Eliten Wie die Managerauslese funktioniert

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Andrea Gadeib Quelle: Michael Dannenmann für WirtschaftsWoche

Wer sich nicht anpasst, steht schnell am Abgrund. Es ist nie der einzige Grund, aber immer einer, der mitspielt, wie das Beispiel Klaus Kleinfeld zeigt. Der Ex-Siemens-Chef stolperte nicht über eine persönliche Verwicklung in den Korruptionsskandal beim Elektronikkonzern – allerdings hat er die Bedeutung des Themas gegenüber einem nervösen Aufsichtsrat falsch eingeschätzt. Doch noch mehr hat ihm geschadet, glaubt man Insidern des Münchner Unternehmens, dass er über zu wenig alte Seilschaften und mangelndes Fingerspitzengefühl gegenüber dem gediegenen Aufsichtsrat verfügte: Mal trat er arrogant auf, mal aufmüpfig – und stets glaubte er, seine vorbildlichen Quartalszahlen würden das erlauben. Aber die Leistung entschied am Ende nicht. Als ihm im Frühjahr 2007 Teile des Aufsichtsrates um Granden wie Deutsche-Bank-Boss Ackermann und ThyssenKrupp-Chefkontrolleur Gerhard Cromme die Vertragsverlängerung verweigerten, stand Kleinfeld allein auf weiter Flur – und ging.

Dabei machen gravierende Veränderungen in Unternehmen die gläserne Decke für soziale Aufsteiger in der Regel durchlässiger, beobachtet Elitenforscher Hartmann. In der Situation müssten sie sich nicht mit den Netzwerken im eigenen Haus vertragen, im Gegenteil: Sie sollen auf-räumen und den Filz ausdünnen. Und das kann jemand, der nicht dazugehört, eben am besten.

Das ist etwa auch das Plus von Telekom-Chef René Obermann. Sein Lebenslauf lässt alles andere als eine Konzernkarriere vermuten: Er wuchs in einfachen Verhältnissen auf, machte Abitur und absolvierte eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei BMW. Das Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Münster brach er vorzeitig ab. Mit 23 Jahren gründete er ein erfolgreiches Telefonunternehmen, das er später an den Hongkonger Konzern Hutchison Whampoa verkaufte. Der damalige Konzern-Chef Ron Sommer holte ihn zur Telekom. Obermann wurde Vertriebschef Mobilfunk, später Chef von T-Mobile, und 2002 rückte er in den Konzernvorstand auf. Ende 2006 wählte ihn der Aufsichtsrat schließlich zum Konzernchef.

Zu dem Zeitpunkt litt die Deutsche Telekom unter Kunden- und Umsatzschwund und brauchte dringend eine Radikalkur. Obermann, der „Mann für die eher unpopulären Entscheidungen“ („Handelsblatt“), war dafür genau der Richtige.

Solche Ausnahme-Karrieren bestätigen allerdings eher die Regel der Nichtdurchlässigkeit. Wie auch Rolf Elgeti. Der ostdeutsche Bauernsohn hat es in Rekordzeit zum Chefstrategen bei der niederländischen Großbank ABN Amro in London geschafft. Dafür musste er aber von Anfang an Überdurchschnittliches leisten: Abitur mit 1,0, Wirtschaftsstudium an der Uni Mannheim in fünf Semestern, MBA an der Elite-Uni Essec in Paris. Als er den Vertrag als Chefstratege für den europäischen Aktienmarkt bei ABN Amro unterschreibt, ist er gerade mal 27 Jahre alt. Die Kollegen nennen ihn „Rolfnator“, weil er seine Aufgaben so gnadenlos erledigt wie Hollywoods Terminator seine Feinde.

Doch mit 30 Jahren macht der Staranalyst etwas, das typisch ist für soziale Aufsteiger: Er steigt aus und macht sein eigenes Ding. Vor ein paar Monaten hat er einen eigenen Immobilienfonds aufgelegt und sammelt nun bei den Briten Geld ein, um es in deutsche Immobilien zu investieren.

Tatsächlich gründet das Gros sozialen Aufsteiger lieber ein eigenes Unternehmen, statt sich den Mühlen einer Konzernkarriere auszusetzen. So wie Carsten Maschmeyer, der in einem Mutter-Kind-Heim aufwuchs und Gründer und heute Chef des börsennotierten Finanzdienstleisters AWD ist. Oder Peter Dussmann, der sich niemals zu schade war, selber zu putzen, bevor er seinen gleichnamigen Reinigungskonzern schuf.

Die Netzwerke der Old Boys schrecken viele Aufsteiger ab. Diese sind wenig durchlässig, was es für ausländische Nachwuchskräfte zusätzlich erschwert, in Chefetagen deutscher Unternehmen aufzurücken. Die Halbsyrerin Andera Gadeib zum Beispiel, die das Online-Marktforschungsinstitut Dialego gründete und Verbraucherstudien für Unilever, Coca-Cola oder Gruner + Jahr erstellt, war mit hilfreichen Kontakten nie ausgestattet: Ihr Vater war Arbeiter bei Philips, die Mutter, eine gelernte Datentypistin, führt eine Geschenkboutique auf 20 Quadratmetern. Für die 37-Jährige kam nur die Selbstständigkeit infrage: „Die anderen werden mich schon schaukeln – nein, das ist nicht mein Ding.“

Gerade Manager aus einfacheren Verhältnissen zeichnen sich durch eine „besondere Arbeitsethik“ aus, glaubt Stefan Fischhuber, Partner bei der Personalberatung Heidrick & Struggles. Sie arbeiten diszipliniert, nehmen Doppelbelastungen in Kauf und sind bereit, sich selbst zurückzunehmen. Sie folgen der inneren Logik: Macht kommt von machen. Diese Bescheidenheit ist zwar gut für die Unternehmen, aber Gift für die Karriere. Studien zeigen: Der Drang nach Macht ist einer der wichtigsten Charakterzüge für einen steilen Aufstieg.

