Eigentlich waren sie eingeweiht, dennoch liefen die Telefone Anfang des Jahres heiß: „Immer wieder kamen Nachfragen“, erinnert sich Detlef Oesterreich. Kein Wunder – hatte der IT-Chef des Bekleidungsherstellers Brax Anfang des Jahres gemeinsam mit der Einkaufsabteilung doch eine Revolution ausgelöst: Zehn Farbtöne von Knallrot bis Zartgrün hatte er in Abstimmung mit Chefdesigner Tom Wessling an ausgewählte Lieferanten nach Italien geschickt. Nicht wie üblich als Stoffproben per Paketpost – sondern per E-Mail als lange Zahlencodes, generiert an neu installierten Scannern. Codes, mit denen die Partner ihre Farbmaschinen füttern sollten.
Statt wie üblich nach zwei Wochen eine erste Annäherung an die gewünschte Farbpalette zu erhalten, war der Farbtest schon drei Tage später zurück beim Herforder Mittelständler: „Das Ergebnis entsprach exakt unserem Wunsch“, erinnert sich Oesterreich. „Verglichen mit dem traditionellen, analogen Prozess, können wir durch das digitale Farberkennungsverfahren künftig viel Zeit und Geld sparen.“
Methode
Von der virtuellen Warenauslage über intelligente Koffer bis zur Crowdfunding-Plattform: Mehr als 100 kleine, mittelständische und große Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hatten unterschiedlichste Projekte für den Digital Transformation Award eingereicht.
Die Sieger in den drei Kategorien Bestes Kundenerlebnis, Produkt- und Service-Innovation und Unternehmen 2.0 ermittelte die Jury auf Basis eines wissenschaftlichen Verfahrens, das Alexander Rossmann, Professor für Digital Business an der Hochschule Reutlingen, eigens für den DTA entwickelt hatte: Geprüft wurde jedes Projekt auf seinen jeweiligen Reifegrad in acht Kriterien – von Strategie über Unternehmenskultur bis zu Mitarbeiter-Engagement und Erfolgsmessung. Diese Kategorien wurden wiederum in insgesamt 25 Kategorien unterteilt und nach Punkten gemessen. Das Ergebnis: ein branchenübergreifend vergleichbarer digitaler Reifegrad für jeden Bewerber.
Digital Transformation Award
Das verdankt Brax nicht zuletzt einem Projekt des Deutschen Modeinstituts (DMI): Statt, wie in der Modeindustrie seit Jahrzehnten üblich, zur Festlegung kommender Trendfarben wochenlang gefärbte Stoffmuster zwischen Europa, Asien und Südamerika hin- und herzuschicken, mit Farbkarten abzugleichen und dabei von Licht und Trägermaterial, Drucker- oder Bildschirmeigenheiten und der subjektiven Wahrnehmung von Farbmischern, Stoffproduzenten und Designern abhängig zu sein, setzt das DMI auf Multispektralanalyse. Mit diesem Verfahren lassen sich digitale und damit eindeutig zuordenbare Farbcodes generieren.
„Das ist die Erfindung des Faxgeräts für die Textilindustrie“, sagt DMI-Geschäftsführer Gerd Müller-Thomkins. „Unsere Branche muss die bisher physische Basis ihres Tuns digital hinterfragen.“
Grund genug, das DMI mit dem Digital Transformation Award auszuzeichnen. Mit dem erstmals ausgelobten Wettbewerb wollen das auf digitalen Wandel spezialisierte Beratungsunternehmen Neuland, die Telekom-Tochter T-Systems und die Strategieberatung Strategy& gemeinsam mit der WirtschaftsWoche auf die Bedeutung des digitalen Wandels aufmerksam machen, der die tradierte ökonomische Ordnung in ihren Grundfesten erschüttert.
Herausforderung für Unternehmen
„Nur Unternehmen, die sich schnell genug an die veränderten technologischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen, werden den digitalen Darwinismus überleben“, sagt Roland Tichy, Chefredakteur der WirtschaftsWoche und Vorsitzender der prominent besetzten Jury. „Adapt or die.“
Anpassen oder untergehen – vor dieser Herausforderung stehen heute nicht nur die Sieger unseres Wettbewerbs. Ob Zahnarztpraxis oder Mittelständler, ob Kommune oder Konzern: Der digitale Wandel verändert mittelfristig Organisation und Wertschöpfungskette aller Unternehmen und Branchen. „Man kann und muss etwas tun“, sagt Digital-Experte Land. „Zu hoffen, dass die digitale Transformation an einem vorübergeht, ist keine geeignete Strategie.“