Seit elf Jahren trägt Jürgen Geßler seine Titanuhr - von früh bis spät. „Ich liebe ihren zeitlosen Stil“, sagt der Chef von Porsche Design. Der Accessoires- und Modemarke von Porsche ging es jedoch um weit mehr als Aussehen, als sie 1980 die weltweit erste Titanuhr auf den Markt brachte. Sie war nicht nur hautverträglicher und leichter als ihre Vorgänger aus Edelstahl, sondern auch genauso präzise und widerstandsfähig.
Ihr Schöpfer Ferdinand Alexander Porsche steht hinter zahlreichen Design-Ikonen. Schon im Gründungsjahr der Marke 1972 sorgte er mit der weltweit ersten schwarzen Uhr für Aufsehen. Sechs Jahre später folgte die tropfenförmige Sonnenbrille mit auswechselbaren Gläsern. „Das Credo von F.A. Porsche war, dass gutes Design ehrlich sein muss“, sagt Geßler und betont: „Nicht schön, sondern ehrlich. Nur dann erhalten sich Produkte ein Leben lang.“
Das heißt, dass sie nicht vorgeben sollen, mehr zu sein als sie sind. Anstatt mit viel Deko zu blenden, beschränkt sich das Design aufs Wesentliche und hebt die Funktion der Produkte hervor. Das gilt auch für die 2003 eingeführten Bekleidungskollektionen. So kommt der aus einem einzigen Stück Leder hergestellte „RawTec Blazer“ schlicht und schnörkellos daher und erhielt so 2012 einen Red Dot Award.
Innovation, Schlichtheit, Funktionalität – wenn sich Jürgen Geßler anschaut, was seine Marke ausmacht, gibt er zu: „Das sind alles ziemlich deutsche Eigenschaften.“ Das beginnt schon bei ihren Ursprüngen im Automobil.
Daneben spiele Mode für die auf Technik fixierten Deutschen nur eine untergeordnete Rolle, findet Stilexperte Bernhard Roetzel: „Deutschland ist das Land der Erfinder“, sagt der Autor des Bestseller-Ratgebers „Der Gentleman“. „Die Schönheit eines Autos oder einer Maschine erfreut viele mehr als die Schönheit eines Stoffes.“
Tatsächlich sagen 44,8 Prozent der Deutschen, sich kaum oder gar nicht für Mode und Modetrends zu interessieren. Als Experten, die anderen gerne mal einen modischen Tipp geben, sehen sich gerade mal 10,7 Prozent. Die Ergebnisse der aktuellen Werbeträgeranalyse des Instituts für Demoskopie (IfD) Allensbach spiegeln sich im Straßenbild wider, findet Gerd Müller-Thomkins, Leiter des Deutschen Mode-Instituts in Köln: „Den meisten Deutschen fehlt es an Stil“, sagt er.
Ihnen ist vor allem praktische Kleidung wichtig – wobei es um keine anspruchsvolle Designphilosophie à la Porsche geht. „Ästhetik ist nebensächlich“, sagt Autor Roetzel. „Kleidung muss in erster Linie bequem, pflegeleicht und billig sein.“ Ein Beispiel bietet der Büroalltag: „In Deutschland ist es eher üblich, einen Anzug für 399 Euro zu tragen als einen für 999 Euro“, sagt Roetzel. Statt einem Mantel tragen deutsche Geschäftsleute dazu gerne eine Funktionsjacke, statt einer Aktentasche einen Rucksack. Für Roetzel ein Stilbruch: „Das sieht genauso albern aus, wie jemand im Blaumann mit Aktenkoffer.“
Funktionssinn führt auch zu besonderem Design
Deutschland ist dennoch keine Stilwüste. Der Funktionssinn, der bei der Masse zu Modesünden führt, sorgt am oberen Ende für einen besonderen Stil. Dieser hat Marken wie Porsche Design, Jil Sander, Strenesse und Hugo Boss hervorgebracht, aber auch Adidas oder Puma. Während Adidas-Kleidung weltweit als Standardausrüstung für Sport ist, haben Hugo-Boss-Anzüge diesen Ruf fürs Büro. Beide Marken erfüllen einen praktischen Zweck. Typisch deutsch eben.
