Ernst Pöppel im Interview "Die Beamten im Kopf"

Wir entscheiden oft sehr schnell. Aber was passiert danach? Der Hirnforscher Ernst Pöppel erläutert, wie unser Gehirn Urteile fällt und danach wieder und wieder überprüft.

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Der Psychologe Ernst Pöppel (Jahrgang 1940) studierte Psychologie und Biologie in Freiburg, München und Innsbruck. Er wurde in Sinnesphysiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und in Psychologie an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck habilitiert. Seit 1976 ist Pöppel Professor für Medizinische Psychologie an der Universität München. 2005 wurde er mit der Bayerischen Verfassungsmedaille in Silber ausgezeichnet

WirtschaftsWoche: Wir fällen rund 20.000 Entscheidungen am Tag. Wie schaffen wir das?

Pöppel: Das Gehirn überprüft ständig, was es Neues in der Welt gibt. Ganz unbewusst fallen deswegen alle zwei bis drei Sekunden Entscheidungen: Bleibe ich dran oder wende ich mich einer anderen Sache zu? In etwa wie beim Fernseh-Zapping: Nach drei Sekunden habe ich genug Informationen und kann entscheiden, ob ich umschalte.

Schnelle Entscheidungen haben einen schlechten Ruf – viel anerkannter ist es, Probleme erstmal intensiv zu analysieren. Können wir Spontanurteilen überhaupt über den Weg trauen?

Ja. Die Tatsache, dass eine Entscheidung intuitiv und schnell getroffen wird, heißt nicht, dass sie irrational ist. Die meisten Prozesse in unserem Gehirn laufen unterhalb einer Bewusstseinschwelle ab. Das Wort Einfall sagt es schon: Irgendwo denkt etwas in mir und plötzlich fällt es mir plötzlich ein. Das ist keineswegs irrational.

Wovon hängt die Qualität unserer Spontan-Entscheidungen ab?

Je mehr Wissen ich habe, umso mehr davon wird berücksichtigt, auch wenn mir das gar nicht bewusst ist. Wer über Erfahrung verfügt, kann also guten Gewissens schneller entscheiden. Das hat auch für unsere Wirtschaft eine Bedeutung: Wenn man Mitarbeiter ab 50 in den Ruhestand schickt, wirft man damit viel Erfahrungswissen weg. Unternehmen tun gut daran, das zu überdenken oder Ältere wieder gezielt einzustellen.

Macht uns unser Erfahrungswissen blind für Veränderung?

Das kann passieren. Zu dem Rahmen, in dem wir entscheiden, gehören auch Vorurteile. Motto: Was sich einmal bewährt hat, bewährt sich immer. Deswegen ist es so wichtig, sich klar zu machen, wie wir entscheiden, in welchem Kontext und mit welchen Vorurteilen.

Wie sollte man weitermachen, wenn man sich einmal entschieden hat: Abhaken oder Analysieren?

Man kann seinen intuitiven Urteilen zwar trauen, sollte sich aber im Rückblick Gedanken machen, warum man so entschieden hat und nicht anders. Dabei hilft uns eine Art Beamtenapparat im Kopf, der unsere Entschlüsse langfristig überwacht. Unser Gehirn erlaubt uns, eine Kopie unserer Pläne zu speichern und dann ein Selbst-Monitoring vorzunehmen. So bin ich in der Lage, permanent die erreichten Milestones mit den gespeicherten taktischen und strategischen Zielen zu vergleichen. Stimmen sie überein, dann stellt sich Befriedigung ein. Mit einem schlechten Gefühl signalisieren die Beamten dagegen, dass ich die Entscheidung überprüfen muss.

Wie wichtig ist es, sich diese Ziele und die Milestones bewusster zu machen?

Sie zu dokumentieren halte ich für außerordentlich nützlich und wichtig, damit man nicht an sich vorbei lebt und sich nicht in die Tasche lügt, wenn man mit einer Entscheidung mal daneben liegt.

Literatur: Ernst Pöppel: „Zum Entscheiden geboren. Hirnforschung für Manager“. Hanser 2008

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