Es ist gar nicht so lange her, da wurde prophezeit, dem feminisierten Mann gehöre die Zukunft. Im Zeichen von Unisex, so hieß es, würden sich die Differenzen abschleifen. Weder Kleider- noch Körpermode trenne inskünftig die Geschlechter. Die cleane, antiseptisch daherkommende Schönheit wurde zum ästhetischen Ideal der Zukunft erklärt. Das „Barthaar als geschlechtsunterscheidendes Merkmal“, so mutmaßte noch 2005 eine Studie zur „Kulturgeschichte des Bartes“, könnte „zugunsten eines jüngeren Aussehens abnehmen oder möglicherweise verschwinden“.
Welch ein Irrtum. Das Barthaar „als geschlechtsunterscheidendes Merkmal“ ist – seit Jahren – präsenter denn je. Nicht nur in Mode, Sport und Werbung, sondern auch in der Politik. Sogar ansatzweise in der Wirtschaft. So viel sprießende Männlichkeit war schon lange nicht mehr. Die Schwächung der überkommenen Rolle des Mannes durch Feminismus und Gleichberechtigung, die Entdeckung weiblicher Tugenden in der postindustriellen Berufswelt, hat keineswegs zu einer androgynen Angleichung des Körperbilds geführt. Ganz im Gegenteil: Wie zum Trotz kultiviert der in die Defensive gedrängte Mann seine archaisch-virilen Eigenschaften – und zeigt symbolisch noch einmal Stärke.
Am liebsten in Gestalt des Drei-Tage-Barts, der – ursprünglich der Paria unter den Bärten – die Beliebtheitslisten knapp vor dem Vollbart anführt und ein Beweis dafür ist, dass es auch in der Mode Dauer im Wandel gibt. Diese Saison wird der Kratze-Bart als Modeerscheinung in der westlichen Kulturwelt glatte 30 Jahre alt. Es war die 1984 gestartete Krimiserie „Miami Vice“, die den Drei-Tage-Bart als Körper-Accessoire einführte. Der aufreizend lässige, leicht melancholisch dreinschauende Ermittler Don Johnson trug zu pastellfarbenen Jacketts, T-Shirts mit tiefem V-Ausschnitt, weißen Slippern (ohne Socken!) und silbrig schimmerndem Revolver einen Stoppelschatten ums energische Kinn.
Damals: eine echte Modeinnovation – und der Beginn einer Ära sichtbar wachsender Maskulinität, die im deutschen Fernsehen Figuren wie den Anwalt „Liebling Kreuzberg“ auf den Plan rief, der Berliner Gemütlichkeit mit brummiger Männlichkeit kombinierte. Zu seinen Markenzeichen gehörten neben Zigarre und Schlapphut die Schwäche für schöne Frauen und der Drei-Tage-Bart.
„Eigentlich ein Un-Bart“, wie Bernhard Roetzel sagt, Autor des Standardwerks „Der Gentleman“, er sei „nichts Halbes und nichts Ganzes“, ein „Kompromiss“ für „Männer, die sich nicht entscheiden können“. Modeästhet Roetzel räumt ein, dass der Drei-Tage-Bart bei manchen gut aussehenden Männern „geht“. Vor allem, wenn starker Bartwuchs mit kurz geschnittenem Haar korrespondiert, wie beim Bayern-Trainer Pep Guardiola oder beim Modedesigner Tom Ford, dessen akkurat gestutzter Drei-Tage-Bart „das Tüpfelchen auf dem i“ sei. „Aber welcher Büromensch sieht schon aus wie Tom Ford?“
In Form gebracht
Ansonsten lässt Roetzel kein gutes Haar am Drei-Tage-Bart. Er sei der „wenig überzeugende Versuch, Stillosigkeit mit Stil zu versöhnen“, es fehle ihm die „Konstanz“ von Glattrasur und Vollbart, vor allem nähre er gleich zwei Illusionen: doch noch ein bisschen Mann sein zu dürfen, auch wenn man „sonst nichts mehr zu melden hat“, und sich die Rasur sparen zu können.
