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Wie sollten gelegentlich über unseren Sprachgebrauch nachdenken Quelle: imago images

Warum sich gendergerechte Sprache lohnt

Gendergerechte Sprache? Finden viele schrecklich. Dabei gibt es auch aus ökonomischer Sicht Argumente für eine behutsame Wortwahl. Denn wie wir sprechen, ändert erst das Denken, dann das Handeln.

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Vor ein paar Wochen gab Bundesfamilienministerin Franziska Giffey der WirtschaftsWoche ein Interview, das Klischees bediente: Statt nur von Krankenpflegern und Erziehern zu sprechen, redete sie über „Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen“ und über „Erzieher und Erzieherinnen“. Es war mein Job, aus der Aufzeichnung einen druckbaren Text zu machen, und ich gebe zu: Ich hätte gern gekürzt. Das sogenannte „Binnen-I“ halte ich für verzichtbar, Gendersternchen ebenfalls. 60 Prozent der Deutschen sehen es ähnlich, das ergab gerade eine aktuelle Umfrage. Wenn andere so sprechen oder schreiben – nichts dagegen. Ich mache dabei nicht mit. Trotzdem halte ich viel davon, den eigenen Sprachgebrauch gelegentlich mal einem Gender-TÜV zu unterziehen. Wie wir sprechen, ändert erst das Denken, dann das Handeln, auch in der Wirtschaft und in der Politik.

Zwei Beispiele von vielen: Es gibt einen riesigen Bedarf an Pflegekräften. Offensichtlich sorgt der Markt allein in diesem Bereich nicht dafür, dass Angebot und Nachfrage zum Ausgleich kommen. Die Einkommen sind niedrig, die Ausbildung ist teuer. Was vermutlich auch an gesellschaftlichen Vorstellungen darüber liegt, welche Arbeit einen hohen Lohn verdient. Das Wort „Krankenschwester“ passt zu dieser Sicht. Es erinnert an Zeiten, in denen Pflege von Angehörigen eine Sache der Familie war, natürlich unbezahlt. Und es spiegelt die Erwartung wider, dass Pflegekräfte ihre Interessen nicht durchsetzen wie andere Beschäftigte. Schwestern können nicht kündigen, Schwestern streiken nicht.

Ein anderes Beispiel sind sogenannte Vätermonate. Der Staat zahlt jungen Familien mehr Elterngeld, wenn Vater und Mutter im Beruf zeitweise aussetzen – nicht nur einer von beiden. Ob die beiden gleich lange im Job fehlen oder einer drei und der andere elf Monate, ist für die Regelung irrelevant. Die maximale Bezugszeit steigt in jedem Fall auf 14 statt 12 Monate. Das hat dazu beigetragen, dass mittlerweile fast jeder dritte Vater eines neugeborenen Kindes zwei Monate Auszeit nimmt. Das kann für die einzelne Familie stimmig sein. Schwierig daran ist, dass Umfragen zufolge die meisten Väter davon ausgehen, dass es für sie maximal zwei Monate staatliche Unterstützung gibt. Die beiden „Vätermonate“ eben. Einige Arbeitgeber und Vorgesetzte vermutlich auch. Eine etwas andere Wortwahl – „Partnermonate“ statt „Vätermonate“ – könnte daher auch in Unternehmen zu einer größeren Offenheit für Familien-Auszeiten führen.

Wer sich intensiv mit Familienpolitik beschäftigt, stößt schnell auf viele fragwürdige Begriffe. Schon mal über das Wort „Alleinerziehend“ nachgedacht? Und dann darüber, wie viele Frauen sie kennen, die ihr Kind tatsächlich komplett ohne Unterstützung des Vaters erziehen? Bettina Wulff, ehemals First Lady und selbst Mutter eines Scheidungskindes, hat vor Jahren vorgeschlagen lieber von „getrennt lebenden Eltern“ zu sprechen. Das Etikett „Alleinerziehende“ sei nicht nur unfair gegenüber Vätern, sondern lasse auch viele Frauen ohne Not bedürftig aussehen – und stigmatisiere deren Kinder. Klingt vernünftig?

Ist es auch. „Gendergerechte Sprache“ ist ein Kampfbegriff geworden. Doch das Anliegen dahinter ist richtig: Wertschätzung für diejenigen, die es verdienen.

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