So wie es Deutschland an großen Namen mangelt, fehlt es hier zu Lande auch an einer Modemetropole von internationalem Rang. Zwar feiert Berlin seit 2007 zwei mal jährlich eine Fashion Week, große internationale Namen bleiben dem Schaulaufen jedoch fern. Auch Porsche Design, das eine Dependance seiner Designabteilung in Berlin unterhält, zeigt seine Kollektionen lieber auf der Fashion Week in New York. „Die wichtigen internationalen Einkäufer treffen wir in Berlin nicht an“, sagt Jürgen Geßler.
Diese kommen eher nach New York, Mailand, Paris oder auch nach London. Schon die Einstellung zu Mode ist in diesen Metropolen eine andere als in deutschen Städten. Wer etwa in London etwas auf sich hält, lässt sich bei einem Herrenausstatter in der Einkaufsstraße Savile Row einkleiden.
„Londoner Investmentbanker erkennen sofort, wenn jemand einen Anzug aus der Savile Row trägt“, sagt Autor Bernhard Roetzel. „In Deutschland fällt niemanden auf, woher ein Anzug stammt.“ Und wenn jemand mit hochwertiger Kleidung auffalle, dann eher negativ: „Die Kollegen schauen jemanden eher schief an, wenn man sagt, ein Maßhemd für 200 Euro in Auftrag gegeben zu haben, als wenn man erzählt, ein Kurzarmhemd von Aldi zu tragen.“
Diese Einstellung sieht Roetzel in den preußischen Tugenden verwurzelt: „Preußen hat es geschafft, sich mit Effizienz und Sparsamkeit von einem kleinen, armen Staat in die oberste Riege europäischer Großmächte hoch zu arbeiten“, sagt Roetzel. Mit diesen Eigenschaften setzten sich die Deutschen während Preußens Vorherrschaft ab dem 19. Jahrhundert bewusst von den damals befeindeten Franzosen ab. „Der sparsame, effiziente Deutsche sollte im Kontrast zum dekadenten, überkandidelten Franzosen stehen.“
Tatsächlich unterscheiden sich Deutsche und Franzosen in Sachen Mode bis heute. Das stellte Psychologin Ines Imdahl fest, die 2013 für einen Dessous-Hersteller die Einstellung der Kundinnen in verschiedenen Ländern untersucht hat. Ihr Ergebnis: „Deutsche Frauen sehen immer ihre Fehler“, sagt die Geschäftsführerin des Kölner Rheingold Salons, der psychologische Marktforschung betreibt.
Ein Beispiel: Greift eine deutsche Frau zum Push-up-BH, sagt sie, sie schummle. Die Französin sagt stattdessen, sie hole das Beste aus sich heraus. Das Fazit der Psychologin: „Deutsche möchten auf den zweiten Blick wirken und nicht auf den ersten blenden.“ Diese fast demütige Einstellung sieht sie weniger im teils pompös inszenierten Preußentum verwurzelt, sondern viel mehr in der Nachkriegszeit. „Nach dem Zweiten Weltkrieg durften wir nicht mehr stolz auf das sein, was wir sind“, sagt Imdahl.
Eine allgegenwärtige Bescheidenheit löste nach 1945 das Überlegenheitsgefühl der Nazi-Zeit ab – begleitet von der ständigen Furcht, in alte Muster zurückzufallen. Das zeigte sich auch in der Kleidung der Nachkriegsjahre, sagt Gerd Müller-Thomkins vom Deutschen Mode-Institut: „Die Deutschen wollten einen Neuanfang. Ihre Kleidung war in etwa so schlicht sein, wie die Häuserfassaden der Nachkriegszeit.“
Der Identitätsbruch wirkt bis heute nach. „Alle Tendenzen, sich zu sehr in den Mittelpunkt zu rücken, werden unterdrückt“, sagt Ines Imdahl. „Wir machen lieber was Solides und müssen das nicht hinausschreien.“ Dafür steht etwa Angela Merkel: Ihr Führungsstil ist so sachlich und schnörkellos wie ihr Kleidungsstil. „Sie strahlt eine Schlichtheit aus, wie man es von der deutschen Kleidung erwartet.“
Doch nur, weil Deutsche den großen Auftritt und verspielte Schönheit scheuen, heißt das nicht, dass der gehobene deutsche Modestil weniger wert ist, findet Imdahl: „Das ist nicht keine Ästhetik, sondern eine andere Ästhetik.“