Corona-Impfungen Wie überzeugt man Mitarbeiter von der Spritze?

Quelle: imago images

Während Google und Facebook ihre Mitarbeiter zur Impfung verpflichten, gerät die deutsche Kampagne ins Stocken. Deshalb überlegen Unternehmen derzeit, wie sie ihre Belegschaft vom Segen der Spritze überzeugen können. Doch wirken solche Anreize wirklich?

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Den Reiz einer frisch frittierten Portion Pommes darf man grundsätzlich nicht unterschätzen. Am St. Franziskus Hospital in Münster könnte sie sogar Leben gerettet haben. Um die dortigen Mitarbeiter dazu zu bewegen, sich gegen die Grippe impfen zu lassen, bekam jede und jeder Geimpfte 2019 einen Gutschein für eine Portion Pommes in der Cafeteria. Teams, die es auf eine Impfquote von 100 Prozent schafften, erhielten zusätzlich einen Gutschein für ein gemeinsames Frühstück.

Das Robert-Koch-Institut berichtete daraufhin, dass sich die Impfquote in diesem Krankenhaus verdoppelt hatte, in der Ärzteschaft habe sie nach der Aktion bei über 90 Prozent gelegen.

Nicht jeder mag sich von in Fett gebackenen Kartoffeln von einer Impfung überzeugen lassen – überhaupt scheinen viele Deutsche Anreize für Impfungen eher abzulehnen. In einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey hielten rund 63 Prozent der Befragten Anreizsysteme ungeeignet.



Ideen wie die aus Münster beobachtet die deutsche Wirtschaft dennoch mit Interesse. Während die deutsche Impfkampagne ins Stocken gerät, verpflichtet Frankreich pflegende wie nicht pflegende Mitarbeiter von Krankenhäusern sich bis September gegen das Coronavirus zu impfen – sonst würden sie nicht mehr bezahlt.

In den USA wiederum haben die beiden Internetkonzerne Google und Facebook angekündigt, dass sich ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor einer Rückkehr in die Büros gegen das Coronavirus impfen lassen müssen. Die Regelung betreffe zunächst die USA, werde in den kommenden Monaten aber auch für andere Regionen gelten, sobald dort Impfungen weithin verfügbar seien, kündigte Google-Chef Sundar Pichai an.

Bundeskanzlerin Angela Merkel schließt eine gesetzliche Impfpflicht dagegen kategorisch aus. Viele Unternehmen fragen sich deshalb nicht nur, wann die eigene Belegschaft vollständig immunisiert sein wird, sondern auch, wie sie es schaffen, möglichst viele ihrer Mitarbeiter zum rettenden Pieks zu bewegen.

Empfehlen, aber nicht anordnen

Einen Beitrag hat die Wirtschaft bereits durch ihre Betriebsärzte geleistet, die seit dem 7. Juni auch impfen dürfen. Eine aktuelle Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ergab, dass 28 Prozent der Betriebe mit Betriebsarzt schon in den ersten beiden Wochen danach ihren Mitarbeitern eine Impfung angeboten haben. 38 Prozent der Unternehmen gaben an, keine Impfangebote zu planen. So sehr sich manch ein Unternehmer wünschen mag, dass die Bereitschaft etwas höher liegt – eine Impfpflicht lehnen Arbeitgeber ab. In einer Umfrage unter Entscheidungsträgern des Magazins „Markt und Mittelstand" gaben 69 Prozent an, ihren Leuten zwar einen Impfschutz zu empfehlen, diesen aber nicht kontrollieren zu wollen. 

Nadja Hartmann beschreibt die aktuelle Ausgangslage so: „Der Arbeitgeber hat ein großes Interesse daran, dass sich viele Arbeitnehmer impfen lassen, um die Gesundheit zu erhalten und den Betrieb aufrechtzuerhalten“, sagt die Arbeitsrechtsexpertin bei der Kanzlei Rittershaus. „Das Interesse des Arbeitgebers kollidiert aber insbesondere mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und dem Recht des Arbeitnehmers auf körperliche Unversehrtheit.“ Gerade in der Pandemie wäre es wünschenswert, dass Arbeitnehmer sich freiwillig impfen lassen und auch freiwillig ihren Impfschutz offenlegen, so Hartmann. 

200 Dollar für den Pieks

Sollten bald genügend Impfdosen zur Verfügung stehen, könnten Anreize und Prämien eine Lösung sein, die die Arbeitnehmer zu nichts zwingen, aber ihnen eine Impfung attraktiver machen. Das beobachtet auch Inka Müller-Seubert. „Es kamen durchaus Mandanten auf uns zu, die fragten, was sie tun können, um die Impfbereitschaft ihrer Mitarbeiter zu erhöhen“, sagt die Arbeitsrechtsexpertin bei der Kanzlei CMS Hasche Sigle.

Ein Beispiel haben die Supermarktketten Aldi und Lidl schon Anfang des Jahres in den USA gegeben: Lidl zahlte Mitarbeitern, die sich impfen ließen, eine Prämie von 200 Dollar. Auch die Aldi-Nord-Tochter Trader Joe’s kündigte ähnliche Prämien an. Die zu Aldi Süd gehörenden Märkte zahlten keinen Pauschalbetrag, sondern zwei Stundenlöhne pro Impfung und sie übernahmen die anfallenden Kosten.

