Florian Illies „Wie bei Snapchat und Instagram“

Florian Illies, künftiger Leiter des Auktionshauses Grisebach, über die Antiquiertheit von Ziegen in Operettenlandschaften und den Triumph der Skizze, des Fragments über das fertige Bild.

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Kunstmarkt: Florian Illies ist von Januar Geschäftsführer des Auktionshauses Grisebach. Quelle: Götz Schleser für WirtschaftsWoche

Die Villa Grisebach, Fasanenstraße, Berlin-Charlottenburg, Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, seit 1986 Sitz des Auktionshauses Grisebach. An den Wänden des Foyers zeitgenössische Kunst für die Jubiläumsauktion vom 30. November bis 3. Dezember, zwei informelle Großformate von Fred Thieler, ein mächtiges Nagelbild von Günther Uecker. Dann geht es das Treppenhaus hinauf. Florian Illies, 45, seit fünf Jahren zuständig für das 19. Jahrhundert und vom kommenden Jahr an Leiter des Auktionshauses, empfängt in seinem Büro im ersten Stock.

An der Wand hinter dem Schreibtisch moderne Klarheit, eine Serie von Günther-Förg-Lithographien, auf einem Holzständer ein typischer Raimund Girke, verstreut im ganzen Zimmer aber zwei, drei Dutzend Zeichnungen, Studien und Öl-Skizzen aus dem 19. Jahrhundert. Das sei keine heimelige, schon gar keine deutsch-innerliche Malerei, hebt Illies an, geht zum Schreibtisch und löst ein Aquarell aus der Hülle…

WirtschaftsWoche: Was ist das für ein Blatt? Adolf Menzel? 

Florian Illies: Eine Studie für sein „Flötenkonzert“, eines der ganz großen Bilder des 19. Jahrhunderts. Es ist die Skizze eines Kronenleuchters. Sehen Sie diese Pinselabstreifung? Da hat Menzel seine Farben ausprobiert. Es ging ihm darum, das kalte und warme Licht zu malen. Hier, links unten, mischt er sich die Farben an. Für so etwas hat sich früher niemand interessiert. Das war unverkäuflich, galt als bloßes Arbeitsmaterial, als Vorstufe zum Werk. Heute ist es umgekehrt: Gerade die Studien wecken das Käufer-Interesse. Das Blatt wird auf 120.000 bis 140.000 Euro geschätzt. 

von Dieter Schnaas, Christopher Schwarz

Und für die fertigen Bilder will kaum jemand haben?

Die gelten vielen als steif und langweilig. Mir geht es ja oft genauso. Schauen Sie sich um: Was mich an der Kunst des 19. Jahrhunderts fasziniert, ist das Flüchtige, Skizzenhafte – der Zoom-Blick in eine Baumkrone oder auf eine Wolke. Nehmen Sie diese Waldstudie von Andreas Achenbach aus dem Jahr 1844. Wie er das malt: Das Grün da unten, und dann blickt er hinauf, sieht einen Ast, hält ihn penibel fest, frei und genau zugleich. Unten signiert er sogar mit seinen Initialen, fast ein bisschen angeberisch, wie Dürer. Die Studie ist ein bloßes Landschaftsdetail, unterwegs, auf Reisen erfasst, das er dann vielleicht später im Atelier in eine Großkomposition integriert. Das Gemälde wäre heute nicht mehr wert als diese kleine Skizze. Eher weniger. Obwohl es zu Lebzeiten Achenbachs ein Vermögen gekostet hat. Das ist ein fundamentaler Geschmackswandel.

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Warum? Weil diese Art von bürgerstolzer Salonkunst aus der Zeit gefallen ist?

Nein. Weil unser Blick ein anderer ist. Und weil dieser Blick es ist, der einen Markt erzeugt. Die Künstler hinterließen früher hunderte von Studien. Sie waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Man hielt sie nicht für kunstwürdig. Erst seit 15, 20 Jahren entdeckt man ihren Reiz wieder, ihre künstlerische Qualität. Und mit der Wiederentdeckung ist ein neuer Fokus auf die Kunst des 19. Jahrhunderts entstanden: Man sucht das Frische und Unfertige, das noch Spuren der Produktion trägt. Das Fragmentarische, die Absage an die Ganzheit. Es ist ein 19. Jahrhundert, in dem man die eigene, moderne, in Momentaufnahmen zersplitterte Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts wieder entdecken kann, als eine Art Collage. Wie bei Snapchat und Instagram.

