
Im vergangenen Jahr sind deutschlandweit 689.600 Kinder eingeschult worden und auch dieses Jahr tragen zwischen dem 19. August (Nordrhein-Westfalen) und dem 13. September (Baden-Württemberg) wieder hunderttausende ABC-Schützen stolz ihre Zuckertüten. Je nachdem, wann die Kinder Geburtstag haben und in welchem Bundesland sie leben, sind sie an ihrem ersten Schultag zwischen fünf und sieben Jahre alt.
So gelten in Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg oder Baden-Württemberg Kinder als schulpflichtig, die bis zum 30. September 2014 das sechste Lebensjahr erreichen. In Rheinland-Pfalz ist der Stichtag der 31. August, in Thüringen der 1. August und in Berlin müssen alle Kinder, die bis zum 31. Dezember eines Jahres fünf Jahre alt werden, im darauffolgenden Jahr in die Schule. Kinder, die bis zum 31. März eines Jahres fünf Jahre alt werden, können auf Antrag der Eltern im gleichen Jahr eingeschult werden.
Lange galt eine frühe Einschulung als die beste Lösung. Zusammen mit dem G8-Abitur und der Bologna-Reform stehen der Wirtschaft dann gerade einmal 21-jährige, fertig ausgebildete Topkräfte zur Verfügung. So zumindest die Theorie. In der Praxis sieht es allerdings anders aus: die Universitäten quellen über und die Dozenten wissen nicht, wie sie mit 17-jährigen Studenten umgehen sollen, die ohne Unterschrift der Eltern auf keine Exkursion fahren dürfen. Hinzu kommt die menschlich-soziale Komponente: "Mit 18 Jahren sind viele noch nicht so selbstständig wie mit 20 Jahren und wünschen sich die Unterstützung der Eltern", sagt Florian Reß, Studienberater an der Universität Augsburg.
Fünfjährige können sich nicht so gut konzentrieren
Das Problem tritt aber nicht erst an den Universitäten auf, sondern bereits in der Grundschule. So haben Forscher vom Institut für Psychologie der Uni Frankfurt am Main herausgefunden, dass etwa jedes siebte Kind, das vorzeitig, also vor dem sechsten Geburtstag, eingeschult wird, noch während der Grundschule eine Klasse wiederholen muss. Denn auch wenn viele schon gut zählen und ihren Namen schreiben können, einige vielleicht sogar bereits lesen oder ein paar Worte in einer Fremdsprache beherrschen - ihnen fehlt oftmals die geistige Reife, sich 45 Minuten am Stück auf etwas zu konzentrieren. "Ein Monat Unterschied im Geburtstag kann zu fast einem Jahr Unterschied im Einschulungsalter führen", heißt es auch in einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung.





Die Folge: Die Kinder hören nicht zu, machen Blödsinn, stören den Unterricht. So zeigt auch eine Studie des amerikanischen Forschers Todd Elder, dass bei jüngeren Kindern häufiger eine Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostiziert wird. Die Kinder brauchen jedoch keine Medikamente - sie sind schlicht zu jung zum konzentrierten Lernen. Andere Studien zeigen, dass die Kleinen schlechtere Noten haben als ältere Klassenkameraden und seltener eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen.
In Finnland dagegen werden Kinder erst nach dem siebten Geburtstag eingeschult - und im Kindergarten kommen Lesen und Schreiben noch nicht vor. Trotzdem gehören die Finnen nicht zu den Bildungsverlierern, sondern führen regelmäßig beim Pisa-Test. Deutsche Schüler liegen dagegen eher im Mittelfeld - und das obwohl sie zum Zeitpunkt des Tests bereits neun oder zehn statt acht Jahre zur Schule gehen.
Immerhin: Immer mehr Eltern scheinen einen Zusammenhang zwischen Einschulungsalter und schulischen Leistungen zu erkennen. So haben beispielsweise in Bayern die sogenannten Rückstellungen in den letzten fünf Jahren zugenommen. Eltern schicken ihre Kinder also später zur Schule, als eigentlich vorgesehen.
Nach einer Statistik des bayerischen Kultusministeriums wurden im Schuljahr 2009/2010 9666 Kinder ein Jahr später eingeschult, im Schuljahr 2013/2014 waren es schon 12.427. Vielleicht gönnen die Eltern in Bayern ihren Kindern aber auch einfach ein Jahr mehr Zeit zum Spielen.