Beides hat seiner Beliebtheit nicht geschadet. Im Gegenteil: Zwei Drittel der deutschen Männer rasieren sich nicht täglich, meldete die Zeitschrift „Men’s Health“ – eine exakte Statistik gibt es nicht. Der Niedergang der Rasur erfreut erstaunlicherweise die Hersteller klassischer Rasiermesser, denen sich neue Zielgruppen erschließen. Friseurmeister Armin Brandt, der vor sechs Jahren am Münchner Flughafen den Salon Brants Barber & Shop eröffnet hat, bietet neben „klassischen Nassrasuren“ auch „Beautyanwendungen“ für den Bart an. 40 bis 50 Prozent seiner Kunden seien Drei-Tage-Bart-Träger.
„Unterm Strich“, so Brandt, sei der Pflegeaufwand beim Drei-Tage-Bart „ungefähr der gleiche wie bei der Ganzrasur“: Der Bart wird mit dem sogenannten Trimmer auf die gewünschte Länge zwischen zwei und vier Millimeter gestutzt, graue Haare werden auf Wunsch abgetönt, die Konturen mit dem Rasiermesser an Oberlippe, Kinn, Wangen und Hals sauber ausrasiert und „in eine schöne Form gebracht“: Bei fülligen Gesichtern sollte man „die Konturen „tiefer ziehen“, „das macht schmäler“. Brandt empfiehlt, den Bart mit einem milden Shampoo zu reinigen und einzucremen, „damit die Haut geschont wird“ – und das Erscheinungsbild nicht leidet.
Die meisten seiner Drei-Tage-Bart-Kunden kommen aus dem mittleren Management: „Je höher, desto glatter.“ Bärte mögen am Arbeitsplatz, wie eine Umfrage erst jüngst wieder gezeigt hat, weithin akzeptiert, ja beliebt sein. Doch in den Chefetagen sind sie eher die Ausnahme. Erst recht in der Variante des Drei-Tage-Barts. Am ehesten findet man ihn noch in der Computerbranche: Digitale Großkonzerne wie Google oder Microsoft ersparen sich und ihren Mitarbeitern Vorgaben bei der Gestaltung des Bartwuchses. Bei Google ist man der Ansicht: „You can be serious with or without a beard.“
Auch im Einzelhandel setzen Bartträger zuweilen Zeichen: Kaufhof-Chef Lovro Mandac und die Zalando-Gründer Rubin Ritter und Robert Gentz tragen Drei-Tage-Bärte, Rewe-Chef Alain Caparros changiert zwischen Zehn-Tage- und Vollbart. Der langjährige CEO des Schweizer Pharmakonzerns Novartis Daniel Vasella, einst einer der mächtigsten Manager Europas, trägt einen Drei-Tage-Bart, freilich erst, seit er freiberuflich Führungskräfte coacht.
Sogar die traditionell testosterongesteuerte Automobilbranche will von der Zurschaustellungen sekundärer Geschlechtsmerkmale in der Regel nichts wissen. Gewiss, Mercedes-Chef Dieter Zetsche kultiviert seinen fidel frisierten Walrossschnauzer, und Ex-BMW- und VW-Vorstandschef Bernd Pieschetsrieder wird als Altbayer sicher nicht seinen schwarz-silbernen Henri-Quatre-Bart ablegen, wenn er in den Aufsichtsrat von Daimler wechselt.
Nur Chefexzentriker Sergio Marchionne, seit 2004 CEO von Fiat, leistet sich den Luxus eines Drei-Tage-Barts. Ansonsten zeigt der Blick auf die Riege führender Automanager: lauter glatt rasierte Leistungsathleten. „Die Repräsentation von Macht und Autorität ist an den sexuell unmarkierten Körper gekoppelt“, schreibt die Modetheoretikerin Barbara Vinken in ihrem neuen Buch „Angezogen“, aus „inkorporierten Institutionen“ solle „niemand durch Abweichung herausstechen“.
Moral der Mode
Mit anderen Worten: Spielerisches ist verpönt. Das gilt erst recht für konservative Branchen wie die Banken. Demonstrative Lässigkeit hat in der Führungsetage so wenig zu suchen wie in der Schalterhalle. Auch Hip-Hop-Musiker wollen lieber ganz uncool von wohlrasierten Bankbeamten mit Schlips und Kragen bedient werden. Nicht nur die ritualisierte Kleidung, das Einheitsgrau der Anzüge, sondern auch die Einheitsrasur bringt die Mitarbeiter auf Linie, betont ihre Gemeinsamkeit, macht sie zu Repräsentanten des großen Ganzen.