Das Beiläufige eines Skizzenbuchs wird in den Rang der Kunst erhoben?

Richtig. Und das Interessante ist: Die ersten, die damit anfangen, sind die Künstler selbst. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das berühmteste Beispiel ist Karl Friedrich Schinkel, der große preußische Architekt. Er reist nach Rom und bringt zehn Ölstudien von Heinrich Reinhold mit, einem heute kaum mehr bekannten, aber genialen Maler. Seiner Frau schreibt er dazu Sätze wie: „So unmittelbar habe ich Italien noch nie gesehen, genauso, wie ich es erlebe.“ Und noch etwas erwähnt er: „Ich habe diesen faszinierenden Menschen kennengelernt. Und diese Studien halten für mich etwas von seiner Seele wach.“

Über die deutsche Italien-Sehnsucht

Es geht also nicht nur um den Blick in die Werkstatt?

Zunächst einmal um eine neue Art der Welterfassung, um den spontanen Zugriff auf die Wirklichkeit. Denken Sie an die zahllosen Wolkenstudien: Eine Wolke geht schnell vorüber, kaum da, ist sie schon wieder verflogen. Der Künstler muss fix arbeiten, hat keine Zeit zu überlegen. Und wenn er nicht fertig wird, schreibt er vielleicht an den Rand des Papiers „hier rosa“, „hier grün“, um Farbschattierungen später nachzutragen. Ich glaube, diese Ölstudien sind der Eintritt der Geschwindigkeit in die Kunstgeschichte. Und was daran so toll ist: Die Schnelligkeit des Zugriffs hält diese Arbeiten frisch. Wir können unsere eigene Naturwahrnehmung darin wiedererkennen. Diese Wolkenstudien sind sozusagen Short Cuts, die nicht altern, die lebendig bleiben…

…und deshalb zeitlos wirken. Trotzdem haben Sie auch fertige Bilder in Ihrem Auktionskatalog.

Fast gar nicht mehr. Vielleicht noch zwei oder drei, wenn sie besonders gelungen sind.

Warum wirken die heute so antiquiert?

Meine unfertige These lautet: Weil sie als Atelierbilder auf Bestellung produziert wurden, also für einen Markt und für eine Kunstöffentlichkeit, die es heute nicht mehr gibt. Sie sollten zur damaligen Zeit gefallen und verkauft werden.

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Firo Feuerlöscher von DooresaemGut, es kann sicher sein, dass im Notfall jemand den Firo für einen Bluetoothlautsprecher oder eine Gießkanne hält - aber es ist ein Feuerlöscher. Dafür einer, den der Besitzer auch gerne anschaut. Die Jury des Ret Dot Awards lobt außerdem die leichte Bedienung. Quelle: PR
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Season Sessel von ViccarbeSo richtig lässt es sich auf den ersten Blick nicht erahnen, ob man auf diesem sehr reduzierten Möbel bequem sitzt oder man gar runterrutscht. Umso mehr, da im Fuß des Sessels Rollen versteckt sind, mit denen er sich leicht von A nach B transportieren lässt. Viel weniger geht zumindest nicht und deswegen lobt die Ret-Dot-Jury auch die "Reduktion auf das Wesentliche". Quelle: PR
Staresso Kaffeemaschine von Shenzen Staresso CulturePoppig, klein, leicht zu bedienen. Das überzeugte die Jury an der Staresso-Kaffeemaschine, die für Zubereitung eines Glases geeignet ist. Quelle: PR
Uncle Jack Bank von KartellKeine Nähte, durchsichtig, aus einem Guß - ein Werk von Designer Philippe Starck für Kartell. Trotz aller Härte des Materials handelt es sich hierbei um ein Sofa mit einer "skulpturalen Anmutung", wie die Jury urteilt. Quelle: PR

Und um 1830 oder 1850 weiß ein deutscher Maler, der nach Italien reist, sehr genau, was von ihm erwartet wird? 

