Coaching Die zweifelhaften Methoden vieler Karriereberater

Die Nachfrage nach individueller Karriereberatung steigt. Das Problem: Coach nennen kann sich jeder – und so lockt der Markt allerlei seltsame Gestalten an. Die sind allerdings nicht immer leicht zu entlarven.

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Illu Coaching Quelle: Thomas Fuchs

Er wusste einfach nicht weiter. Als sein Job als Pressesprecher durch eine Firmenfusion bedroht war, bekam er ein Stellenangebot in einer anderen Branche. Sollte er es annehmen? Der unschlüssige Manager suchte Birgitt Morrien auf, die als Coach und PR-Beraterin in Köln arbeitet. Sie schickte ihren Klienten auf eine „geführte, tranceähnliche Reise“ zu seinen „innersten Wünschen, Zielen und Aufgaben“. Dort wies ihm eine Schlange den richtigen Weg.

Dem Reptil begegnete der Manager in einem Traum. Er hatte keine Angst vor ihm, sondern streichelte es. Seine Frau tat es ihm gleich. Dann verschwand das Reptil in einem Feld voller Sonnenblumen.

Kurze Zeit nach diesem „Visionserlebnis“ nahm der Pressesprecher das Jobangebot an. Die Schlange als vermeintliches Symbol der Weisheit konnte unmöglich irren – und nicht zuletzt hatte sich auch seine Frau dem Reptil zärtlich zugewandt. Daher war der Manager sicher, mit seiner Entscheidung „Privates und Berufliches, Gefühl und Ratio“ in harmonischen Einklang zu bringen.

Jüngste Erkenntnisse der Hirnforschung

Mit Fällen wie diesen wirbt Morrien auf ihrer Web-Site. Ihre Coaching-Methode hat sie als Marke „DreamGuidance“ schützen lassen, und sie hat Bücher darüber geschrieben: „Erfolg mit DreamGuidance: Unbewusste Intelligenz stärken und nutzen“ heißt eines davon.

Bei ihrer Arbeit nutzt Morrien laut eigener Aussage „die jüngsten Erkenntnisse der Hirnforschung“, aber auch „uraltes schamanisches Wissen“. Die Referenzen, die die 51-Jährige auf ihrer Homepage präsentiert, sind beeindruckend. Dort schwärmen von Morriens Herangehensweise Manager zahlreicher Großkonzerne, von Audi, BASF bis Siemens.

Bloß: Handelt es sich dabei um ein seriöses Angebot, das tatsächlich der persönlichen und beruflichen Entwicklung dient? Ist das noch Business-Coaching im klassischen Sinne, bei dem der Coach als neutraler Partner Führungskräfte zur Selbstreflexion anleitet? Oder schon ausgemachter Kokolores? Blendet hier jemand mit Pseudowissen, um Klienten für Quacksalberei zu ködern? Und das zu Stundensätzen, die in der Branche üblicherweise zwischen 100 und 200 Euro liegen, im Top-Management gar bei mehr als 1000 Euro pro Tag.

MItarbeiter lassen sich von Coaching begeistern - die schwarzen Schafe nennt niemand Quelle: Thomas Fuchs

Tatsache ist: Vergleichbare Coaching-Angebote, die mit einer angeblich einzigartigen Supermethode ihre Nische gefunden haben, gibt es zu Tausenden. Deren zusammengeklaubte Kalenderweisheiten haben allerdings häufig den Effekt einer Sonntagspredigt: gar keinen. Schlimmstenfalls beladen die freiberuflichen Coaches ihr Klientel mit so viel Energie und Frische, dass auf den Höhenflug im Kurs der baldige Absturz im Alltag folgt.

Coaching ist ein ebenso umkämpfter wie lukrativer Markt. Etwa 35 000 Coaches buhlen um die Gunst der Klienten, schätzt der Deutsche Bundesverband Coaching. Mehrere Hundert Millionen Euro setzen sie jedes Jahr um. Zutrittsbarrieren gibt es keine, Coach kann sich jeder nennen – selbst Astrologen, Heilpraktiker oder Hundetrainer.

Zwar entlarven sich Angebote wie Bachblüten-, Hypno- oder Kinesiologie-Coaching schon beim ersten Blick als Humbug, der mit der Sehnsucht nach Lebenshilfe und Selbstverwirklichung abkassieren will. Doch es gibt auch elegantere Auftritte – jene in der Grauzone zwischen Professionalität und Scharlatanerie, die selbst Branchenkenner ratlos machen.

Urteile über die Qualität von Coaching sind schwierig

Allein die Nachfragen der WirtschaftsWoche zu „DreamGuidance“ ernten bei zahlreichen Kollegen und Fachverbänden Achselzucken. Ein renommierter Coach, der nicht namentlich genannt werden will, kritisiert zwar Morriens „aggressives Marketing“. Er höre aber auch „viel positives Feedback aus dem Markt“.