Die Anfänge von Hugo Boss waren beispielsweise alles andere als modisch. Die 1924 vom Unternehmer Hugo Ferdinand Boss eröffnete Kleiderfabrik im schwäbischen Metzingen stellte vor allem Arbeitskleidung her. Erst nach dem Tod ihres Gründers 1948 sattelte die Firma allmählich auf Herrenanzüge um.
Heutzutage bietet Boss zwar auch Damenmode, Sport- und Freizeitkleidung an, aber Herrenanzüge machen nach wie vor das Herzstück des Hauses aus. Ihr Erfolgsrezept: Sie gehen immer, findet Experte Gerd Müller-Thomkins. „Boss-Anzüge sind modisch noch nie wirklich aus der Reihe getanzt“, sagt der Modeexperte. „Sie sind passgerecht, ausreichend körperbetont und mittelmodisch mit einem leichten Hang zur Klassik.“
Anders bei Jil Sander. Die maskulinen Hosenanzüge der norddeutschen Designerin waren Anfang Achtzigerjahre höchstmodisch. „Jil Sander hat es verstanden, die moderne Businessfrau abzubilden“, sagt Müller-Thomkins. Ihre Anzüge waren zwar für Damen gedacht, aber wie für Herren gemacht.
Das war ebenso neu wie Jil Sanders nüchterner Stil. Dieser stellte einen Gegenpol zur bis dato etablierten verspielten Damenmode dar. Mit ihren puristischen Einzelteilen, die sich je nach Lust, Temperatur und Anlass frei miteinander kombinieren ließen, gilt Jil Sander als Begründerin des Zwiebel-Looks.
Kein deutscher Designer konnte sich seitdem einen vergleichbaren Namen machen. Überhaupt fehlen in Deutschland solch weltweit stilgebende, große Modehäuser wie sie sich in Italien und Frankreich tummeln. So ist unter den wertvollsten Luxusmarken, die die Beratungsgesellschaft Interbrand für 2013 zusammengetragen hat, kein deutscher Name zu finden (siehe unten).
Während Frankreich Louis Vuitton hat (Platz 1) und Italien Gucci (Platz 2), kann kein deutsches Modeunternehmen diesen Marken in Anspruch, Renommee und Größe das Wasser reichen.
Das sind die wertvollsten Luxusmarken
Deutsche High-End-Mode hat international einen schweren Stand. Unter den wertvollsten Luxusmarken tummeln sich vor allem französische und italienische Modehäuser und Juweliere. Eine Rangliste hat 2013 die Beratung Interbrand veröffentlicht.
Markenwert: 4,58 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 5,19 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 5,44 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 5,57 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 6,9 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 7,62 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 10,15 Milliarden US-Dollar
Markenwert: 24,89 Milliarden US-Dollar
Jil Sander hat ihr Unternehmen etwa 1999 verkauft, das heute als italienische Aktiengesellschaft S.p.A. (società per azioni) mit Sitz in Mailand firmiert. Karl Lagerfeld gilt als kreativer Kopf von Chanel eher als Vertreter französischer Mode, Hugo Boss und Joop bedienen ein niedrigeres Segment und Wolfgang Joops neue Marke Wunderkind ist zwar fein, aber ebenso klein.
Gleiches gilt für Porsche Design, das im internationalen Luxusvergleich noch viel Luft nach oben hat. Während beispielsweise Prada 2013 rund 3,59 Milliarden Euro einfuhr und Hermès 3,75 Milliarden Euro erwirtschaftete, schaffte Porsche Design im gleichen Jahr gerade mal 128 Millionen.
Porsche-Design-Chef Jürgen Geßler glaubt nicht, je an die Größe der milliardenschweren französischen und italienischen Luxuskonkurrenz aufschließen zu können. Das gebe der einst von F.A. Porsche diktierte puristische, zeitlose Stil schlichtweg nicht her: „Wir können bestimmte Trends nicht mitgehen und müssen auf die Masse verzichten“, sagt Geßler. „Porsche Design wird immer eine kleine, feine Nischenmarke sein.“
Die Ursprünge des deutschen Modesinns
So wie es Deutschland an großen Namen mangelt, fehlt es hier zu Lande auch an einer Modemetropole von internationalem Rang. Zwar feiert Berlin seit 2007 zwei mal jährlich eine Fashion Week, große internationale Namen bleiben dem Schaulaufen jedoch fern. Auch Porsche Design, das eine Dependance seiner Designabteilung in Berlin unterhält, zeigt seine Kollektionen lieber auf der Fashion Week in New York. „Die wichtigen internationalen Einkäufer treffen wir in Berlin nicht an“, sagt Jürgen Geßler.