Die Weichen dafür stellen die meisten in der Lebensphase zwischen 35 und 45 Jahren. Fischhuber weiß aus Erfahrung: In dieser Zeit haben die Erfolgreichsten bereits mindestens ein „kritisches Projekt gemeistert“, eines von strategischer Bedeutung für das Unternehmen, für das sie auch ein persönliches Risiko eingegangen sind. Wer aber von Hause aus keine Sicherheit mitbringt, der scheut das Risiko.

Die Chancen nutzen dann andere. Menschen mit ausgeprägtem Ehrgeiz, Wettbewerbsdenken und Machtinstinkt. Keiner repräsentiert diesen Typ Manager stärker als Alexander Dibelius. Der Sohn eines Musikwissenschaftlers, Ex-Chirurg und Deutschland-Chef der Investmentbank Goldman Sachs muss immer siegen. Beim Ski-Cup gegen Ende des Weltwirtschaftsforums in Davos schafft Dibelius etwas, was vor ihm keiner schaffte: Bestzeit unter 50 Sekunden auf der Slalom-Strecke. Was anderen als Abschluss und Entspannung einer anstrengenden Tagungswoche erscheint, gerät bei Dibelius zur Wettkampfarena. Für ihn geht es fortwährend um mein Haus, mein Pferd, meine Yacht. Die schönste Frau? Erobert. Die attraktivste Villa in München? Gekauft. Und natürlich muss er die Villa des Dichterfürsten Thomas Mann auf dessen Grundstück nachbauen, nicht irgendeine.

Es ist ganz natürlich, dass solche Unternehmenschefs auch wieder Typen um sich scharen, die genauso ticken wie sie selbst. Die Folge: Befördert wird, wer in das System passt.

Die Personalabteilungen könnten auch gegensteuern, um alternative Nachwuchskräfte frühzeitig zu entwickeln. Doch von „Diversity“ keine Spur. Rund 60 Prozent der Unternehmen haben zwar explizite Programme für benachteiligte Gruppen wie etwa Frauen. Doch im Top-Management kommt davon nichts an: Der Anteil der Frauen sank hier sogar von 7,5 Prozent im Jahr 2006 auf 5,7 Prozent im vergangenen Jahr.

Auch bei den Top-Managern überwiegt die Skepsis, was ihre Aufstiegschancen betrifft. Zwar gibt es Branchen wie die Automobilindustrie, in der es der Ingenieur – der klassische Aufsteigerberuf – auch bis an die Spitze schafft. Doch vier von zehn Führungskräften bezweifeln in einer exklusiven Umfrage der Personalberatung LAB für die WirtschaftsWoche, dass prinzipiell jeder die Chance hat, an die Spitze zu gelangen. 70 Prozent sind gar davon überzeugt, dass bei Beförderungen das Netzwerk die entscheidende Rolle spielt.

Wie es sich anfühlt, wenn einem solche Kontakte fehlen, weiß etwa Steffen Leistner. Aufgewachsen in der DDR und zur Wendezeit Strategiechef des Kombinats Kali, wurde er, der intern schon als Kronprinz galt, schließlich gegen Manager aus dem Westen ausgetauscht und zu einem bloßen Assistenten des Produktionsvorstands degradiert. Die Treuhand hatte nun das Sagen, und Leistner keine Mentoren, ihm fehlte das sprichwörtliche Vitamin B.

Glück im Pech: Die US-Eliteschmiede Harvard schrieb kurze Zeit später Stipendien speziell für osteuropäische Nachwuchstalente aus. Und Leistner bekam die Chance, als erster „Ossi einen MBA in Harvard zu machen“. Er schloss das Studium erfolgreich ab und wechselte in die Beratung Booz Allen Hamilton, wo er heute als Partner arbeitet. Harvard, das sei sein „Befreiungsschlag“ gewesen, sagt er.

Es ist bezeichnend, dass die Karriere über den Umweg USA wieder eine wurde. Leistners sozialistische Vergangenheit nahm ihm in Harvard keiner übel, auch seine bis dahin geringen Englischkenntnisse nicht. Im eigenen Land hatte er „damals mehr mit Vorurteilen zu kämpfen als in den USA“.

Genau diese Offenheit macht die Vereinigten Staaten so erfolgreich. Dort ist eher möglich, was hier noch wünschenswert bleibt: Die Leistung entscheidet. Amerika ist die wohl durchlässigste Gesellschaft aller Industrienationen. Zwar spielen auch dort Wohnort, Geld und Einfluss eine Rolle, aber für die Talentiertesten aus dem Kreis von Minderheiten gibt es Stipendien. Frankreich und England überlassen die Bildung ihrer Eliten vor allem Top-Institutionen.

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