„Du sollst übereinstimmen!“ heißt, nach dem Soziologen Karl Otto Hondrich, nicht nur die elementare Moral des sozialen Lebens, sondern auch die Botschaft der Mode. Sie dokumentiert beides: Das Sich-Abheben von denen, die nicht dazugehören, und die Übereinstimmung mit der Gruppe. Sicherheitshalber wird mit Rundmails an den regelmäßigen Friseurbesuch erinnert oder mit einem offiziellen Dresscode die Corporate Identity gefestigt. Wie bei der Schweizer Bank UBS, die in ihrem 2010 bekannt gewordenen Dresscode den Mitarbeitern die tägliche Rasur verordnete und den Drei-Tage-Bart kurzerhand verbot.
Die Aufregung darüber hat sich längst gelegt. Wer Karriere machen will, fügt sich bereitwillig dem Comment – und rasiert sich täglich. „Alles, was unnötige Aufmerksamkeit weckt, was Aufsichtsräte auf die Idee bringen könnte, dass sich da einer mit anderen Dingen beschäftigt als mit seinem Job, womöglich mit Mode, steht auf der Abschussliste“, sagt Stefan Wachtel, der bei ExpertExecutive Spitzenmanager auf ihren Auftritt vorbereitet. Der Vorstand soll sich dem Aufsichtsrat nicht als der „Typ mit dem Bart“ einprägen, sondern als „der mit den tollen Quartalsergebnissen“. Wachtel, kein Bartverächter, beobachtet, dass angelsächsische Manager lässiger mit Modesignalen umgehen als ihre deutschen und Schweizer Kollegen. „Jüngere Amerikaner, die bei überseeischen Global Playern arbeiten, tragen unter der Woche auch mal einen Drei-Tage-Bart. Bei denen zählen vor allem die Zahlen.“
Herb-männliche Note
Als politisches Bekenntnis hat der Drei-Tage-Bart, vielleicht mit Ausnahme von Jassir Arafats Fusseln und Edward Snowdens schüchternen Stacheln, noch nie eine Rolle gespielt. Dass er einst von der Band „Die Ärzte“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb, als „herrschendes Männlichkeitsideal der Provinzdisko“ verspottet wurde, ist längst vergessen. Nachdem Brandenburgs Landesvater Matthias Platzek ihn vor ein paar Jahren bei der SPD eingeführt hat, gilt er als Zeichen wohltemperierten männlichen Eigensinns. FDP-Chef Christian Lindner muss jedenfalls nicht fürchten, als Krawallmacher zu gelten: Der Drei-Tage-Bart, den er sich in seiner Zeit als Generalsekretär zugelegt hat, verleiht seinen rehhaft-femininen Zügen eine herb-männliche Note.
„Heute ist ohnehin alles egal“, urteilt Stilexperte Roetzel. Bei Empfängen sei es mittlerweile nicht ungewöhnlich, dass neben dem Smoking-Träger der Mann mit den Jeans steht, bei dem man nicht weiß: „Ist der unrasiert oder trägt der einen Drei-Tage-Bart?“ Die Bartmode dient vielen Männern als Lizenz, sich gehen zu lassen. Der Faulpelz betritt unrasiert das Büro, dem Arbeitslosen drohen ohnehin keine Sanktionen. Sogar in der Armee gehört die tägliche Rasur nicht mehr wie selbstverständlich zu den männlichen Tugenden. Die Dienstanweisung der Bundeswehr zum „Erscheinungsbild“ der Soldaten schreibt zwar einen sauber gestutzten Bart vor. Im Urlaub aber dürfen die Soldaten ihre Bärte wachsen lassen, wie es ihnen passt.
Schlechte Zeiten für Rasierklingenhersteller, die mit der neuen Lässigkeit empfindliche Nachfrageverluste hinnehmen müssen. Die Firma Gillette, der wir die Erfindung der einlegbaren Klinge verdanken, setzt ihre Hoffnungen deshalb auf den Mann, der statt des Kinns seiner Brust mit der Klinge zu Leibe rückt. Der neue Markenname ist Programm: „Gillette Body“.