Elbphilharmonie Hamburg macht die Welle

Die Hoffnungen auf eine architektonische Ikone haben sich bereits erfüllt. Aber gelingt es, das Haus auch musikalisch auf Weltniveau zu heben?

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Elbphilharmonie Quelle: obs

Es gibt dieses Haus doppelt. Weshalb es auch zwei Möglichkeiten gibt, sich seinem Wesen zu nähern. Da ist zum einen der Landweg. Er führt aus der Hamburger City vorbei an der brandroten Speicherstadt, dieser in sich ruhenden Backsteinskulptur mit Wasseranschluss. Wer auf diesem Pfad wandelt, stellt fest, dass die Elbphilharmonie nicht plötzlich, unmittelbar, grandios vor einem steht, sondern dass der Wuchtbau hinter den Kanälen geradezu versteckt darauf wartet, erlaufen und entdeckt zu werden.

Und mitten hinein in die Überraschung, dass die Elbphilharmonie kein erhabener Solitär ist, sondern der markante Schlussstein eines städtebaulichen Großprojekts, eines architektonischen Ensembles, das auf seine Beseelung noch wartet, mischen sich dann auch noch Erstaunen und Schreck: Wie peinlich verbissen ringt in unmittelbarer Nachbarschaft ein Pseudo-Hochhaus mit Hamburgs neuem Wahrzeichen um Aufmerksamkeit – ein Haus, über dessen Banalität schon sein Name hinreichend Auskunft gibt: Hanseatic Trade Center.

Aber dann gibt es noch den zweiten Weg, den Seeweg, auf dem man sich der Elbphilharmonie nähert wie einer Trouvaille im Museum. Erhaben und mächtig steht sie da am Ende einer perspektivischen Flucht, zieht wie mit magnetischer Kraft schon von weiter Ferne alle Blicke auf sich und erntet die Seufzer der Besucher, die sich genau diese Postkartenszene herbeigesehnt haben: „Ah, da ist sie ja.“

Ein Blick in Hamburgs neue Perle
„Fertig“In gut zwei Monaten wird die Hamburger Elbphilharmonie eröffnet. Die interne Schlüsselübergabe wurde am Montagabend bereits mit einer Lichtaktion gefeiert: Auf der Fassade des gläsernen Baus wurden die Lichter so eingeschaltet, dass in riesigen Buchstaben das Wort „FERTIG“ zu lesen war. Quelle: dpa
BlickfangBlick von der Elbe auf das neue Konzerthaus, das von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron entworfen und von Hochtief gebaut wurde. Quelle: dpa
Der EingangSchon der Weg auf die Plaza, mit 4000 Quadratmetern fast so groß wie der Hamburger Rathausmarkt, ist einzigartig. Die Besucher können sich entscheiden, ob sie einen der zahlreichen Aufzüge oder die zweispurige, konvex gebogene Rolltreppe, die so genannte Tube, nehmen möchten. Quelle: dpa
Gebogene Rolltreppe„Mit 82 Metern ist sie die längste Rolltreppe Westeuropas und die weltweit einzige, die einen Bogen beschreibt“, erklärte Heiner Zeiger vom finnischen Hersteller Kone. Quelle: REUTERS
Die AußenplazaNach zweieinhalb Minuten Fahrt vorbei an mit Glaspailletten verzierten Wänden erreichen die Besucher ein riesiges Panorama-Fenster, das den Blick freigibt auf den Hafen. Über eine kleinere Rolltreppe und einige Stufen gelangt man dann endgültig auf die Plaza. Quelle: dpa
Das FoyerVon hier kommen die Besucher über geschwungene Treppen zum Großen und zum Kleinen Konzertsaal, zur Gastronomie und zur Lobby des Hotels Westin, das ebenfalls am 5. November öffnet. Quelle: dpa
Großer SaalDas Interesse ist riesig: Schon innerhalb der ersten Stunden nach der Freigabe wurden rund 10.000 Karten reserviert. Da die Kapazität auf der Plaza begrenzt ist, wird der Besuch über Tickets geregelt, Konzertbesucher brauchen später kein Extra-Ticket. Quelle: dpa

Nur wer mit dem Boot über die Elbe tuckert, entdeckt, wie erwartet und versprochen, ein spektakuläres Bauwerk – und vielleicht mehr noch das Bild eines spektakulären Bauwerks, das seit Wochen um die Welt geht und zu dessen Bestätigung man als Besucher nun nach Hamburg pilgert: die Elbphilharmonie als Architekturikone und Signatur der Stadt, als Ankerplatz eines Ideals von Schönheit und als tourismuspoetische Kraft, die die Prosa des Alltäglichen und Umliegenden überblendet.

Die neue Aufdringlichkeit

Natürlich, Hamburg sparte nie mit Reiz. Die Hansestadt gefiel mit Hafen und Alster, mit kalkweiß leuchtenden Gründerzeitvierteln und lockte mit der neonblinkenden Reeperbahn. Aber eigentlich drängte sich in Hamburg stets nur die Unaufdringlichkeit nach vorne. Die Sehenswürdigkeit war, dass es keine richtige gab. Man trug stiff upper lip, den Pelz nach innen und behelligte die Welt nicht mit der gediegenen Anmut. Man genoss den Wohlstand und schwieg beredt.

So gesehen ist die Elbphilharmonie – mächtig, auftrumpfend, ja: pompös – das unhanseatischste Gebäude, das man sich vorstellen kann. Dieser gewaltig wogende Wellenkamm soll noch im hinterletzten Winkel der Welt gesehen werden. Er soll coffee table books schmücken, die edelsten Magazine weltweit – und Hamburgs Hotelbetten füllen. Alles an diesem Haus schreit: Seht mich an! Bestaunt mich!

Anders gesagt: Hamburg hat sich mit einem Paukenschlag vom Understatement verabschiedet – und ist mit größtmöglichem Aplomb in den globalen Wettbewerb um Aufmerksamkeit eingestiegen. Die Stadt will Mitglied einer globalen Elite sein, eine Metropole, zu deren Besuch man sich vier, fünf Tage frei nimmt und in ein Flugzeug setzt. Eine Destination, wie es heißt, die man geschaut haben muss.

Die Chancen dazu stehen gut. Im Gegensatz zu anderen gängigen Weltarchitekturmarken wie Frank Gehry oder Daniel Libeskind, die sich in Selbstzitierung verfangen haben und nichts mehr zu schaffen wissen außer Kopien ihrer einzigen Idee, sind Jacques Herzog und Pierre de Meuron eben wahre Meister ihres Fachs. Weil sie für (fast) jeden Bauplatz eine passende, individuelle Lösung finden, eine eigene Sprache, immer neue Formen und Materialien.

Zumal in Hamburg. Was im tändelnden Spiel mit dem genius loci (Der Strom! Das Wasser! Die Wellen!) auch als grandioser Kitsch hätte scheitern können – hier ist es gelungen. In einem halb fertigen Stadtviertel namens Hafencity, in dem sich deprimierende Inspirationslosigkeit an pseudozeitgenössische Hässlichkeit reiht, ist die Elbphilharmonie in jeglicher Hinsicht eine rettende Wohltat.

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