Ja, eine typisch italienische Landschaft. Mit südlichem Kolorit. Womöglich mit einer tanzenden Neapolitanerin im Vordergrund, dann wird‘s nochmal ein bisschen teurer. Das sind Wohlfühlbilder. Die Maler bedienen die deutsche Italien-Sehnsucht, sie arbeiten mit Stereotypen, mit trivialisierten Versatzstücken des Mediterranen... Aber malen konnten sie natürlich trotzdem.

Es gibt tausende Bilder der Bucht von Neapel, mit dem rauchenden Vesuv im Hintergrund. Operettenlandschaften.

Ja, aber noch fataler ist die zeittypische Vorliebe für Kühe, Ziegen oder Enten. Oder für Bauern, die wie Bühnenfiguren vor die Landschaftskulisse gesetzt werden. Das sind alles Requisiten, die die Bilder in ihrer Zeit gefangen halten, sie unglaublich altmodisch machen. Wir versuchen ein vegetarisches 19. Jahrhundert anzubieten, also ganz ohne Ziegen, Enten und Kühe. 

Kommt daher der Kitschverdacht, der lange Zeit über der Malerei des 19. Jahrhunderts schwebte?

Auch. Entscheidend ist aber etwas anderes. Die Kunst des 19. Jahrhunderts wurde lange Zeit abgelehnt, ja ignoriert, auch unter Kunsthistorikern, weil die Nationalsozialisten sie favorisierten und für ihr Führermuseum in Linz sammelten. Es ist die Kombination von Kitschverdacht und falscher Gesinnung in Deutschland, die das 19. Jahrhundert kontaminierte. Oder noch simpler: Weil die Nazis diese Kunst mochten, durften wir sie nicht mögen.

Und liebten stattdessen die Expressionisten…

…die von den Nazis als böse, als entartet abgestempelt wurden. Es ist merkwürdig und nur aus unserer Geschichte heraus verständlich. Die „Brücke“-Maler, die sich in jeder Hinsicht „anti“ gaben, mit ihren rosa Bäumen und grünen Gesichtern, gelten in Deutschland als „schön“. In allen Bildungsschichten. Eine total verrückte Karriere: von der absoluten Außenseiterkunst zur Staatskunst. Bis hinein in die Räume des Kanzleramts haben es Kirchner und Heckel seit den 60er, 70er Jahren geschafft und natürlich auch Nolde. Nicht zuletzt weil die Museen und Kunsthistoriker von 1945 bis 1960 diese Kunst rehabilitiert haben. Das war eine wichtige Wiedergutmachung. Aber danach kam schon die Gegenwartsmoderne – und das 19. Jahrhundert war vollkommen vergessen.

Bei allen Kunstliebhabern?

Fast bei allen. In den Siebziger-, Achtzigerjahren hat etwa ein Spitzweg noch Höchstpreise erzielt. Da kam es vor, dass sich ein paar Großindustrielle bei Auktionen gegenseitig hochschaukelten auf bis zu zwei Millionen D-Mark. Das ist vorbei.

Und heute?

Die Sammler des 19. Jahrhunderts, mit denen ich es vor allem zu tun habe, sind zwischen 35 und 45 oder 85 Jahre alt. An die Generation der 55– bis 65-Jährigen, die in Politik und Wirtschaft am Ruder sind, kommen wir mit dieser Kunst kaum heran. Die gucken bei der Vorbesichtigung kurz rein, sagen „hier ist nur Altes“ und gehen weiter. Die Jüngeren sind anders. Neugieriger. Unbefangener. Die wollen wissen: Was hat es mit diesem 19. Jahrhundert auf sich?

"Man kann im Sehen nachvollziehen, wie der Maler im Gehen diese Landschaft erfasste"

Hat das nicht auch mit einer neobürgerlichen Attitüde zu tun? Mit der Wiederentdeckung des Salons?