Ein anderer bezweifelt die beworbene „Wissenschaftlichkeit“ des Konzepts. Aber deswegen schon Scharlatanerie? Zu dem Urteil mag sich keiner durchringen.

In einem Punkt schießt Morrien zumindest über das Ziel hinaus: Die von ihr beauftragte „Langzeitstudie der Universität Hannover“, mit der sie auf ihrer Homepage wirbt, entpuppt sich als Klienten-Befragung durch eine Projektmitarbeiterin am dortigen Institut für Wirtschaftsinformatik. Zufällig arbeitet diese selbst auch als freiberuflicher Coach.

Coaching ist ein „Vertrauensgut“, definiert die Wirtschaftswissenschaft. Findige Anbieter wissen, dass man ein solches mit bestimmten „Signalen“ ausstaffieren muss, um Vertrauen zu gewinnen: etwa mit Zertifikaten, Referenzen oder Publikationen. Das Problem ist jedoch, dass sich auch zweifelhafte Psychomethoden und Schaumschlägerei derart tarnen.

Das weiß kaum einer so gut wie Christopher Rauen. Der 42-Jährige ist Vorsitzender des Deutschen Bundesverbands Coaching und hat „in den letzten zehn Jahren nichts erlebt, was es nicht gibt“. Die Beschwerden, die Rauen erreichen, kommen nicht von labilen Pechvögeln, sondern von gestandenen Führungskräften, die an den Falschen geraten sind. „Da ist keiner vor gefeit“, sagt Rauen.

Branche leidet an einem Wirrwarr von Qualitätsstandards Quelle: Falko Matte - Fotolia.com

So wie die Bankerin, die ahnungslos einen Knebelvertrag über fünf Coaching-Stunden unterschrieb – für 17 000 Euro. Oder die Qualitätsbeauftragte eines Medizintechnik-Unternehmens, die ein 5000 Euro teures Coaching buchte, um ihre Probleme mit einer jüngeren Vorgesetzten zu lösen. Doch statt Hilfe zu bekommen, wurde sie mit Mutmaßungen darüber konfrontiert, ob sie eher „spröde Jungfrau“ oder „Sexbestie“ sei.

Zwar grenzt sich Coaching ausdrücklich von der Psychotherapie ab. Die Methoden aber sind vielfach aus der Therapie- und Supervisionsszene entlehnt. Und das nicht zufällig: Als das Psychotherapeuten-Gesetz Ende der Neunzigerjahre strengere Ausbildungskriterien festlegte, wechselten viele ins ungeschützte Coaching. Zweifelsohne leidet die Branche an einem Wirrwarr von Qualitätsstandards und den damit verbundenen Tricksereien. Doch auch ihre seriösen Vertreter wollen das Problem letztlich nicht lösen. In Deutschland gibt es mehr als 25 Coaching-Verbände mit jeweils eigenen Beitrittsvoraussetzungen, die kein Interesse daran haben, Marktmacht abzugeben.

Hilfe zur Selbsthilfe, nicht Ratschläge von der Stange

Da ist der einzelne Coach, der fürchtet, mit einer einheitlichen Ausbildung zum „Lebensberater“, wie es zum Beispiel in Österreich der Fall ist, sein Alleinstellungsmerkmal zu verlieren. Und da sind über 330 verschiedene sogenannte Institute und Ausbilder – viele von ihnen selber Coaches –, die irgendwen zu irgendwas aus- und weiterbilden und dabei Zertifikate verteilen, von denen keiner weiß, was sie letztlich wert sind.

Außer Harald Geißler. Er leitet die Forschungsstelle Coaching-Gutachten, die der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität angegliedert ist. Geißler lässt sich von Zertifizierungen schon lange nicht mehr blenden: „Fast jeder, der zahlt, bekommt sie auch“, sagt Geißler. Er verlasse sich lieber auf das, was er sieht.

Wer in seine Datenbank aufgenommen werden will, muss unter anderem einen beispielhaften Prozess aus seiner Praxis mit Schauspielern nachstellen. Die größten Scharlatane hält Geißler sich damit vom Hals. Und oft muss er feststellen, dass viele Coaches „eigentlich Trainer sind“. Der Unterschied: Während Coaches in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe leisten, hören die oft ebenfalls miserablen Trainer ihren Klienten nicht mal richtig zu und stülpen ihnen stattdessen – rhetorisch versiert – Ratschläge von der Stange über.