Wie deutsche Unternehmen ihre Mitarbeiter zum Impfen bewegen können

Inka Müller-Seubert kennt ähnliche Überlegungen auch für Deutschland, Arbeitnehmer für den Impfnachweis zu belohnen. Denn das helfe Betrieben, besser einzuschätzen, wer sich im Unternehmen bei wem anstecken kann und die dazu passenden Hygiene- und Schutzkonzepte zu planen. Sollte eine Impfung dazu führen, dass Geimpfte niemanden mehr anstecken, sie also eine so genannte sterile Immunität auslöst, könnten viele der aktuellen Einschränkungen im Betrieb sogar aufgehoben werden. 

Aber nicht jede Prämie sei gleich sinnvoll, um die Mitarbeiter dazu zu bewegen, ihren Impfstatus zu offenbaren, so die Anwältin. Bei Sachgeschenken seien die zu bevorzugen, die die Arbeitnehmer direkt nutzen können – also lieber ein Präsentkorb als ein Restaurantgutschein, während die Gastronomie noch geschlossen ist. Zusätzliche Urlaubstage als Anreiz seien zwar eine gute Idee, allerdings wären auch diese zu Pandemiezeiten eher wenig hilfreich, weil sie kaum genutzt werden könnten.

Cash ist König

„Momentan ist ein finanzieller Anreiz am effektivsten“, sagt Müller-Seubert, „Die Höhe des Anreizes hängt davon ab, wie hoch das Interesse des Arbeitgebers an der Impfung ist, und natürlich auch von seinen finanziellen Spielräumen.“ Eine gesetzliche Obergrenze gebe es aber nicht.



Es stellt sich eine juristische Frage: Ist die Prämie zu hoch, könnte man argumentieren, dass eine Impfung und der folgende Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber doch nicht mehr ganz so freiwillig geschehen. Natürlich steht es jedem frei, sensible Informationen wie den Impfstatus dem Arbeitgeber gegenüber offenzulegen – oder eben nicht. „Es sei denn, dieser Vorteil ist so groß, dass es völlig unvernünftig wäre, diese Einwilligung nicht zu erteilen“, sagt Müller-Seubert. Eine Prämie von einem Monatsgehalt dürfte diese Grenze aber noch nicht sprengen.

Als Zielgruppe für eine solche Zahlung sieht Müller-Seubert aber nicht die überzeugten Impfgegner. „Die interessante Gruppe ist die der Unentschlossenen“, so die Anwältin. Bei diesen seien die Chancen am größten, durch eine Prämie die Impfbereitschaft zu steigern.

Hilfreich oder falsches Signal?

Die Idee, Menschen Geld zu zahlen, damit sie sich impfen, hat Julian Savulescu schon im vergangenen Jahr skizziert. Der Professor am Oxford Uehiro Centre for Practical Ethics schrieb in einem Debattenbeitrag: „Solange wir die Grenzen unseres Vertrauens in Bezug auf die Risiken und den Nutzen eines Impfstoffs korrekt vermitteln, liegt es am Einzelnen, zu beurteilen, ob sich die Zahlung lohnt.“ Savulescu gibt aber zu bedenken, dass eine Art Bezahlung für die Impfung auch ein falsches Signal senden könne: Dass die Impfung an sich gefährlich sei.

Eine Forschergruppe um Cynthia Cryder und George Loewenstein kam in einer Serie von Experimenten zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Forscher beschrieben ihren Probanden dazu klinische Studien einer bislang unbekannten medizinischen Prozedur. Diese unterschieden sich vor allem in der Entschädigung, die die Teilnehmer dafür bekamen. Die Probanden sollten dann beurteilen, wie gefährlich die jeweiligen Studien für die Beteiligten sein würden.

Freiheit statt finanzielle Anreize

Das Ergebnis: Je höher die Entschädigung für eine Teilnahme, desto höher wurde das Risiko wahrgenommen. Menschen dafür zu bezahlen, geimpft zu werden, könnte sie auf eine ähnliche Weise zu dem Schluss führen, dass eine Impfung riskanter ist, als sie das ohne die Bezahlung annehmen würden, schreiben die Autoren in einem Gastbeitrag in der „New York Times“. Stattdessen empfehlen nicht nur Cryder und Loewenstein, sondern auch der Oxford-Ethiker Savulescu, statt finanzieller Anreize eine andere Form der Belohnung: mehr Freiheiten für Geimpfte, sei es zu reisen, ins Kino zu gehen oder einfach nur (ebenfalls geimpfte) Freunde ohne Beschränkungen treffen zu können.

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Im St. Franziskus Hospital in Münster kann man sich in diesem Jahr die Grübelei über die richtigen Anreize sparen. In einer ersten Umfrage unter den Mitarbeitenden im Dezember, heißt es dort, zeigten sich mehr als 75 Prozent bereit, sich gegen Corona impfen zu lassen. Seit dem Start der Impfungen gehen die Verantwortlichen sogar von einer Bereitschaft von rund 85 Prozent aus. Zur Not gäbe es mit den Pommes-Gutscheinen aber ein mittlerweile bewährtes Mittel.

Hinweis: Dieser Beitrag erschien zuerst im Februar 2021. Wir haben ihn überprüft, aktualisiert und neu veröffentlicht.

Mehr zum Thema: Klare Worte von Friedrich Merz: Der CDU-Politiker sieht Lehrer und Erzieherinnen in der Pflicht, Impfungen gegen das Coronavirus wahrzunehmen.

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