Nein, ich glaube, es geht um etwas anderes: Um die Emanzipation von Urteilsrastern, die uns vorgeben wollen, was gute und schlechte Kunst sei. Bei den Jüngeren erlebe ich immer wieder Verblüffung: „Wie? Das ist 200 Jahre alt? Das gefällt mir! Und kostet nur 800 Euro?“ Auch dass man einem Künstler ganz nah kommen kann, etwa beim Blättern in seinem Skizzenbuch, sorgt für überraschte Reaktionen: „So was hab‘ ich ja noch nie gesehen.“ Und dabei spielt der Name des Künstlers oft gar keine so große Rolle. Wichtiger ist das Motiv, die Momentaufnahme.

Und die Erzählung, die persönliche Verbindung zum Künstler, die Intimität? 

Narrative sind sehr wichtig. Ein Skizzenbuch ist so etwas wie die malerische Entsprechung eines Tagebuchs. Und wer es erwirbt, kann sich seinem Schöpfer ganz nahe fühlen. Es geht um die Verbindung über mehrere Generationen hinweg von uns Heutigen zu einem Menschen, der damals etwas Besonderes geschaffen hat. Diese Geschichten funktionieren wie Brücken: Wenn ich weiß, dass der Künstler im Sommer 1823 auf seiner Pferdekutsche durch Palermo fuhr, dass er da im Gasthaus wohnte und Wein trank, dann kommt mir seine Stadtansicht viel näher. Und wenn mir klar wird, dass eine Alpenlandschaft, deren Hauptmotiv, ein prachtvoller, schneebedeckter Gipfel, kaum sichtbar, aus der Perspektive eines Wanderers gemalt ist, dann erscheint mir das plötzlich verblüffend modern. Man kann im Sehen nachvollziehen, wie der Maler im Gehen diese Landschaft erfasste.

Sie betonen immer wieder die Modernität des 19. Jahrhunderts. Ist aber schon auch Verkaufsstrategie, oder?

Nein, das erlebe ich so. Ein wichtiges Qualitätskriterium auch von älterer Kunst scheint mir zu sein, dass sie uns heute noch berührt. Natürlich weiß ich, dass uns vor 20 Jahren etwas anderes berührt hat und in zehn Jahren wieder etwas anderes berühren wird. Es geht, mit anderen Worten, um Verschiebungen des kollektiven Geschmacks, an denen wir als Auktionshaus natürlich Anteil haben. Wir glauben als Kunstliebhaber ja immer, individuell zu urteilen, aber natürlich ist unser Geschmack auch eine soziale Konstruktion, eine zeitabhängige Variable. Vom Kunsthistoriker Max Friedländer gibt es dazu ein wunderbares Wort: Wir sollten immer wissen, sagte er, dass wir mit unseren Geschmacksurteilen wie auf einer Eisscholle treiben. Unmerklich bewegen wir uns auf ihr – und finden plötzlich Dinge schön, von denen wir das nie gedacht hätten.

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Zum Beispiel Bilder von Arnold Böcklin oder Franz von Stuck. Die andere, romantisch-symbolistische Moderne gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Ja, die Malerei des Fin de Siècle boomt im Moment. Das ist ein ganz anderes, dekadentes 19. Jahrhundert, da kündigt sich eine Moderne an, um die die Nazis einen großen Bogen gemacht haben. Da wird die Nachtseite der Vernunft entdeckt, die Welt der Triebe und Geschlechterkämpfe, in einer faszinierend verdrehten, dunkel leuchtenden Bildsprache.

Wer kauft das?

Eine Geschmacksavantgarde von Künstlern, Architekten und Galeristen, aus Deutschland, England und den USA.

Geht auch die religiöse Kunst des 19. Jahrhundert, die Kunst der Nazarener?

Für die gibt es in Deutschland leider noch keinen Markt. Die verkaufen wir, wenn überhaupt, für wenig Geld nach – Sie werden es nicht glauben – Kalifornien, nach Beverly Hills und Hollywood. Die Amerikaner haben kein Problem mit der religiösen Inbrunst, die einem da entgegenschlägt. Die sehen die malerische Brillanz und goutieren die filmartige Ästhetik dieser Kunst. Ich rechne damit, dass die Nazarener in zehn Jahren ganz andere Auktionsergebnisse erzielen werden. Wenn dort, wo Apple, Tesla, Google und Twitter sitzen, Nazarener an den Wänden hängen, dann wird das Folgen haben für die Preise.