So haarsträubend das auch klingt: Genau solche Trainings sind nach wie vor der „Einschleusemechanismus“ in ein Unternehmen, sagt Geißler. Trainings zu Kreativität oder Rhetorik, zu besseren Verkaufsgesprächen oder effektiverer Teamarbeit sind für viele Freiberufler das Brot-und-Butter-Geschäft. Diesen Schluss legt auch eine Marburger Studie zum Coaching-Markt nahe. Demnach machen zwei von drei Anbietern mit Coaching nur maximal 30 000 Euro ihres jährlichen Umsatzes.

Und so gibt es sie zuhauf, die beratenden, coachenden Motivationstrainer, die ganze Belegschaften begeistern, in der Tradition des Niederländers Emile Ratelband („Tsjakka!“) oder des Deutschen Jürgen Höller („Gib nie, nie, niemals auf!“). Und die nicht Nein sagen, wenn die Teilnehmer nach der Veranstaltung seelenwund fragen, ob sie denn auch Einzelcoaching anbieten. Natürlich ungeachtet dessen, dass der Referent womöglich nur ein ehemaliger Leistungssportler, Direktverkäufer oder Unternehmensberater ist. Oder alles zusammen.

Coaching: Mehr als 25 Berufsverbände in Deutschland Quelle: Cooper - Fotolia.com

Immerhin: In vielen Unternehmen übernehmen die fest angestellten Weiterbildungsbeauftragten die Coach-Auswahl. Sie stellen Pools zusammen, in die nur aufgenommen wird, wer als geeignet gilt.

Das allerdings definiert jedes Unternehmen für sich anders. Klaus Jakobi ist bei der Handelskette Metro für die Personalentwicklung zuständig und nennt sich selbst „Head of Metro University“. Sein Faible für das Coaching erklärt er mit „self development“ und „accelerated development“. Vereinfacht gesagt: Weil der Druck auf Führungskräfte steigt, hilft ihnen der Coach in einer Art „Hygienefunktion“ dabei, diesen besser auszuhalten. Nur klingt das freilich nicht so spektakulär wie „accelerated development“.

Sabine Riede von der Sekteninformationsstelle in Nordrhein-Westfalen kennt die Risiken und Nebenwirkungen des Pseudo-Coachens. Sie hat erlebt, wie die Parole „Du kannst alles schaffen, du musst es nur wollen“ Führungskräfte in Schuldgefühle und gar Depressionen trieb. Oder Unternehmer in den finanziellen Ruin.

Wer bewacht die Wächter?

Doch wie soll man den Verantwortlichen eine Berufslizenz entziehen, die es gar nicht gibt? Namen schwarzer Schafe wollen die Sektenberatungen nicht nennen. Als allzu klagewütig haben sie entsprechende Standesvertreter in den vergangenen Jahren erlebt. Denn ein Coach lebt nun mal von seiner Reputation – die er sich entweder ehrlich verdient oder luftig zusammengeschrieben hat.

Nicht wenige der potenziellen Kontrollinstanzen ziehen sich entsprechend darauf zurück, „präventiv“ zu arbeiten und aufzuklären: die Sektenberatungsstellen genauso wie die Industrie- und Handelskammern, die Coaching-Verbände oder die Stiftung Warentest. Dem Einzelnen bleibt also nur, bei der Wahl seines Coaches genau hinzuschauen.

Quis custodiet ipsos custodes? Wer bewacht die Wächter? Das fragten sich auch die Mitglieder der International Coach Federation, die zum Jahrestreffen ihres Verbandes jüngst in ein Düsseldorfer Kongress-Hotel pilgerten. Es gab Häppchen, Branchen-Trends und -Tratsch auszutauschen. Irgendwann kam dann Slatco Sterzenbach auf die Bühne. Er hielt einen Vortrag über „Lebenskraft hoch zehn“.

Sterzenbach ist siebenfacher „Ironman“ und begnadeter Redner. Er versteht es, seinem Publikum einzuheizen. In Düsseldorf hatten einige der etwa 80 Anwesenden gar Tränen der Rührung in den Augen. Etwa als Sterzenbach von dem 42-jährigen Manager erzählte, der im Armani-Anzug und mit Rolex am Handgelenk ins Krankenhaus eingeliefert wird – Herzinfarkt. Oder als er sein Publikum fragte, was in ihrer Grabrede erzählt werden soll. Dazwischen gab er Tipps zu gesunder Lebensweise, zur körperlichen und seelischen Balance. Alles gut, alles nicht falsch – aber alles schon tausendmal gehört. Die Coaches applaudierten begeistert.

Das Leben ist nun mal kompliziert. Umso schöner, wenn einem in all den Irrungen und Wirrungen auch mal eine Schlange den richtigen Weg weisen kann. Oder ein Triathlet. Vor dieser Versuchung ist selbst ein Coach nicht sicher.

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