Diese kommen eher nach New York, Mailand, Paris oder auch nach London. Schon die Einstellung zu Mode ist in diesen Metropolen eine andere als in deutschen Städten. Wer etwa in London etwas auf sich hält, lässt sich bei einem Herrenausstatter in der Einkaufsstraße Savile Row einkleiden.
„Londoner Investmentbanker erkennen sofort, wenn jemand einen Anzug aus der Savile Row trägt“, sagt Autor Bernhard Roetzel. „In Deutschland fällt niemanden auf, woher ein Anzug stammt.“ Und wenn jemand mit hochwertiger Kleidung auffalle, dann eher negativ: „Die Kollegen schauen jemanden eher schief an, wenn man sagt, ein Maßhemd für 200 Euro in Auftrag gegeben zu haben, als wenn man erzählt, ein Kurzarmhemd von Aldi zu tragen.“
Diese Einstellung sieht Roetzel in den preußischen Tugenden verwurzelt: „Preußen hat es geschafft, sich mit Effizienz und Sparsamkeit von einem kleinen, armen Staat in die oberste Riege europäischer Großmächte hoch zu arbeiten“, sagt Roetzel. Mit diesen Eigenschaften setzten sich die Deutschen während Preußens Vorherrschaft ab dem 19. Jahrhundert bewusst von den damals befeindeten Franzosen ab. „Der sparsame, effiziente Deutsche sollte im Kontrast zum dekadenten, überkandidelten Franzosen stehen.“
Tatsächlich unterscheiden sich Deutsche und Franzosen in Sachen Mode bis heute. Das stellte Psychologin Ines Imdahl fest, die 2013 für einen Dessous-Hersteller die Einstellung der Kundinnen in verschiedenen Ländern untersucht hat. Ihr Ergebnis: „Deutsche Frauen sehen immer ihre Fehler“, sagt die Geschäftsführerin des Kölner Rheingold Salons, der psychologische Marktforschung betreibt.
Ein Beispiel: Greift eine deutsche Frau zum Push-up-BH, sagt sie, sie schummle. Die Französin sagt stattdessen, sie hole das Beste aus sich heraus. Das Fazit der Psychologin: „Deutsche möchten auf den zweiten Blick wirken und nicht auf den ersten blenden.“ Diese fast demütige Einstellung sieht sie weniger im teils pompös inszenierten Preußentum verwurzelt, sondern viel mehr in der Nachkriegszeit. „Nach dem Zweiten Weltkrieg durften wir nicht mehr stolz auf das sein, was wir sind“, sagt Imdahl.
Eine allgegenwärtige Bescheidenheit löste nach 1945 das Überlegenheitsgefühl der Nazi-Zeit ab – begleitet von der ständigen Furcht, in alte Muster zurückzufallen. Das zeigte sich auch in der Kleidung der Nachkriegsjahre, sagt Gerd Müller-Thomkins vom Deutschen Mode-Institut: „Die Deutschen wollten einen Neuanfang. Ihre Kleidung war in etwa so schlicht sein, wie die Häuserfassaden der Nachkriegszeit.“
Der Identitätsbruch wirkt bis heute nach. „Alle Tendenzen, sich zu sehr in den Mittelpunkt zu rücken, werden unterdrückt“, sagt Ines Imdahl. „Wir machen lieber was Solides und müssen das nicht hinausschreien.“ Dafür steht etwa Angela Merkel: Ihr Führungsstil ist so sachlich und schnörkellos wie ihr Kleidungsstil. „Sie strahlt eine Schlichtheit aus, wie man es von der deutschen Kleidung erwartet.“
Doch nur, weil Deutsche den großen Auftritt und verspielte Schönheit scheuen, heißt das nicht, dass der gehobene deutsche Modestil weniger wert ist, findet Imdahl: „Das ist nicht keine Ästhetik, sondern eine andere Ästhetik.“