchheimbolanden

Viele, vielleicht sogar die meisten Lebenswege sind vorgezeichnet oder zumindest glauben wir, dass sie es sind: Von der Professorentochter wird erwartet, dass sie Lehrerin oder Ärztin wird. Der Tochter eines Handwerkers dagegen, die in der Pfalz aufwächst, würde man prophezeien, dass sie ihr Leben als Mutter und Hausfrau verbringen und höchstens eine Karriere als Halbtagsverkäuferin hinlegen wird. Was an Claudia Klüppelberg so fasziniert, ist deshalb weniger die Tatsache, dass sie eine der Handvoll Mathematik-Professorinnen in Deutschland ist oder dass sie den größten Mathematik-Lehrstuhl der TU leitet oder dass sie mit 5,5 Millionen Euro eine der größten Drittmittelsummen für ihre Hochschule an Land gezogen hat.

Frauen, die forschen

 Faszinierend ist vielmehr, dass sie aus Kirchheimbolanden stammt, einem kleinen Ort im Nordpfälzer Bergland mit knapp 8000 Einwohnern. Dass ihre Eltern – der Vater war Kraftzeugmechaniker, die Mutter Sekretärin – fanden, ein Mädchen des Jahrgangs 1953 brauche höchstens Mittlere Reife, weil sie ohnehin heiraten werde. Dass sie deshalb eine Lehre als Apothekenhelferin machte, obwohl ihre Lehrer sie für das Abitur geeignet hielten. Doch die Aufbruchstimmung, die Bildungsexpansion der späten Sechzigerjahre waren damals nicht bis Kirchheimbolanden vorgedrungen. Und tatsächlich fügt sich Claudia Klüppelberg zunächst ihrem Schicksal, heiratet sogar den Apothekersohn. Damit könnte ihre Geschichte zu Ende sein, doch es kommt anders. Ihr Mann erwartet nicht, dass sie gleich die traditionelle Rolle einnimmt. Er selbst studiert noch und traut auch ihr das zu. Die beiden ziehen nach Mannheim, sie arbeitet tagsüber in einem Apothekengroßhandel, am Spätnachmittag fährt sie zum Abendgymnasium und büffelt täglich sechs Stunden, drei Jahre lang. 1976 macht sie Abitur.

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