"Das 19. Jahrhundert wird immer wichtiger"

Apropos Preise. Wieviel Umsatz machen Sie mit dem 19. Jahrhundert?

Zuletzt 6 Millionen Euro. Also etwa 10, 15 Prozent des Gesamtumsatz.

Viel ist das nicht.

Na, Sie haben ja Ansprüche! Wir sind jetzt 5 Jahre nach der Gründung der Sparte klarer Marktführer für das 19. Jahrhundert in Deutschland. Eine Öl-Studie, die vor fünf Jahren 1000 Euro kostete, bringt heute womöglich 10.000. Das 19. Jahrhundert wird immer wichtiger, nicht zuletzt, weil wir damit mögliche Rückgänge auf anderen Märkten ausgleichen können. Wir freuen uns über unser Angebot der klassischen Moderne in der Auktion am 1. Dezember: Das ist der Hauptumsatztreiber und Teil der von Bernd Schultz geschaffenen DNA von Grisebach. Der Nolde-Sammler muss wissen, dass er bei uns die besten Nolde-Bilder bekommen kann. Zugleich müssen wir tatkräftig darauf hinarbeiten, dass in fünf Jahren die Zeitgenossen mit den Klassikern gleichziehen werden. Und das sieht sehr gut aus. Der Geschmack ist im Wandel begriffen, und wir mit ihm. 

Wie nehmen Sie Einfluss auf den Geschmack? Wie erzieht ein Auktionshaus seine Kundschaft

Wir versuchen es, indem wir etwa bei den Abendauktionen neben prominenten Expressionisten den bislang viel weniger prominenten Konstruktivisten Walter Dexel platzieren. Durch die Nachbarschaft zu einem Millionen-Los wird Dexel natürlich geadelt – zuletzt sehr erfolgreich. Jetzt kosten seine besten Bilder genauso viel. Für das 19. Jahrhundert haben wir von Beginn an versucht, den Publikumsgeschmack mit zu formen, etwa indem wir streng selektiert haben und eben nicht jeden Achenbach oder Koester oder Lenbach in die Auktion nehmen. Mein Kollege Markus Krause, der die klassische Moderne verantwortet, nennt das „Arbeit am Kanon“. Die macht uns viel Freude. 

Der Künstler Christo verhüllt einen Steg auf dem italienischen Iseosee. Dabei verlässt er sich auf echte deutsche Ingenieurskunst: Die Stoffe kommen vom westfälischen Unternehmen Setex.
von Lin Freitag

Sie kuratieren die Auktionen?

Ja, wir versuchen das, auch um uns von unseren Mitbewerbern zu unterscheiden, aber man darf’s nicht übertreiben. Es muss sich rechnen. Ein Auktionshaus ist kein Museum, sondern ein Wirtschaftsunternehmen. Jeder Katalog ist vor allem eine wunderbare Collage aus Zufällen.

Vom kommenden Jahr an übernehmen Sie mit Micaela Kapitzky die Leitung des Auktionshauses. Dann sind Sie neben dem 19. Jahrhundert auch für die zeitgenössische Kunst zuständig. Welche Trends sehen Sie?

Dafür muss man kein Prophet sein: Nach der Zero-Welle werden jetzt die Sechzigerjahre dran sein, dann der „German Pop“, auch die Neuen Wilden, die Siebziger-, Achtzigerjahre werden wiederkommen. Da ist viel passiert in Deutschland, und wir wachsen in diesem Bereich sehr stark. Die Villa Grisebach versteht sich als Haus der deutschen Kunst, von Caspar David Friedrich bis Günther Förg. Und wie Sie sehen, beißt sich das gar nicht. Im Gegenteil: Es macht uns Spaß, wenn die Qualität stimmt, alle Zeiten zu inszenieren und neu zu kombinieren. Ich freue mich jedenfalls, dass das aufregende 19. Jahrhundert wieder ein selbstverständlicher Teil der Kunstgeschichte geworden ist. Und wer weiß: Vielleicht hängt in zehn, 15 Jahren ein Menzel oder Max Klinger im Kanzleramt – und konkurriert dann dort mit Kirchner und Polke und Fruhtrunk um die ästhetische Deutungshoheit, das sind doch herrliche Aussichten.

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