Fortbewegung Was unseren Gang ausmacht

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Gehen als unlösbares Rätsel

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Balzac war, wie Sie schreiben, zugleich ein Skeptiker der Analyse des Gehens.

Ja, er hielt das Gehen für ein unlösbares Rätsel, das in seiner Komplexität das Denken verwirrt. Ein spätes Echo auf diese Skepsis findet sich beim italienischen Romancier Italo Svevo in seinem Roman "Zeno Cosini" von 1923: Ein Freund erzählt dem Romanhelden Zeno, dass sich beim schnellen Schritt in einer halben Sekunde 54 Muskeln in Bewegung setzen. Die Folge ist, dass Zeno für den Rest des Romans hindurch hinkt. Die Reflexion wirft so den Geist aus der Bahn.

Hätte die Wissenschaft lieber die Finger lassen sollen vom Gehen?

Nein, da sind durchaus menschendienliche Resultate hervorgebracht worden, auch im Hinblick auf die Verbesserung des Schuhwerks. Nur, die wissenschaftliche Forschung tendiert fatal zur Standardisierung. Das geht vom gesunden Normschuh über den Normschritt bis zum normierten Gang, wie ihn die Psychiater Ende des 19. Jahrhunderts aus der Beobachtung des kranken Gangs entwickeln. Doch dieser normierte Gang ist ein Idealtypus, eine Form des Gehens, die in der Wirklichkeit nicht vorkommt. Jeder von uns geht anders. Die Vielfalt ist grenzenlos.

Zitate zum Gehen

Ist das einer der Gründe, weshalb viele Leute den berühmten Sketch von Monty Python über "silly walks" so lustig finden?

Ja, aber der Sketch bezieht natürlich viel von seiner Komik aus den nationalen Stereotypen, die mit bestimmten Gangarten im Militär verbunden sind – wie etwa dem preußischen Paradeschritt. Sie erinnern sich vielleicht an die Episode "The Germans" in "Fawlty Towers", wo John Cleese als irrer Hotelbesitzer vor seinen deutschen Gästen Hitler imitiert und in den Stechschritt verfällt. Der „silly walks“-Sketch geht darüber aber noch weit hinaus: Er erfindet ein Ministerium, das lächerliches und somit "unnützes" Gehen zum Gegenstand von aufwendig finanzierten Forschungsprojekten macht.

Was passiert eigentlich mit einer Gesellschaft, die das Gehen verlernt?

Das können wir in den USA studieren, wo wir beide Extreme haben: den durchtrainierten kalifornischen Idealkörper und den Couch-Potato. Aber es kommt noch etwas hinzu. In Paris können Sie jederzeit von Montmartre nach Montparnasse gehen. In einer Stadt wie Chicago kann es schon gefährlich werden, wenn man kleine Strecken zu Fuß geht. Die amerikanischen Großstädte sind, von Ausnahmen abgesehen, fußgängerfeindlich.

Was müsste eine Stadt haben, die zum Gehen einlädt?

Weniger Autos. Und weniger Menschen. Das macht London und Paris ja so anstrengend: das Gedränge, der enge Raum, auf dem viele Menschen in verschiedenen Geschwindigkeiten zu gehen versuchen. Und was eine Stadt noch bieten müsste: gut gebaute Straßen und Plätze, die mehr sind als Vorbeifahrräume. Der Potsdamer Platz ist in diesem Sinn kein Platz.

Sie leben in Berlin. Haben Sie da Lieblingswege?

Ja, von meiner Wohnung in Charlottenburg zum Brandenburger Tor und wieder zurück, gern allein und im Stadtkostüm, wie der Spaziergänger-Schriftsteller Robert Walser gesagt hätte. Das kann man in eineinhalb Stunden gut bewältigen.

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